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150. Todestag von Sören Kierkegaard  
  Sören Kierkegaard warf der akademischen Philosophie vor, über dem Denken das Existieren vergessen zu haben. Für ihn bedeutete Existenz den Seinsvollzug des Menschen - als eine Einheit von Denken, Wollen und Fühlen. Sie muss in jedem Augenblick neu geschaffen werden, der Mensch ist der ständige Schöpfer seiner selbst. Am 11. November ist der 150. Todestag des dänischen Philosophen und Theologen.  
"Es gibt eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist. Und was nützte es mir, wenn ich eine objektive Wahrheit ausfindig machte, wenn es für mich selbst keine tiefere Bedeutung hätte". Dieses Bekenntnis ist charakteristisch für sein Werk.
Düstere Jugendzeit
Sören Kierkegaard wurde am 5. Mai 1813 in Kopenhagen als siebtes Kind des wohlhabenden Wollwarenhändlers Michael Pedersen Kierkegaard geboren. Sein Vater war besessen von dem Gedanken religiöser Schuld.

Er hatte nämlich in seiner Jugendzeit Gott verflucht und lebte in der Erwartung einer göttlichen Strafe. Die religiöse Strenge und der Schwermut des Vaters prägten Kierkegaards Kindheit:" Düsterer Hintergrund meines Lebens, von der frühesten Zeit an " - lautete eine Notiz.
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Ö1-Radio-Tipp
Dem 150. Todestag von Sören Kierkegaard widmet sich auch ein "Salzburger Nachtstudio" von Ö1: Mittwoch, 9. November 2005, 21:01 Uhr.
->   oe1.ORF.at
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Theologie und Dandytum
1830 begann Kierkegaard ein Theologiestudium und befasste sich ausführlich mit der Philosophie des Deutschen Idealismus und der frühromantischen Ästhetik. Nach einer langanhaltenden tiefen Krise führte er das Leben eines verwöhnten Dandys.

1838 starb Kierkegaards Vater und hinterließ ihm ein beträchtliches Vermögen, das ihm erlaubte, sich ganz seinen Studien zu widmen. Danach beendete er das Studium mit der
Dissertation "Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates".
Beziehungsprobleme
In dieser Zeit erfolgte die Verlobung mit der 17jährigen Regine Olsen. Doch schon zwei Tage später bereute er den Entschluss. Er kam zur Überzeugung, wegen seiner Schwermut den Ansprüchen eines bürgerlichen Ehelebens nicht gerecht werden zu können.

Über ein Jahr quälte er sich und seine Verlobte, bevor er die Verbindung auflöste. Dieser "Verrat" beschäftigte ihn zeit seines Lebens.
"Entweder-Oder"
1843 erschien Kierkegaards erstes philosophisches Hauptwerk "Entweder-Oder", das er unter einem Pseudonym veröffentlichte.

"Entweder-Oder" wurde als ein Dialog zwischen zwei Personen konzipiert; dem Ästhetiker und dem Ethiker, die darüber nachdenken, wie man richtig leben soll. "Entweder-Oder" ist eine Art Wettbewerb, bei dem der Zuseher nie genau weiß, wer der Gewinner ist.
Wettbewerb der Lebensstile: Der Ästhetiker ...
Der Wettbewerb findet zwischen zwei Möglichkeiten der menschlichen Existenz statt: Auf der einen Seite steht der Ästhetiker, der - ähnlich wie die deutschen Frühromantiker - sein Leben als Kunstwerk inszeniert.

Der Ästhetiker ist ein Mensch, der sich an die Welt verliert, ohne sich selbst zu verwirklichen. Der Ästhetiker ist der Außenseiter der Gesellschaft - der Dandy oder der künstlerische Rebell.
... und der Ethiker
Im Gegensatz zum Ästhetiker ist der Ethiker eine Person, der den Mittelstand der Gesellschaft repräsentiert. Er ist der Inbegriff des bürgerlich-stabilen Menschen. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, eine gut bezahlte Arbeit.

Er weiß genau, was er will, und sieht sich als das Maß aller Dinge. Er hat gelernt, seine Wünsche der Realität unterzuordnen; die Nachtseite der menschlichen Existenz ist ihm unbekannt.
Der religiöse Mensch
Die Sphäre oder Stadium des Religiösen ist dann jener Bereich, der für Kierkegaards weitere Existenz eine zentrale Bedeutung annahm. Im ethischen Stadium ist die impressionistische Lebensweise des Dandys aufgehoben: Der Einzelne übernimmt zwar gesellschaftliche Verantwortung, negiert aber seine Subjektivität und verliert sich an die Allgemeinheit der Gesellschaft.
Der Sprung
Der Übergang von einem Stadium zum anderen erfolgt nicht fließend. Es bedarf einer Entscheidung, die Kierkegaard als Sprung bezeichnet: Dem Sprung in den Bereich des Religiösen geht ein Schritt voraus, den Kierkegaard als die teleologische Suspension des Ethischen nennt.

