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Teufelskreislauf: Alkohol und Depressionen  
  Rund 400.000 Menschen leiden in Österreich an Depressionen. 330.000 sind alkoholkrank, 870.000 alkoholgefährdet. Ein Großteil von ihnen - bis zu 85 Prozent - leiden auch an Depressionen.  
Vor dem gefährlichen Teufelskreis zwischen beiden Erkrankungen warnte am Montag der Leiter des Anton Proksch-Instituts, Michael Musalek, bei einer Pressekonferenz in Wien.
Sucht trifft die Sensiblen
"Das Suchtmittel schlechthin in unserer Gesellschaft ist der Alkohol. So lange Menschen - auch in hoher Dosis - trinken, gehören sie dazu. Das sind immerhin ein Viertel der männlichen Wiener Bevölkerung über 14 Jahren, im Burgenland, Oberösterreicher, der Steiermark und Niederösterreich ein Drittel. Und dann gibt es irgendwann den Bruch, wo man einen Kontrollverlust hat oder irgendwelche körperlichen Entzugserscheinungen. Wenn das eintritt, reagiert die Gesellschaft völlig ablehnend", sagte der Psychiater.

Dabei ist gerade das falsch. Der Experte: "Der Sprung von einer hohen Alkohol-Dosis zur Sucht wird vor allem von Menschen vollzogen, die besonders sensibel sind, die an Depressionen und Angststörungen leiden." Sie wären ganz besonders auf Hilfe angewiesen.
Alkoholkonsum in Österreich
 
Grafik: APA, Quelle: Ludwig-Boltzmann-Institut/AKIS

Häufigkeit des Alkoholkonsums bei über 16-Jährigen in Prozent
Löst in hohen Mengen Depressionen aus
Das Problem: Alkohol wirkt in geringen Mengen euphorisierend, in höheren aber löst er selbst Depressionen aus. Musalek: "Viele Depressive versuchen, mit Alkohol ihre depressive Erkrankung zu behandeln. Viele Depressive leiden nämlich auch unter Angststörungen und Überlastungssyndromen - und Alkohol ist ein gutes Anxiolytikum (angstlösendes Mittel, Anm.)."

Frühzeitiges Erkennen solcher Probleme - ob depressive Verstimmung und/oder missbräuchlicher oder gar schon krankhafter Alkoholgebrauch - wären entscheidend. Die Erfahrung Betroffener ist anders.
Früherkennung wäre optimal
Für eine entsprechende Vorsorge wäre es vor allem notwendig, schon Personen zu erkennen, die Alkoholmissbrauch betreiben - womöglich mit dem Hintergrund, die "große Angst" los zu werden.

Genau so wichtig wäre die Früherkennung von Depressionen. Mit beiden Strategien könnte ein Teufelskreis verhindert werden, in den viele Betroffenen hinein rutschen.
Krankheit beginnt mit Diagnose
Dabei leiden die Alkoholabhängigen mehrfach. Der Leiter des Anton Proksch-Instituts, Michael Musalek: "Das Leiden des Alkoholikers beginnt nicht mit seiner Krankheit, sondern mit der Diagnose. Die Alkoholkrankheit ist eine zutiefst stigmatisierende Diagnose. Hingegen ist die Depression bereits zu einem bestimmten Grad von der Gesellschaft akzeptiert." Nur Schizophrene seien noch ärger benachteiligt als die Alkoholabhängigen.

Der Experte: "Die meisten unserer Patienten sind äußerst sensible, verletzliche und verletzbare Menschen. Gerade ihnen aber versagen wir oft unsere Wertschätzung."
Behandlung wird zur "Nullrechnung"
Liegen Alkoholabhängigkeit (Missbrauch) und Depressionen müssen beide behandelt werden. Die Frage, was am Beginn der psychischen Probleme Stand, ist hier unerheblich. Doch auf den Alkohol muss verzichtet werden.

Wegen seiner Depressions-auslösenden Wirkung macht er nämlich eine Behandlung mit Antidepressiva oft zum "Nullsummenspiel".

[science.ORF.at/APA, 6.6.05]
->   Anton Proksch-Institut
->   science.ORF.at-Archiv zu Alkohol
 
 
 
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01.01.2010