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Moderne Sicherheit: Flexibilität der Gesellschaft stärken  
  Zwischen Bombenanschlägen, Angst vor Epidemien und Diskussionen über schärfere Überwachungsmaßnahmen geht der Blick auf größere Zusammenhänge verloren. Genau diesen systemischen Zugang fordern aber nun Forscher von der Arizona State University. Sie verlangen von der Politik, die Flexibilität moderner Gesellschaften zu stärken und neue Sicherheitstechnologien zu fördern, die einen langfristigen gesellschaftlichen Nutzen bringen, selbst wenn der befürchtete Ernstfall nie eintritt.  
Die Wissenschaftler fordern einen Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik: Verschiedene Bedrohungen müssten wie ein "Portfolio" gemanagt werden.

Dabei sollte es nicht darum gehen, das Risiko für jede einzelne Gefahr zu minimieren, sondern im Zusammenspiel sozial-, wirtschafts- und infrastrukturpolitischer Maßnahmen die beste Lösung für die Gellschaft zu finden.
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Das Paper "Toward Inherently Secure and Resilient Societies" von Brad Allenby und Jonathan Fink ist am 12. August 2005 in "Science" erschienen (Band 309, S. 1034-1036, doi:10.1126/science.1111534).
->   Science
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Überforderung angesichts der zahlreichen Bedrohungen
Moderne Gesellschaften stehen vor zu vielen krisenhaften Herausforderungen, um alle meistern zu können - soweit die nüchterne Eingangsthese des Zivilingenieurs Brad Allenby und des Geowissenschaftlers Jonathan Fink.

Terroranschläge drohen ebenso wie Naturkatastrophen und Krankheiten, denen tausende Menschen zum Opfer fallen könnten.
Flexibilität als zentrales Kriterium
Die Forscher plädieren angesichts des Unvermögens, mit allen Bedrohungen umzugehen, dafür, den Blick vom Detail auf das Gesamtsystem zu lenken: Als zentrales Kriterium definieren die Wissenschaftler die "Elastizität" moderner Gesellschaften.

Sie steht für die Fähigkeit einer Gesellschaft, ihre Funktionen und Strukturen aufrecht zu erhalten, wenn sie von schweren Krisen erschüttert wird.
"Zweifacher Nutzen" stärkt Flexibilität
Um die Flexibilität zu stärken, schlagen Allenby und Fink vor, Investitionen an das Kriterium des "zweifachen Nutzen" zu binden:

Wenn eine Innovation nicht nur dem unmittelbaren Ziel dient, beispielsweise eine U-Bahn-Station sicherer zu machen, sondern darüber hinaus einen nachhaltigen Fortschritt etwa der Kommunikationsinfrastruktur bringt, sollte Geld investiert werden.
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Dual-Use-Technologies
Technologiegeschichte kennt zahlreiche Beispiele von zweifachem Nutzen: Das Global Positioning System (GPS) wurde vom Militär entwickelt und findet heute bei ortsabhängigen Services über Mobiltelefone breite Anwendung. Ganz zu schweigen von Materialien wie Teflon, die für die Raumfahrt entwickelt wurden, nun aber in vielen Küchen zu finden sind.

Im Gegensatz zu diesen Beispielen fordern die Forscher, "dual use" von seinem militärischen Kontext zu lösen und es als Teil einer Strategie zu sehen, durch die Gesellschaften auch dann von neuen Entwicklungen profitieren, wenn ihr primärer Verwendungszweck - etwa die Kommunikation nach einem Terroranschlag - nicht Realität wird.
->   Mehr über "Dual Use" bei Wikipedia.de
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Risiko-Portfolios im Sinn der Gesellschaft managen
Allenby und Fink entlehnen - ganz US-Wissenschaftler - der Wirtschaftswelt ein Bild, um zu verdeutlichen, was sie von der Politik fordern: Wie ein Aktien-Portfolio müssten auch Risiken in einem Portfolio gemanagt werden - grundsätzlich geht es nicht darum, dass eine einzelne Aktie besonders gut performt, sondern dass das Bündel einen Gewinn abwirft.

Ebenso dürfe eine langfristige Sicherheitspolitik ihre Konzentration nicht auf ein einzelnes Risiko fokussieren, sondern müsse die Performance im Sinn der Gesellschaft im Auge behalten.
Teleworking entlastet Zentrum ...
Was aber heißt das nun konkret? Die Forscher veranschaulichen ihre Forderung anhand des zunehmenden Netzwerkcharakters unserer Gesellschaften:

Die technologischen Innovationen der letzten Jahrzehnte haben es ermöglicht, dass aus großen Zentren mehrere Subzentren wurden. Unternehmen etwa haben zwar nach wie vor eine Zentrale, immer größere Teile der Belegschaft arbeiten aber zumindest zeitweilig dezentral.
... und reduziert Gefährlichkeit von Anschlägen
Im Sinn des Katastrophenmanagements bringt diese Entwicklung große Vorteile: Wenn Angestellte nicht in die Firma kommen müssen, um zu arbeiten, kann bei etwaiger Seuchengefahr die Zentrale gesperrt werden, das Unternehmen aber dennoch weiterarbeiten.

Außerdem sind große Zentren immer anfälliger für Anschläge als eine Struktur mit mehreren kleineren Knotenpunkten.
->   Wie man Netzwerke vor Katastrophen schützt (22.9.04)
Telekommunikation: Beispiel von "Dual Use"
Auch der Stadtpolitik kann diese Veränderung gelegen kommen: Tele-Arbeiter können an Tagen mit schlechter Luftqualität dazu motiviert werden, zu Hause zu bleiben, im Fall von Katastrophen können so die Straßen entlastet werden.

Für Allenby und Fink ist daher eine starke Telekommunikations-Infrastruktur ein typischer Fall von "Dual Use": Sowohl Wirtschaft als auch Staat und Allgemeinheit profitieren davon.
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Lange Nacht der Forschung
"Sicherheit" bildet den Schwerpunkt der ersten "Langen Nacht der Forschung" am 1. Oktober 2005. Mit zahlreichen Installationen und Vorführungen in Innsbruck, Linz und Wien sollen die Besucher "Wissenschaft zum Angreifen" geboten bekommen.
->   Mehr zur "Langen Nacht der Forschung"
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Risiko: Fehlinvestitionen entziehen Grundlage
Eine Politik zu entwickeln, die auf verschiedensten Ebenen Dual-Use-Technologien unterstützt, sei nicht einfach, geben die Forscher zu. Sie meinen dennoch, dass es sich lohnen könnte. Gerade in Zeiten knapper Budgets könne es sich der Staat nicht leisten, in isolierte Bereiche Unmengen an Geld zu investieren, ohne den Nutzen für die Gesellschaft zu prüfen.

Aus ihrem persönlichen Umfeld skizzieren sie ein Bedrohungsszenario, das ihrer Ansicht nach in den USA durch den "Tunnelblick" der Politiker zu wenig beachtet wird:

Der "Krieg gegen den Terror" brachte Umschichtungen des Gelds für Forschung weg von den Grundlagenwissenschaften hin zum Militär- und Sicherheitsapparat - mit dem Risiko, auf längere Zeit die Basis für eine innovative Gesellschaft zu verlieren.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 16.8.05
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
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->   Weltweiter Boom: Biometrie gegen Terrorismus (3.9.02)
->   Helge Torgersen: Überreaktion und langfristige Folgen (13.9.01)
 
 
 
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01.01.2010