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Lügen: Suche nach perfektem Test bisher erfolglos  
  Hand aufs Herz: Wie oft erwischen Sie sich selbst beim Lügen? Und wenn Ihnen so oft eine kleine oder große Unwahrheit abgenommen wird, wie oft werden Sie dann wohl selbst belogen? Auch die Wissenschaft interessiert sich für die zutiefst menschliche Methode der Lüge. Psychologen und Gehirnforscher arbeiten an Kritierienkatalogen, mit denen Lügner enttarnt werden sollen - bisher ohne durchschlagenden Erfolg.  
Zwar gebe es nonverbale Signale, die dem Gegenüber mitteilen können, dass er oder sie gerade belogen wird. Sie blitzen aber nur in Bruchteilen von Sekunden auf und werden von den meisten Menschen nicht wahrgenommen.

Nur eine spezielle Gruppe von Menschen könne deutlich mehr Lügner enttarnen als der Durchschnitt, berichten kalifornische Psychologen - darunter überproportional mehr Frauen, möglicherweise weil sie generell besser kommunizieren können.
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Dem Phänomen der Lüge und ihren verschiedenen Anwendungs- und Enttarnungsmöglichkeiten hat der "New Scientist" in seiner Ausgabe von 30. Juli 2005 einen eigenen Schwerpunkt gewidmet.
->   New Scientist
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Sozialwissenschaftler: Die kleine Lüge zwischendurch ...
Eine kleine Flunkerei zwischendurch, um schneller eine Zusage zu bekommen, eine Gefälligkeitslüge, weil man dem besten Freund nicht sagen kann, dass seine neue Frisur nicht ganz gelungen ist - jeder wählt ab und zu den Weg der Unwahrheit, um eigene Ziele zu erreichen oder Unannehmlichkeiten zu entgehen.
... brauche man für die Bewältigung des Alltags
Grundsätzlich müsse man sich für die Fähigkeit zu lügen nicht schämen, meinen Forscher wie der Sozialwissenschaftler Peter Stiegnitz, der das Kunstwort "Mentiologie" für die Wissenschaft von der Lüge geprägt hat.

Wichtig sei die Absicht und die Häufigkeit, die mit eine Lüge erzählt werde: Ist sie ein Hilfsmittel, klein dosiert ohne Schädigungsabsicht, brauche man sie, so Stiegnitz. Er hält dagegen nichts von "großen Mengen mit Schädigungsabsicht".
->   Mehr über Mentiologie in Wikipedia.de
Lüge als Produkt der Gehirnentwicklung ...
Die Fähigkeit zu lügen ist eine Errungenschaft, die einem nicht in die Wiege gelegt wird, sondern die sich Kinder erst ab einem Alter von vier Jahren aneignen. "Lügen lernen" stellt einen Teil unserer geistigen Entwicklung dar, sind sich Entwicklungspsychologen sicher.

Als Voraussetzung müsse man eine Vorstellung vom Geist des anderen entwickeln, erst dann könne man seine Motivation und Reaktion kalkulieren und durch eine Lüge beeinflussen.
... und Schritt in eine komplizierte Welt
Die Fähigkeit zu lügen und sich in andere hineinzuversetzen, ist also ein Schritt aus der Kinderwelt hinaus in eine erheblich kompliziertere Umgebung, der den vielschichtigen Umgang mit unseren Mitmenschen erst ermögliche.
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Die Lügner unter den Tieren
Lebewesen, die dem Menschen ähnlich im Stande sind, Artgenossen absichtlich hinters Licht zu führen, findet man in der Tierwelt nur unter den Primaten. Sie können ihre Kollegen überlegt in eine falsche Richtung schicken oder einen Mangel an Futter vorspielen, um sich selbst die Vorräte zu sichern.

Zwar kann man auch bei anderen Tieren ein trügerisches Verhalten beobachten, dieses funktioniert aber mehr auf Basis biologischer Mechanismen als einer überlegten Strategie.
->   Studie: Wespenmännchen täuschen Nebenbuhler (16.3.05)
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Hohe Fehlerrate auch bei Richtern, Polizisten und Zöllnern
So gut ausgeprägt die Fähigkeit des Menschen zur Lüge ist, so wenig vorhanden ist sein Vermögen, sie bei anderen zu erkennen.

