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Wissenschaftstage: Österreich braucht Offenheit  
  "Warum war Österreich so viel schlimmer als Deutschland?" fragte der aus Österreich stammende Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel Donnerstag Abend bei der Eröffnung der Wiener Wissenschaftstage.  
In den meisten anderen Ländern hätten zur Zeit des Nationalsozialismus Menschen Juden geholfen, "in Wien ist das nur schwer zu finden", sagte Kandel bei einer Podiumsdiskussion im Volkstheater unter dem Titel "Was wäre gewesen, wenn ...", mit der alle Wissenschaftler gewürdigt werden sollten, die um 1938 Österreich auf der Flucht vor dem Nazi-Regime verlassen mussten.
"Unvergesslicher Schock"
Neben Kandel erinnerten sich bei der von der Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny moderierten Veranstaltung aus ihrer Heimat vertriebene Wissenschaftler an ihre Kindheit und Jugend in Wien: US-Chemie-Nobelpreisträger Walter Kohn, die Historikerin Alice Teichova, der Ökonom Kurt Rothschild und als Vertreter einer jüngeren Generation der Österreich-Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung", Charles Ritterband, dessen Mutter vor den Nazis aus Österreich floh.

Als "unvergesslichen Schock" hat sich allen der Einmarsch Hitlers in Österreich am 13. März 1938 eingeprägt, ein Tag, der "die Grenze zwischen zwei völlig verschiedenen Welten" markierte, so Kohn.
Geschichte mit offenen Augen anschauen
Für Kandel ist Österreich selbst heute noch "kein freies Land", es "arbeitet schwer daran, seine Geschichte zu vergessen". Er empfiehlt eine grundlegende Haltungsänderung: "Man muss die Geschichte mit offenen Augen anschauen." Teichova, die Mitglied der Österreichischen Historikerkommission war, rief in diesem Zusammenhang allerdings die "unglaublich vielen Leistungen" der Geschichtsforscher in den vergangenen Jahren in Erinnerung.

Nowotny gab beiden recht: "Es gibt hier eine neue Generation von engagierten Historikern, ihre Arbeit erreicht aber nicht alle, und es gibt viele, die nichts davon wissen wollen."
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Heute, Freitag, berichtet die Ö1-Sendung "Dimensionen" ab 19.05 Uhr von der Eröffnungsveranstaltung der Wiener Wissenschaftstage im Volkstheater.
->   Ö1-Website
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Suche nach einer besseren Zukunft
Rothschild, der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Österreich zurückkehrte, meinte, dass jedes Land eine historische Last habe, die es aufarbeiten müsse. "Österreich ist ein normales Land wie andere auch", so Rothschild.

"Wir sind nicht sehr stolz darauf, was in den USA passiert", replizierte Kandel und gestand dann ein, dass jedes Jahr, in dem er nach Österreich kommt, die Situation besser werde. "Man sucht eine bessere offene Zukunft." Kohn empfahl, sich "sachlich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, nicht entschuldigend, und sich dann der Welt zu öffnen".
Internationale Offenheit
Diese Internationalisierung hielt auch Kandel für notwendig: "Man muss Leute aus anderen Ländern hier herbringen", so wie damals in der Habsburger-Monarchie Wien ein Schmelztiegel verschiedenster Nationalitäten war.

Nowotny sah diesen Punkt als ein Resümee der Diskussion: "Das, was Österreich braucht, ist internationale Offenheit, um zu dem aufzuholen, das auch ein kleines Land zu leisten vermag", sagte sie mit Blick auf Länder wie in Skandinavien, die Schweiz oder Israel.

[science.ORF.at/APA, 30.9.05]
->   Wiener Wissenschaftstage
 
 
 
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01.01.2010