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Traditionelle Geschlechterrollen im Aufwind  
  Traditionelle Rollenbilder von Mann und Frau sind in Österreich seit fünf Jahren wieder im Aufwind. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird überwiegend als "Frauenproblem" dargestellt, generell liegt der Focus der Politik auf der "Familie". Das ist das Ergebnis des EU-Projekts MAGEEQ, das der Gleichstellungspolitik in der Praxis nachgeht. Die Politikwissenschaftlerin Karin Tertinegg vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien berichtet in einem Gastbeitrag von den Ergebnissen.  
Geschlechterrollen in der Politik - Familie statt Geschlechtergerechtigkeit?

Von Karin Tertinegg

Gleichstellungspolitik hat als Ziel, mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft herbeizuführen. Es ist hinlänglich bekannt, dass in Österreich Frauen und Männer in vielen Bereichen noch immer nicht "gleichberechtigt" sind, auch wenn viele Diskriminierungen auf formeller gesetzlicher Ebene mittlerweile abgeschafft wurden und Gender Mainstreaming als Zauberformel für Gleichstellung herhalten muss.

Die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung von Frauen und Männern wird unter anderem von altherkömmlichen Rollenbildern - Frauen als Zuständige für Kinderbetreuung und Haushalt, Männer als Familienerhalter - massiv beeinflusst. Deshalb ist es für Gleichstellungspolitik von enormer Bedeutung, wie Rollenbilder von Frauen und Männern geändert werden können.

Doch welche Rolle spielt Gleichstellungspolitik selbst in der Veränderung bzw. Festigung traditioneller Rollenbilder? Welche Ideen und Vorstellungen über Frauen und Männer, welche Rollenzuschreibungen finden sich in der politischen Praxis? Dieser Frage versuchte ein internationales ForscherInnenteam im Rahmen des EU-Projekts MAGEEQ nachzugehen.
Ergebnisse für Österreich
Die Resultate für Österreich sprechen für sich. Erstens: Geschlechtergerechtigkeit ist nur selten - wenn überhaupt - ein Thema. Wenn, so sind es Frauen, die "ein Problem haben". Männer scheinen nur äußerst selten als (Mit-)Betroffene auf.

Zweitens: Traditionelle Rollenbilder wurden in allen untersuchten Bereichen gefunden, und zwar vermehrt ab dem Jahr 2000.

Drittens: Die "Familie" rückt vor allem in den Feldern Familienpolitik und häusliche Gewalt gegen Frauen im untersuchten Zeitraum immer deutlicher und häufiger in den Mittelpunkt.
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MAGEEQ: Methode, Themenfelder, beteiligte Länder
Innerhalb des dreijährigen, von der EU-Kommission finanzierten internationalen Forschungsprojekts MAGEEQ (Policy Frames and Implementation Problems: The Case of Gender Mainstreaming) wurde für sechs Staaten (Österreich, Niederlande, Spanien, Griechenland, Slowenien, Ungarn) sowie auf der EU-Ebene untersucht, welche Vorstellungen von Geschlecht, Geschlechtergerechtigkeit und Gender Mainstreaming in Politikdokumenten im Zeitraum von 1995-2004 zu finden sind.

Gegenstand der Studien waren offizielle Dokumente wie Gesetzesvorlagen und Protokolle von Parlamentsdebatten, aber auch Zeitungsinterviews mit PolitikerInnen oder Parteiprogramme sowie Texte von anderen politischen Akteuren. Das österreichische MAGEEQ-Team, Birgit Sauer und Karin Tertinegg, untersuchte Dokumente zu Familienpolitik, häuslicher Gewalt gegen Frauen, politischer Beteiligung von Frauen sowie Prostitution. Das Projekt wurde zusätzlich vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kunst gefördert. Die Projektleitung ist am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien angesiedelt.
->   MAGEEQ
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Rollenbilder und Familienpolitik
Familienpolitik etwa wird insgesamt kaum als ein Bereich wahrgenommen, der Auswirkungen auf Rollenbilder und Geschlechtergerechtigkeit hat. Vermeintlich falsches Verhalten oder vermeintlich falsche Werte von Einzelnen werden als Ursache von Problemen gesehen.

Die ungleiche gesellschaftliche Verteilung von Geld, Macht und Status zwischen den Geschlechtern hingegen wird kaum angesprochen.
Wer betreut die Kinder?
Vor allem ab dem Jahr 2000 wurden zunehmend Vorstellungen gefunden, die mit traditionellen Rollenbildern für Männer und Frauen arbeiten. So werden etwa Frauen als Hauptverantwortliche für Kinderbetreuung, Betreuung von alten und kranken Familienangehörigen und für Hausarbeit gesehen.

Frauen gelten also von Problemen wie der "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" als betroffen. Deshalb sind auch Frauen die Adressatinnen von Lösungsvorschlägen. Männer hingegen geraten selten ins Blickfeld, sie werden in den meisten Politikdokumenten nicht einmal erwähnt.

