News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Keine Umweltgefahr durch weiße Biotechnologie  
  Obwohl die weiße Biotechnologie auf Mikroorganismen und Enzyme setzt, besteht durch sie keine Gefährdung der Umwelt. Sollten gezüchtete Stämme in die Natur gelangen, würden sie sofort absterben, erklärt Helmut Schwab vom Kompetenzzentrum für Biokatalyse in Graz im Intervíew mit Thomas Mündle vom dialog<>gentechnik.  
dialog<>gentechnik: Herr Professor Schwab, was ist die "weiße Biotechnologie"?

Schwab: Die weiße Biotechnologie ist jener Zweig der Biotechnologie, der sich mit industriellen Anwendungen beschäftigt. Der Begriff selbst ist erst seit ein paar wenigen Jahren in Gebrauch.

Industrielle Anwendungen, das kann vieles sein...

Tatsächlich ist der Begriff sehr weit gefasst. Aber die Anwendungen sind auch sehr vielfältig und reichen von Produkten für die Lederindustrie, die Waschmittelindustrie, die Zellstoff und -papierindustrie bis hin zur Medizin. Allerdings verschwimmt bei medizinischen Produkten die Grenze hin zur roten Biotechnologie [die sich mit medizinischen Anwendungen beschäftigt; Anmerkung dialog<>gentechnik].

Soll etwa die Produktion von Antibiotika zur weißen oder zur roten Biotechnologie gerechnet werden? Ich denke, beides ist möglich. Antibiotika werden aus Mikroorganismen gewonnen. Für die weiße Biotechnologie ist jedenfalls der Einsatz von Mikroorganismen und Enzymen typisch.
Drei Arbeitsfelder
Und wo genau liegt Ihr Arbeitsschwerpunkt?

Wir beschäftigen uns auch mit Mikroorganismen und Enzymen. Genauer gesagt, interessieren uns drei Felder besonders: 1. Die Expression [Produktion] von Proteinen in Escherichia coli, Hefen und Pilzen. Die Proteine werden im Labormaßstab hergestellt. Unter anderem sind auch pharmazeutisch interessante Stoffe dabei.

2. Die Suche nach neuen Enzymen aus natürlichen Quellen. Dabei interessieren uns auch neue Mikroorganismen. Die meisten Mikroorganismen sind nämlich immer noch unbekannt. Hier lässt sich noch viel entdecken 3. Enzyme Engineering. Wir wollen Enzyme für technische Anwendungen verbessern. Hier geht es darum passende Wirtszellen zu finden und gute Promotoren zu entwickeln [Promotoren können die Produktion von Enzymen verbessern].

Welche Rolle spielt dabei die Gentechnik?

Gentechnische Methoden kommen routinemäßig zum Einsatz. Der Stoffwechsel der Mikroorganismen wird beispielsweise bewusst so verändert, dass die Mikroorganismen das gewünschte Enzym im Überschuss produzieren.

Dazu können störende Gene ausgeschalten werden. Es werden aber auch Gene von einem Organismus in einen anderen verpflanzt. Damit kann ebenfalls die Effizienz der Produktion gesteigert werden.
Keine Angst vor weißer Biotechnologie
Gentechnik ist ein Wort, das für viele Menschen einen negativen Beigeschmack hat. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Arbeit ins Kreuzfeuer der Kritik gerät, genauso wie das bei der grünen Biotechnologie geschehen ist?

Nein, das glaube ich nicht. Was die Diskussion um gentechnisch veränderte Pflanzen betrifft, so denke ich, dass sie durch gewisse Umweltorganisationen enorm hochgeschaukelt wurde. Die haben sich damit ein Image aufgebaut.

Klar, dass die Menschen sensibel reagieren, wenn es um Lebensmittel geht, die sie essen sollen und dass man hier Gesundheitsrisiken ausschließen will. Ich denke jedoch, dass die Leute in zehn Jahren merken werden, dass Gene nicht giftig sind. Es braucht einfach ein Produkt mit einem eindeutigen Vorteil für den Verbraucher.

Die Bedenken gehen aber auch dahin, dass durch neuartige, gentechnisch veränderte Pflanzen sensible Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten könnten.

