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Wale und Delfine finden nach Geburt keinen Schlaf  
  Wal- und Delfinmütter sowie ihre Neugeborenen schlafen nach der Niederkunft wochenlang, manchmal sogar während mehrerer Monate überhaupt nicht. Dieses in der Tierwelt wohl einzigartige Phänomen entdeckten US-Forscher.  
Dass die Meeressäuger völlig ohne Schlaf auskommen, zeigt nach Einschätzung eines Forscherteams um Jerome Siegel von der Universität von Kalifornien in Los Angeles, dass Ruhepausen entweder nicht so lebensnotwendig sind wie gedacht - oder dass die Wale eine wirkungsvolle Ersatzmethode entwickelt haben.
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Der Beitrag "Continuous activity in cetaceans after birth" von Jerome Siegel und Kollegen ist am 30. Juni 2005 in "Nature" erschienen (Band 435, S. 1177, doi:10.1038/4351177a).
->   Abstract in Nature
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Extreme Erfahrungen von Wal- und Delfhinweibchen
Dass junge Mütter kaum zum Schlafen kommen, erfahren Millionen von Frauen leidvoll am eigenen Leib. Die extremen Erfahrungen von Wal- und Delfinweibchen bleiben menschlichen Mütter aber erspart.

Die Forscher um Jerome Siegel untersuchten in Gefangenschaft lebende Wale: zwei Orcas (Schwertwale) und ihre Kälber sowie vier Delfine (Große Tümmler) samt Nachwuchs.
Beinahe 24 Stunden am Tag aktiv
 
Foto: epa

Erwachsene Orcas ruhen normalerweise für fünf bis acht Stunden pro Tag, in denen sie an der Wasseroberfläche oder am Grund treiben.

Wie die Wissenschaftler nun beobachteten, blieben sowohl Mütter als auch der Nachwuchs im ersten Monat nach der Geburt aber nahezu 24 Stunden pro Tag aktiv.

Die Ruhelosigkeit der Mütter lag nicht am Stress durch das Neugeborene: Die Forscher maßen die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut der Walweibchen und konnten keine Erhöhung feststellen.
Jungtiere noch ruheloser als Mütter
 
Foto: epa

Die Jungtiere waren sogar noch etwas ruheloser als die Mütter. Etwa alle drei bis 30 Sekunden tauchten sie zum Luftholen auf. Dabei behielten sie mit einem Auge stets die Mutter im Blick, die währenddessen weiter schwamm.

An Einschlafen ist dabei nicht zu denken, weder für die Mütter noch für die Jungen. Bei den Großen Tümmlern zeigte sich ein ganz ähnliches Verhalten.

Im Verlauf mehrerer Monate verlängerten sich bei den Walen die Schlafperioden und näherten sich langsam wieder dem Verhalten erwachsener Tiere ohne Nachwuchs an.
Anderes Schlafverhalten als übrige Säugetiere
Wie die Wale es schaffen, ohne Schlaf auszukommen, ist den Forschern unklar. Studien an anderen Tieren haben eine völlig andere Entwicklung gezeigt:

So schlafen alle zuvor untersuchten Säugetiere unmittelbar nach der Geburt am meisten, mit zunehmendem Alter nimmt das Ruhebedürfnis ab. Außerdem schlafen die Jungen immer mehr als die Mütter.

Die fatale Wirkung von Schlafentzug ist nicht zuletzt auch vom Menschen bekannt, nicht umsonst gilt er auch als Foltermethode.
Spekulationen über Gründe
Über das Schlafverhalten von Walen und Delfinen können die Wissenschaftler nur spekulieren: Möglicherweise ist Schlaf weniger wichtig für die Entwicklung als bisher angenommen oder die Wale haben einen anderen Weg zur Erholung gefunden, schreiben Siegel und Kollegen in "Nature".

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Ruhelosigkeit für den Nachwuchs einen Vorteil darstellt: Sie entgehen so leichter möglichen Feinden und halten zudem ihre Körpertemperatur aufrecht, bis ihre Speckschicht voll ausgebildet ist.

[science.ORF.at/APA/dpa/AFP, 29.6.05]
->   Mehr zum Thema Schlaf im science.ORF.at-Archiv
->   Center for Sleep Research (University of California)
 
 
 
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01.01.2010