Männer werden kaum als diejenigen wahrgenommen, die "ein Problem" haben und scheinen kaum als diejenigen auf, die etwas tun sollten, um "das Problem" zu lösen.
Fokus auf die Familie
Eine zweite Entwicklung ab dem Jahr 2000 ist, dass der Blick vermehrt auf Familie, Kinder und Generationen gelenkt wird, ohne dass Geschlechterrollen thematisiert werden.

Familie wird als Ort gesehen, an dem dringende Leistungen für die Gesellschaft erbracht werden sollen - Betreuungsarbeit wird als gleichsam "natürliche" Aufgabe der (Groß)familie dargestellt: Junge Menschen werden aufgefordert, Familien zu gründen und Kinder zu zeugen, um das Schreckensbild eines "sterbenden Staates Österreich" abzuwenden.
Problemfeld häusliche Gewalt: "Familie" statt "Frauen"
Diese Entwicklung kann auch für den zweiten untersuchten Bereich - häusliche Gewalt gegen Frauen - festgestellt werden.

Die "Familie" rückt auch in diesem Bereich ab 2000 in den Mittelpunkt der Argumentationen: Häusliche Gewalt wird nun weniger als gegen Frauen gerichtete Gewalt gesehen, sondern als einer von vielen negativen Einflüssen auf die Familie. Gewalt gegen Frauen innerhalb der Familie bewirkt die "Erosion" der Familie, kann diese zerstören und ist deshalb verurteilenswert.

Bilder, die vor allem Frauen als "schwach und hilflos" sehen, sind häufig; ebenso wie Vorstellungen, die männliche Gewalt als krankhaftes Fehlverhalten Einzelner sehen. Die Frage von Männlichkeitsbildern, unterschiedlichem finanziellen Status von Männern und Frauen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen als Ursache von häuslicher Gewalt werden auch hier ausgeblendet.
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"Politische Partizipation" und "Prostitution"
Auch für die beiden weiteren untersuchten Bereiche, nämlich politische Partizipation von Frauen und Prostitution, konnte festgestellt werden, dass traditionelle Rollenzuschreibungen sehr häufig zu finden sind. Auch in diesem Bereich werden vornehmlich Frauen als diejenigen dargestellt, die "ein Problem" haben und als diejenigen, die verantwortlich sind, dieses Problem zu lösen. So wird Geschlechterungleichheit in der Politik fast ausschließlich von Frauen der politischen Parteien thematisiert, was letztendlich verdeutlicht, dass Geschlechterungleichheit in der Politik meist als "Frauenproblem" gilt und auch so - und nicht etwa als ein demokratiepolitisches Problem - dargestellt wird.

Auch im Politikbereich Prostitution zeigt sich, dass Frauen "Probleme haben und Probleme machen", etwa in dem Prostituierte als Opfer von Frauenhandel, sowie als Bedrohung für die öffentliche Sicherheit, Gesundheit und Sittlichkeit dargestellt werden. Auch hier werden Männer nur sehr selten bis gar nicht als Teil des Problems mitgedacht: Männliche Nachfrage nach sexuellen Dienstleitungen von Prostituierten etwa wird gar nicht thematisiert.
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Geschlechtergerechtigkeit zweitrangig
Das Ziel, ein gewandeltes gesellschaftliches Rollenverständnis für Frauen und Männer anzustreben und mit traditionellen Rollen verbundene ungleiche Verteilungen von Betreuungs- und Erwerbsarbeit, Ressourcen und gesellschaftlichen Teilnahmemöglichkeiten abzubauen, rückt durch diese Vorstellungen jedenfalls nicht näher.

Dies auch deshalb, weil nicht berücksichtigt wird, dass individuelle Anstrengung alleine kaum ausreichen kann, um strukturelle Ungleichgewichte wieder ins Lot zu rücken.

Die Resultate des Projekts zeigen jedenfalls deutlich, dass auch Gleichstellungspolitik selbst althergebrachte Rollenbilder von Frauen und Männern benutzt, und dass besonders seit dem Jahr 2000 traditionelle Rollenbilder wieder vermehrt zu finden sind. Die Familie steht im Mittelpunkt - Geschlechtergerechtigkeit wird zweitrangig.
->   Detaillierter Bericht zu den österreichischen MAGEEQ-Ergebnissen (pdf)
->   Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM)
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Informationen zur Autorin
Karin Tertinegg ist Juristin und dissertiert am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Als MAGEEQ Junior Researcher am Institut für die Wissenschaften vom Menschen hat sie zusammen mit Birgit Sauer, Politikwissenschaftlerin und science.ORF.at-Host, die politische Praxis von Gender Equality bzw. Gender Mainstreaming in Österreich untersucht.
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01.01.2010