Tests haben gezeigt, dass sogar Polizisten, Richter oder Zöllner, die regelmäßig mit der Frage nach Lüge oder Wahrheit konfrontiert sind, eine Fehlerquote von 47 Prozent aufweisen - genauso gut könne man wohl eine Münze aufwerfen, meint dazu Psychiater Raj Persaud vom King's College London im "New Scientist".
Alternative Gehirn-Scans?
Aber auch Wissenschaftler tun sich schwer bei der Identifikation von Kritierien, die Wahrheit und Lüge unterscheiden sollen. Gängige Lügendetektoren sind höchst fehleranfällig, weshalb manche ihre Hoffnungen auf Gehirn-Scans setzen.

Die Aktivität bestimmter Teile soll Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt des Gesagten erlauben - aber auch hier gibt es Zweifel, ob geübte Lügner den Scan nicht bewusst verfälschen könnten.
->   Gehirn-Scan als Lügendetektor (30.11.04)
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Erkennungsmerkmale von Lügnern
Aus den zahlreichen psychologischen Studien, die zum Thema Lüge bereits gemacht wurden, hat der "New Scientist" einige Erkennungsmerkmale von Lügnern zusammengestellt:
Lügner blinzeln nicht mehr als ehrliche Menschen, aber sie wirken nervöser, weil ihre Stimme leicht höher ist als normal. Außerdem vergrößert sich bei Lügnern die Pupille - ein Anzeichen für hohe Anspannung.

Die äußerlichen Anzeichen hängen aber auch von der Art der Lüge ab: Steht viel am Spiel, spricht der- oder diejenige plötzlich langsamer und vermeidet Augenkontakt. Ist die Lüge geplant, erhöht sich die Sprachgeschwindigkeit.
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Signale einer Lüge dauern Bruchteile von Sekunden ...
Das Problem beim Erkennen einer Lüge: Ihre Symptome werden in Bruchteilen von Sekunden kommuniziert, viel zu schnell, um von den meisten Menschen wahrgenommen zu werden.

Wie Paul Ekman und Maureen O¿Sullivan, Psychologen an der Universität Kalifornien in San Francisco, herausfanden, gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich von Lügen kaum beeindrucken lassen.
... werden aber von "Whizards" wahrgenommen
Unter 14.000 Testpersonen fanden sich gerade einmal 29 Menschen, die offensichtlich im Stande sind, die Andeutungen in Mimik, Gestik und Sprache wahrzunehmen und Unwahrheiten zu enttarnen. Die Forscher versuchen jetzt herauszufinden, woher die besondere Fähigkeit dieser als "whizards", also "Zauberer", betitelten Gruppe kommt.

Die bisherigen Erkenntnisse sind mehr als vage: So zeigte sich bei der Analyse ihrer Biografien, dass die meisten der "whizards" eine schwierige Kindheit hatten, was sie eventuell emotional besonders sensibilisiert hat. Bei konkreteren Anhaltspunkten tappen die Forscher noch im Dunkeln.
Frauen erkennen Lügen leichter als Männer
Was an der Gruppe auffällt und auch durch andere Tests bestätigt wurde: Frauen haben offenbar ein feineres Gespür für Lügen als Männer.

Dafür gibt es die evolutionsbiologische Erklärung, dass Frauen bei der Partnerwahl besonders aufpassen müssen, keinem Schwindler auf den Leim zu gehen. Schließlich könnte er sich als schlechter Vater für den Nachwuchs herausstellen.
Besseres Verständnis für non-verbale Inhalte
Die Psychologin Maureen O'Sullivan bemüht im "New Scientist" andere Erklärungen: Erstens könnte es sein, dass Frauen den Test, bei dem sie Lügner identifizieren sollten, einfach gewissenhafter gemacht haben.

Und zweitens hätten zahlreiche Tests gezeigt, dass Frauen non-verbale Inhalte besser verstehen und interpretieren könnten als Männer.

Eine Methode zur zweifelsfreien Identifikation von Lügnern gibt es also nach wie vor nicht. Bis es soweit ist, muss man sich wohl als Lügner auf das eigene Talent und als Belogener auf die Intuition verlassen.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 1.8.05
->   Website von Paul Ekman
->   Website von Maureen O'Sullivan
Mehr über die Lüge in science.ORF.at:
->   Kunst der Lüge: Von enthemmten Dichtern und naiven Wissenschaftlern (20.9.04)
 
 
 
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01.01.2010