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Bakterien-Genom: Klein, aber rein  
  US-Forscher haben ein Ozean-Bakterium mit extrem geschrumpftem Erbgut entdeckt. Das Besondere daran: Die Mikrobe scheint ein ausgeprägtes Faible für Sauberkeit zu haben, denn das Erbgut ist völlig frei von genetischem Abfall.  
Wie ein Team um den Mikrobiologen Stephen J. Giovannoni von der Oregon State University berichtet, geht der Einzeller Pelagibacter ubique mit seiner genetischen Information äußerst sparsam um. Offensichtlich eine erfolgreiche Strategie, um sich gegen die Konkurrenz mit üppigerem Genom zu behaupten.
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Die Studie ""Genome Streamlining in a Cosmopolitan Oceanic Bacterium" von S.J. Giovannoni et al. erschien in "Science" (Band 309, S. 1242-5; DOI: 10.1126/science.1114057).
->   Zum Original-Abstract (kostenpflichtig)
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Kleiner Kosmopolit
Der Name "Pelagibacter ubique" ist gut gewählt. Das Bakterium lebt im Pelagial, dem Freiwasserbereich der Ozeane, und zwar so ziemlich überall. Kein Wunder, denn es gehört zu einer der erfolgreichsten aller Bakteriengruppen, der so genannten SAR11-Klade.

Wie der US-amerikanische Mikrobiologe Robert Morris im Jahr 2002 zeigen konnte, stellt diese Gruppe rund ein Viertel aller Mikroben der Weltmeere. Schätzungen zufolge sind das 2,4 mal 1028 bzw. 24 Quadrilliarden Zellen (Nature 420, 806).

Also eine unvorstellbar große Zahl. In etwa so groß, wie der Durchmesser des Universums in Zentimetern angegeben - oder die Zahl der Atome, aus denen drei Menschen bestehen.
->   Pelagibacter ubique - Wikipedia
Reduziertes Erbgut ...
So groß die Zahl der Vertreter der SAR11-Klade sein mag, so klein sind sie ihrem Umfang nach. Das gilt insbesondere für Pelagibacter ubique - offenbar ein regelrechter Bonsai unter den frei lebenden Bakterien, wie nun Forscher um Stephen J. Giovannoni von der Oregon State University berichten.

Sie analysierten das Erbgut von Pelagibacter ubique und fanden heraus, dass es aus lediglich 1,3 Millionen "Buchstaben", d.h. Basenpaaren, besteht - mithin das kleinste Genom, das jemals bei frei lebenden Bakterien untersucht wurde.

Zwar kennt man Einzeller, die noch weniger DNA mit sich tragen, doch das sind Parasiten oder obligate Symbionten, die sich nicht unabhängig von ihrer biotischen Umwelt vermehren können.
... aber trotzdem vielseitig
Trotz seines winzigen Erbguts ist Pelagibacter ubique erstaunlich vielseitig: Es gewinnt seine Energie sowohl durch Atmung als auch via eine Lichtreaktion, kann sämtliche Aminosäuren selbst herstellen und beherrscht auch sonst das kleine Einmaleins der Biochemie, sprich: die wichtigsten Stoffwechselwege.

Das geht freilich nur, wenn mit dem Wenigen im Erbgut höchst sparsam umgegangen wird.
Keinerlei Junk-DNA
Wie Giovannoni und Kollegen herausfanden, scheint es im Genom von Pelagibacter ubique tatsächlich nichts Überflüssiges zu geben. Die Trennbereiche zwischen einzelnen Genen, die so genannten Spacer, sind mit drei Basenpaaren auf das absolute Minimum reduziert.

Es finden sich weder die sonst üblichen Genduplikationen noch Reste von Phagen-DNA. Das Erbgut sieht aus, als wäre ein großes Putzkommando durch die Landschaft der Gene gezogen - weit und breit kein genetischer Abfall, kein einziges Stück "Junk-DNA".
->   Junk DNA - Wikipedia
Außer Spesen nichts gewesen
Fragt sich: Warum? Eine erste Antwort darauf gibt die so genannte Stromlinien-Hypothese ("streamlining hypothesis"). Diese besagt, dass funktionslose DNA eine Bürde für den Stoffwechsel darstellt, da sie wie der Rest des Erbguts mit jeder Zellteilung vervielfältigt werden muss. Das kostet zwar Energie, bringt aber nichts.

Mit anderen Worten: Langfristig sollten jene Zellen von der Selektion bevorzugt werden, die den geringsten genetischen Ballast mit sich führen.
Stromlinienform nur in großen Populationen
Wenn das zutrifft, ist allerdings unklar, warum viele Organismen (einschließlich des Menschen) große Mengen an Junk-DNA im Erbgut tragen. Der japanische Populationsgenetiker Motoo Kimura erklärt das folgendermaßen:

Die Kosten überschüssiger DNA fallen nur dann ins Gewicht, wenn Arten in sehr großen Populationen leben und keinerlei zahlenmäßige Einbrüche erleiden.

Für Pelagibacter ubique trifft das ohne Zweifel zu; ist das hingegen nicht der Fall, entwickelt sich auch die genetische Architektur weniger "stromlinienförmig".
Minimal-Organismus behauptet sich
Darauf aufbauend suchten die Forscher um Giovannoni nach Unterschieden zu anderen Mikroben, die ähnliche ökologische Nischen bilden. Es zeigte sich, dass Bakterien mit umfangreicherem Erbgut viel besser auf ideales Nahrungsangebot reagieren können und sich auch schneller fortpflanzen.

Anders sieht die Sache allerdings in schlechten Zeiten aus. Unter widrigen Bedingungen hat offenbar Pelagibacter ubique gegenüber seinen Mitstreitern die Nase vorne.

Das Bakterium dürfte daher so etwas wie ein Minimal-Organismus unter den frei lebenden Arten sein: Nicht besonders erfolgreich in den Sprintdisziplinen bakterieller Konkurrenz, aber genügsam und ausdauernd über lange Distanzen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 19.8.05
->   Oregon State University
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01.01.2010