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Keine Rückkehr der "weiblichen Vernunft" nach 1945  
  Unter den wenigen Wissenschaftlern, die nach 1945 nach Österreich aus dem Exil zurückkehrten, waren so gut wie keine Frauen. Auch renommierte Persönlichkeiten wie Charlotte Bühler wurden nicht kontaktiert.  
Memorandum mit einigen Frauennamen ...
Die "Austrian University League of America", eine Vereinigung emigrierter Gelehrter mit vorwiegend konservativ-katholischer Orientierung, legte im Jahr 1946 dem Unterrichtsministerium ein Memorandum zur Neugestaltung des österreichischen Universitätswesens vor.

In einer darin enthaltenen Vorschlagsliste zur Neubesetzung des universitären Lehrkörpers finden sich 36 Frauen.
... aber Vorschläge wurden nicht aufgegriffen
Doch die Realität sah anders aus: Eine Rückkehr der "weiblichen Vernunft" nach 1945 hat es nie gegeben, wie aus einem Vortrag der Wiener Wissenschaftshistorikerin Ilse Korotin Dienstag Abend in Wien hervorging.
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Remigration nach Geschlechtern aufgeschlüsselt
Dass die Zahl an vertriebenen Forschern, die nach 1945 nach Österreich zurückgekehrt sind, sehr gering war, wurde bereits mehrfach wissenschaftlich belegt.

Korotin, Leiterin der Dokumentationsstelle Frauenforschung am Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK), ist der Remigration nun mit geschlechterdifferenzierenden Fragestellungen nachgegangen und hat ihre Erkenntnisse am Dienstag bei einem Vortrag für die Österreichische Gesellschaft für Exilforschung in Wien präsentiert.
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Interesse auf männliche Forscher beschränkt
"Das ministerielle und universitäre Interesse richtete sich in den Jahren nach 1945 ausschließlich auf die realistisch gesehen eher unwahrscheinliche Rückkehr prominenter männlicher Wissenschaftler, wie etwa die Nobelpreisträger Victor Franz Hess und Erwin Schrödinger", erklärte Korotin.
Niedrigere Hierarchieebenen vernachlässigt
Vernachlässigt seien all jene worden, die den Wissenschaften in niedrigeren Hierarchieebenen ihren Dienst erwiesen hatten. So nannte der Rektor der Uni Wien in einem Schreiben an das Unterrichtsministerium Namen von damals im Ausland tätigen Lehrkräften, "deren Wiederkehr besonders erwünscht wäre".

Unter den neun genannten Professoren habe sich keine Frau befunden.
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Keine Bereitschaft, Frauen vorzuschlagen
"Meiner Kenntnis nach gab es keine von österreichischer Seite initiierte offizielle Rückberufung einer vertriebenen jüdischen Wissenschafterin", erklärte die Historikerin.

In der gesellschaftspolitischen Situation nach 1945 habe seitens der Berufungskommissionen keine Bereitschaft bestanden, vertriebene Frauen für die notwendigen Nach- bzw. Neubesetzungen an den Universitäten vorzuschlagen und damit entsprechend zu berücksichtigen.
->   Institut für Wissenschaft und Kunst
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Auch Charlotte Bühler wurde ignoriert
Selbst mit Charlotte Bühler, 1938 noch außerordentliche Professorin und Forschungsdirektorin am Wiener Institut für Psychologie, seien niemals Verhandlungen aufgenommen worden.

Lediglich mit ihrem Mann Karl Bühler sei "halbherzig korrespondiert" worden.
Lobbying für ehemalige NSDAP-Mitglieder
Profitiert habe davon das NSDAP-Mitglied Sylvia Klimpfinger, die auf Bühlers Stelle berufen wurde.

"Die rasche Reaktivierung Klimpfingers und der darauf folgende kontinuierliche Aufstieg in der akademischen Hierarchie bis zur ordentlichen Professur ist ein Beispiel für die deutliche Lobbypolitik zu Gunsten ehemaliger Parteimitglieder", so Korotin.
Eine einzige Rückkehr hat geklappt
Das Memorandum der "Austrian University League" - das laut Korotin von offizieller Seite nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden sei - enthielt bei einer Gesamtzahl von 370 Vorschlägen die Namen von 36 Wissenschafterinnen.

Davon hat eine einzige Rückkehr einer vertriebenen Forscherin geklappt: Die Wiener Histologin Carla Zawisch-Ossenitz, Generalsekretärin der "Austrian University League", die allerdings nicht zu den "rassisch verfolgten" gehörte, sondern aus dem adeligen, katholisch-konservativem Umfeld stammte.

[science.ORF.at/APA, 15.6.05]
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01.01.2010