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Materialwissenschaft: Blüten in der Mikrowelt  
  Schon seit langem sind Forscher von den mannigfaltigen Formen fasziniert, die die belebte Natur hervorbringt. So lassen sich beispielsweise die Wachstumsmuster vieler Pflanzen durch eine berühmte Zahlenreihe beschreiben, die vom mittelalterlichen Mathematiker Leonardo Fibonacci entdeckt wurde. Chinesische Forscher haben nun eine mikroskopische Version dieses Wachstumsmusters entwickelt.  
Für die Herstellung ihrer metallischen Mikro-Blüten brauchten Zexian Cao und seine Kollegen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften allerdings keine Schablone - denn sie entstanden durch spontane Musterbildung.
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Die Studie "Triangular and Fibonacci Number Patterns Driven by Stress on Core/Shell Microstructures" von Chaorong Li et al. erschien im Fachjournal "Science" (Band 309, S. 909, Ausgabe vom 5.8.05).
->   Zur Studie (kostenpflichtig)
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Fibonacci und die Kaninchen
Im Jahr 1202 stellte der in Pisa geborene Mathematiker Leonardo Fibonacci sein Buch "Liber Abaci" vor, in dem er u.a. das aus Indien stammende Dezimalsystem in Europa bekannt machte.

Der Allgemeinheit ist der italienische Gelehrte vor allem aufgrund einer unscheinbaren Textstelle bekannt, in der er die Entwicklung einer Kaninchenpopulation beschrieb. Er tat dies anhand einer Zahlenfolge, die - sofern man mit den Zahlen 0 und 1 beginnt - folgendermaßen verläuft: 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55 etc.

Dahinter steht folgende Regel: Jede Zahl ergibt sich aus der Summe der beiden vorhergehenden Zahlen, was zu einem ziemlich raschen Anwachsen der Zahlenwerte führt - und offenbar auch recht gut die legendäre Vermehrungsgabe von Karnickeln beschreibt.
->   Fibonacci-Folge - Wikipedia
Formen der Natur

Aber nicht nur diese: Später entdeckte man, dass sich das selbe Muster bei den verschiedensten Vertretern der belebten Natur findet, etwa in der Geometrie von Schneckenhäusern, Ananasfrüchten, Kakteen oder in den Blütenständen von Gänseblümchen und Sonnenblumen.

Bei Letztgenannten ist die berühmte Zahlenfolge durch die spiralförmige Anordnung der Blüten gegeben (Bild rechts). Der Grund dafür ist, so erklären Botaniker, dass sich die Einzelblüten gerade dort entwickeln, wo sie sich am wenigsten in ihrem Wachstum hemmen. Und diese Hemmung ist offenbar gerade in der Fibonacci-Anordnung minimal.
Muster von Metallen
 
Bild: Nature

Kein Wunder, dass Materialwissenschaftler angesichts dieser wohlgeordneten Strukturen recht neidisch auf die Botanik blickten. Vor allem deswegen, weil sich all diese Muster spontan, d.h. ohne äußeres Zutun einstellen.

Im Jahr 1998 berichteten jedoch Forscher der Harvard University, dass es auch in unbelebten Systemen ähnliche Phänomene gibt, die beispielsweise in optischen Geräten Anwendung finden könnten.

Sie zeigten, dass man regelmäßige rechteckige, quadratische und kreisförmige Strukturen spontan erzeugen kann, wenn man dünne Metallfilme auf elastischen Polymeren abkühlt (Nature 393, 146).
"Self assembly" mit Silizium und Silber
Mittlerweile ist das Stichwort "self assembly" auch fixer Bestandteil des materialwissenschaftlichen Vokabulars, denn jedes Jahr entdecken Forscher neue Arten der Musterbildung, die sich zudem häufig technisch verwerten lassen.

So nun auch das Team um Zexian Cao von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, das mit einer Mischung von Silber- und Siliziumoxid interessante Musterbildungen auslöste.

Dabei erhitzten sie die beiden Substanzen auf knapp 1.000 Grad Celsius - knapp über dem Schmelzpunkt von Silber, aber knapp unter jenem von SiO2 - und kühlten das ganze dann schrittweise ab. Dabei bildeten sich kleine, von Siliziumoxid-Schichten überzogene Silberkerne.
->   Self assembly - Wikipedia
Blütenkorb im Mikrometerbereich
 
Bild: Science

Das Besondere daran: Die Strukturen ordneten sich u.a. in den bekannten Fibonacci-Spiralen an (Bilder rechts A-C) und erinnern damit frappant an bekannte Vorbilder aus dem Reich der Pflanzen (Bild D). Und: Ebenso wie in den Blütenständen wirkt auch hier ein Minimalprinzip. Nur ist es in diesem Fall nicht die Wachstumshemmung, die den Ort der Bildung vorgibt, sondern die bei der Ablagerung der Siliziumschichten entstehende Spannungsenergie.

Wie Cao und Mitarbeiter in ihrer Studie ausführen, ordnen sich die Metallknospen gerade in der Weise, dass die Spannungsenergie minimal wird. An Regelmäßigkeit übertreffen die metallischen "Blütenstände" ihre botanischen Vorbilder sogar, weil die zufälligen Einflüsse aus der organischen Lebenswelt entfallen. Allerdings sind sie ungleich kleiner, nämlich knapp zehn Mikrometer groß.

Robert Czepel, science.ORF.at, 5.8.05
->   The Fibonacci Association
->   The Chinese Academy of Sciences
 
 
 
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01.01.2010