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Max Reisch: Fernreisepionier und Volksbildner  
  Eine Motorradfahrt nach Indien machte Max Reisch berühmt: über 13.000 Kilometer auf Sand und Schotter, ohne Versorgung und Sicherheiten - das war 1933 eine Sensation. Reisch baute auf diese historische Expedition ein Leben als Fernreisender auf.  
Doch Reisch war nicht bloß Abenteuer: Als Vortragender und Volksbildner setzte er sich für Völkerverständigung und vorurteilsfreies Reisen ein.

Jüngst entdeckte Expeditionsfilme verstärken dieses Bild: Die Aufnahmen längst verlorener Bräuche und Kulturen sind einzigartige Dokumente.
Von Tirol bis ans Ende der Welt
Bild: Familie Reisch
Reisch in den 50er Jahren
Max Reisch, 1912 in Kufstein geboren, ist schon früh von der Ferne fasziniert. Reisch unternimmt von seinem 20. Lebensjahr an bis zu seinem Tod 1985 Reisen nach Afrika, Asien und bis ans Ende der Welt.

Die Länder, die er bereiste, sind heute zu gefährlichen Krisenherden oder gar Kriegsschauplätzen geworden: Syrien, Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan.

Reisch folgt ein Leben lang den Spuren historischer Karawanen: in den 30er Jahren, um neue Verkehrsrouten nach Asien zu erkunden, als Alternative zum kostspieligen Seeweg. In den 50er und 60er Jahren bereitet er den Weg für den aufkommenden Tourismus.
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TV-Programmtipp:
"Max Reisch - von Kufstein bis ans Ende der Welt" Sonntag, 11.9. 18.30 ORF2
->   Mehr dazu in tv.ORF.at
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Alpin-Legende Herbert Tichy am Rücksitz
Reischs erste große Tour, die Fahrt nach Indien 1933 hat Pionier-Charakter. Reisen mit dem Motorrad sind damals eine Seltenheit, der Landweg nach Indien gilt als ganz großes Abenteuer.

Beifahrer von Reisch ist Herbert Tichy. Trotz aller Strapazen ist Tichy von der Motorrad-Reise so fasziniert, dass er bald nach der Rückkehr von Indien eine weitere Reise mit dem Motorrad unternimmt, diesmal in den Himalaya - hier wird der Grundstein für seinen späteren Ruhm als Alpin-Legende gelegt.
Motoren statt Kamelrücken
Bild: Familie Reisch
Puch 250, sechs PS
Reisch und Tichy fuhren auf den Spuren Sven Hedins, damals gefeiert, heute wegen seiner NS-Begeisterung umstritten. Sven Hedin - das Vorbild der Forschungsreisenden am Beginn des 20. Jahrhunderts - erkundete Asien als einer der letzten großen Forschungsreisenden am Rücken des Kamels.

Mit der Popularisierung von Expeditionen, die dem Interesse des breiten Publikums für die ferne Exotik folgte, wurden die Reiter und Marschierer verdrängt, die Motorisierten waren am Vormarsch.

Der Tiroler Max Reisch war einer der Ersten, der von den neuen Möglichkeiten erfolgreich Gebrauch machte.
Indien 1933 mit einer 16mm-Filmkamera
Kaum zu glauben, bereits 1933 bei der Indienfahrt, nimmt der junge Tiroler eine 16mm-Filmkamera mit - zusätzlich zu seiner ohnehin schon umfangreichen Fotoausrüstung.

Trotz der beengten Platzverhältnisse, die zwei Personen auf der kleinen 250er Maschine haben, und trotz der Tatsache, dass sie mit Wasser, Benzin, Werkzeug und Ersatzteilen ohnehin schon voll beladen sind.
1935 erste Durchquerung Hinterindiens mit Auto
Ist der Indienfilm noch ein ungeschliffenes Roadmovie, wird beim nächsten Projekt bereits großer Aufwand getrieben. Vor genau 70 Jahren ist Reisch auf seiner wohl spektakulärsten Reise quer durch Asien und Amerika, rund um die Welt unterwegs.

Dieses Abenteuer, bei dem erstmals mit einem Auto Hinterindien durchquert wird, eine Fahrt über Stock und Stein, durch Sand und Sumpf, wird penibel in Szene gesetzt.