Damit ist gemeint, dass es ein Ziel gibt, das den Einzelnen berechtigt, die Dimension des Ethischen außer Kraft zu setzen.
Aufhebung der Moral
In der Schrift "Furcht und Zittern", das unter dem Pseudonym "Johannes de Silentio" 1843 veröffentlicht wurde, wird die Aufhebung der Ethik zugunsten des Glaubens am Beispiel der biblischen Geschichte über Abraham illustriert.

In dieser Erzählung geht es um die skandalöse Forderung, dass Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte, um seinen Gehorsam gegenüber Gott zu demonstrieren.
"Emporhebung" ins Christentum
Das wahrscheinlich einflussreichste Buch Kierkegaards war das 1849 publizierte Buch "Die Krankheit zum Tode", das diesmal einen "Anti-Climacus" als Verfasser aufwies.

Der Verfasser versteht sich nicht als Philosoph; sein Ziel ist eine christliche Wissenschaft, die zur Erbauung dient. Erbauung ist als eine Besorgnis, eine Beziehung zum Leben, zur Wirklichkeit des Persönlichen und zu Gott zu verstehen. Ziel ist die Erziehung, die "Emporhebung", die Therapie.
Gott ist ein strafender Gott
In seinem Werk "Einübung im Christentum" setzte Kierkegaard seine Überlegungen über das Christentum weiter fort. Er versuchte herauszufinden, was es eigentlich heißt, Christ zu sein.

Dabei wandte er sich gegen die dänische Staatskirche und gegen eine historisch-rationale Deutung der christlichen Religion. Kierkegaards Gott ist ein strafender Gott, der Furcht und Schrecken verbreitet.
Tod ohne Sakramente
Die letzten Jahre seines Schaffens verbrachte Kierkegaard in großer Verbitterung. Er wurde wegen seines radikalen Denkens zum Objekt polemischer Angriffe von Seiten der satirischen Zeitschrift "Corsar".

Auch die Streitigkeiten mit den Repräsentanten der dänischen Staatskirche setzten ihm zu. Sein väterliches Erbe ging zu Ende; seine Bücher fanden kaum Käufer; ihm drohte die soziale Deklassierung.

Auf offener Straße brach Kierkegaard zusammen. Am 11. November 1855 verstarb er, ohne die Sakramente der Kirche entgegengenommen zu haben.
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Letzte Verfügung
"Kein Leichtmatrose möge dialektisch Hand an diese Arbeit legen, sondern sie stehen lassen, wie sie nun dasteht".
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Nachklang im 20. Jahrhundert
Kierkegaards Werk übte im 20. Jahrhundert großen Einfluss aus. Philosophen wie Jean-Paul Sartre oder Martin Heidegger; Schriftsteller wie Franz Kafka oder Samuel Beckett führten auf ihre Weise die Existenzanalyse des "Versuchskaninchens" des Lebens fort, wie Kierkegaard sein Lebensprojekt bezeichnete. Theodor Adorno bezeichnete ihn als "Wahrheitszeugen", "der nicht mitspielen wollte".

Paul Ricoeur sprach von Kierkegaards "unkommunizierbarer Existenz", der den Mut hatte, der Philosophie den paradoxen Glauben entgegenzustellen.

Nikolaus Halmer, Ö1-Wissenschaft, 10.11.05
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Literaturhinweise:
Die wichtigsten Werke Kierkegaards wie "Entweder-Oder", "Furcht und Zittern" "Der Begriff Angst" oder die "Krankheit zum Tode" sind im dtv-Verlag erschienen. Die Biografie von Joakim Garff wurde ebenfalls im dtv-Verlag publiziert.

Eine Einführung von Konrad Paul Liessmann ist im Junius Verlag erhältlich und Annemarie Piepers Einführung wurde im C.H.Beck Verlag veröffentlicht.
->   Biografie von Joakim Garff (dtv-Verlag)
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->   Sören Kierkegaard Research Center, Kopenhagen
->   Kierkegaard bei Wikipedia
->   Weitere Links zu Kierkegaard
 
 
 
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01.01.2010