Die Ausbringung von gentechnisch veränderten Pflanzen in die Natur ist tatsächlich ein heikles Thema, das selbst von Experten schwierig zu bewerten ist. Hier zeigt sich aber gerade der Vorteil der weißen Biotechnologie.

Bei uns spielt sich alles in geschlossenen Bioreaktoren ab. Und sollten tatsächlich gezüchtete Stämme in die Natur gelangen, würden diese nicht lange überleben, weil sie so hochgezüchtet und empfindlich sind.
Verzicht auf giftige Chemikalien
Besitzt die weiße Biotechnologie noch andere Vorzüge?

Ja, absolut. Die weiße Biotechnologie ist nachhaltig. Das heißt: Sie kommt der Umwelt zu Gute. Die chemische Industrie beispielsweise hat die enormen Vorteile der Biokatalyse [Verwendung von Enzymen für chemische Reaktionen] erkannt. Gegenüber klassischen chemischen Verfahren kann oftmals auf giftige Chemikalien verzichtet werden. Außerdem laufen die Reaktionen unter milden Bedingungen ab.

Mit der weißen Biotechnologie lässt sich auch Geld sparen. Eine typische win-win Situation. Das Kompetenzzentrum für Angewandte Biokatalyse in Graz hat deshalb keine Probleme Kooperationspartner aus der Industrie zu finden.

Haben Sie eine konkrete Anwendung für die sich die Industrie interessiert?

Wir haben zwei Enzyme, so genannte Hydroxynitrillyasen. Diese können eine Reaktion katalysieren, bei der das Produkt sich kaum voneinander unterscheidet - so wie die rechte und die linke Hand eines Menschen. Ein Enzym produziert nur die rechte Hande; das andere nur die linke.

Auf chemischem Wege sind solch feine Unterschiede nur sehr schwierig herzustellen. Für die Industrie sind sie aber sehr interessant, da oftmals nur eine Form pharmazeutisch wirksam ist, die andere sogar schädlich sein kann.
Österreich mit guter Startposition
Wo steht Österreich im Vergleich zu anderen EU-Ländern im Bereich der weißen Biotechnologie? Und wie die EU im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA oder Japan?

Weltweit kann ein enormes Wachstum in diesem Bereich beobachtet werden. Neben dem Kompetenzzentrum in Graz gibt es in Europa ähnliche Cluster in England und in Deutschland. Die USA sind zwar führend, was das Auffinden von interessanten, neuen Organismen betrifft, aber Europa ist stark im Bereich der Weiterentwicklung hin zu konkreten industriellen Anwendungen. Österreich hat hier durchaus eine gute Startposition. Das Kompetenzzentrum in Graz braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen.

Auch haben wir mit einigen Firmen hier in Österreich eine gewisse Tradition in diesem Bereich. Ich denke da etwa an die Sandoz in Kundl (ex-Biochemie Kundl) und die Jungbunzlauer AG. Erstere hat langjährige Erfahrung mit Antibiotika und letztere ist ¿ was viele nicht wissen - ein Weltproduzent von Zitronensäure [alles Stoffe, die mit Mikroorganismen hergestellt werden].

Hat die Politik die Wichtigkeit dieser Zukunftstechnologie erkannt? Wie sieht es aus mit Fördermitteln?

Was die Förderung durch die EU betrifft, so bin ich zuversichtlich, dass wir im 7. Rahmenprogramm berücksichtigt werden. Vom österreichischen Staat erhält das Kompetenzzentrum eine gute finanzielle Unterstützung.

Die Universitäten hingegen scheinen regelrecht ausgehungert zu werden. Unser Institut bekommt so wenig Geld, dass die Grundinfrastrukur - etwa zur Reparatur und Instandhaltung von Geräten - gefährdet ist. Kurzum: Hier ist die Förderlage einfach katastrophal.

[28.11.05]
...
Das Interview mit Prof. Helmut Schwab führte Thomas Mündle, der derzeit den Lehrgang für Wissenschaftskommunikation an der Universität Wien absolviert, im Rahmen eines Praktikums beim Verein dialog<>gentechnik.
->   Zum dialog<>gentechnik
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010