Nicht ohne Grund: In den 30er Jahren gibt es bereits eine ganze Menge an spektakulären Expeditionsfilmen, das Publikum ist verwöhnt.
Vom Piloten zum Medienpionier
"Mit ihm beginnt sich der Expeditionsfilm zu individualisieren. Es geht nicht nur um Sitten und Gebräuche, um Land und Leute, sondern auch um das Reisen selbst, um das Abenteuer, die Strapazen, die Gefahren, die erlebt werden, denen der Expeditionsreisende ausgesetzt ist. Es geht auch um das Material, die Filme sind teilweise gleichsam als Materialschlacht in Szene gesetzt. Das ist neu."

Zu diesem Schluss kommt der Historiker Christian Stifter, der die Filme von Reisch mit den anderen Programmen der Urania dieser Zeit verglichen hat.
Alltagshistorisch einzigartige Filmdokumente
Bild: Familie Reisch
Während der Indien-Reise
Reisch dokumentiert aber nicht nur sein eigenes Abenteuer, sondern auch den Alltag, den er vorfindet, an für uns so exotischen Orten wie Quetta in Pakistan oder Srinagar in Indien. Reisch sichert dabei viele heute nicht mehr existierende, Rituale und Kulturtraditionen für die Nachwelt.

Sein filmisches Tagebuch dieser Reise liefert ein Panoptikum der Welt dieser Tage: Pilger, die sich im Fluss stromabwärts treiben lassen, um die heiligen Stätten Nedschaf und Kerbela im Irak zu erreichen. Thailändische Sportler, die mit den Füßen rudern und groß angelegte Regatten durchführen. Indische Musikanten, die als Begleiter eines Steuereintreibers den Ärger der Besteuerten dämpfen sollen.

Diese Szenen, damals zwar nicht mit dem Blick des Ethnografen, aber dafür mit dem Auge des interessierten Globetrotters aufgenommen, sind mittlerweile alltagshistorisch einzigartige Filmdokumente.
Österreichische Bescheidenheit
Bild: Familie Reisch
Steyr 100, 33 PS, selbstkonstruierter Aluaufbau
Was am Reisestil des Tirolers besonders auffällt: Er benutzt stets Fahrzeuge, die in der normalen Bevölkerung auch vertreten sind. Bei der Indienfahrt benutzt er ein ungefedertes Kleinmotorrad mit sechs PS, während für solche Expedition schon voll gefederte, viermal so starke Maschinen eingesetzt werden.

Auf der Weltreise ist er als Privatier mit einem Steyr 100 unterwegs - parallel dazu gibt es eine offizielle französische Expedition mit einem dutzend Spezialfahrzeugen, Kameraleuten und Wissenschaftlern.

Später, nach dem zweiten Weltkrieg, während schon längst allradgetriebene Geländewagen verfügbar sind, benutzt Reisch ganz alltägliche PKW - nun aber ganz bewusst, um seinem Publikum zu zeigen, dass auch Fernreisen keine aufreibende Materialschlacht mehr sein müssen.
Vermittler zwischen den Welten
Bereits Reischs erste Reisen haben bei Filmabenden, unter anderem in der Wiener Urania, ihren Widerhall gefunden. Noch viel mehr gilt das allerdings für die späteren Lebensjahre von Reisch.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er als Routen-Scout des Deutschen Afrika Korps in Libyen verbringt, widmet sich Reisch vermehrt der Vermittlung zwischen den Welten von Orient und Okzident.
Eifriger Volksbildner
Er schreibt ein Dutzend Bücher, dreht mehrere Reisefilme über den Nahen Osten und hält unzählige Vorträge. In der Wiener Urania und anderen Institutionen gehört er zu den eifrigsten Volksbildnern.

Er referiert über seine eigenen Fahrten, die richtige Reisevorbereitung für jedermann und über die geheimnisvollsten Regionen der Welt, wie die schon damals schwer zugänglichen Länder Irak, Saudi-Arabien oder Afghanistan.
Der Fremde als Freund
Was Max Reisch in der Riege der rotweißroten Pioniere eine besondere Position gibt: Er vermittelt dem Publikum nun eine unbeschwerte Art des Reisens, demonstriert, dass man mit geringem Aufwand ferne Länder bereisen kann.

Dem Tiroler ist es ein Anliegen, dass der Tourismus auf vorurteilsfreier Basis erfolgt, dass, so Reisch, "der Fremde auch ein Freund werden kann."

Tom Matzek, ORF-Wissenschaft Fernsehen, 9.9.05
->   Max Reisch
 
 
 
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01.01.2010