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"Brain-Drain": Kein Verlust, sondern Gewinn für alle  
  "Brain-Drain" - die Abwanderung hochqualifizierter Forscher ins Ausland - wird von Politik und Wirtschaft vielfach beklagt. Hubert Markl, Biologe und ehemaliger Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, hält von diesen Klagen nicht viel.  
Wissenschaft, so meint er, ist ein globales gesellschaftliches Projekt, das durch den Austausch unterschiedlicher Kulturen, Denkschulen und Traditionen stimuliert wird - zum Vorteil aller Beteiligten.

In einem Gastbeitrag in der amerikanischen Fachzeitschrift "Science" plädiert er für einen "battle of - not for - brains".
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Markl schrieb das Editorial der aktuellen Ausgabe von "Science" (Bd. 310, S. 158; 9.12.05) unter dem Titel "Battle for the Brains?"
->   Science
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Abwanderung von Forschern v.a. in die USA
Die Gründe für die Abwanderung von Wissenschaftlern in andere Länder sind bekannt: Bessere Ausstattung von Labors und Bibliotheken, höhere Einkommen und weniger Bürokratie locken viele Forscher in inhaltlicher wie auch ökonomischer Hinsicht.

Unter den Stichworten "Brain-Drain" bzw. "Brain-Gain" wird seit Jahren über Strategien diskutiert, wie man dem Phänomen begegnen könnte.

Die Anglizismen verraten auch schon, in welche Richtung diese Abwanderung geht - in die USA. (Denn bei "Gehirnverlust" oder "Verstandesabfluss" würde sich wohl eine andere Debatte entspinnen.)
Logik der nationalen Standortpolitik
Dass sich hinter diesen Diskussionen immer die Logik nationaler Standortpolitik verbirgt, darauf macht Hubert Markl in seinem Beitrag aufmerksam.

"Wenn Politiker über 'Brain-Drain' klagen, zeichnen sie ein Bild von wissenschaftlichen Talenten als eine Art nationales Erbe oder gar Eigentum."

Der Abgang dieser "Humanressourcen" werde als Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit ihres Landes betrachtet.
Wissenschaft: Globales soziales Unterfangen
Markl betont in seinem Beitrag, dass es sich bei den "Humanressourcen" aber noch immer um Individuen handle, die aus sehr unterschiedlichen Motiven den Gang an eine andere Forschungsstätte antreten.

Außerdem erweise sich der Austausch von Wissenschaftlern langfristig für alle beteiligten Seiten als positiv.

"Die Wissenschaft als weltweites soziales Unterfangen muss ständig durch die Verschiedenheit von kulturellen Traditionen, Sprachen, Schriften, Erziehungsweisen und Geschlechtern stimuliert werden", schreibt Markl.
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Initiative deutscher Forscher in den USA
Trotz vieler Vorteile von US-Universitäten wünschen sich etwa viele deutsche Jungforscher in Nordamerika eine Rückkehr nach Europa. Rund 450 von ihnen haben sich vor kurzem in einem offenen Brief für eine bessere Hochschullandschaft ausgesprochen. Im Rahmen der Initiative "Zukunft Wissenschaft" fordern sie u.a., dass erfolgreichen Juniorprofessoren eine langfristige berufliche Perspektive geboten wird und dass Berufungsverfahren für Professorenstellen transparenter gestaltet werden.
->   Zukunft Wissenschaft
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Wanderung nicht verhindern, sondern fördern
Die Gesellschaften sollten nicht verhindern, dass junge Talente in andere Länder gehen, um sich zu entwickeln, sondern genau dies fördern.

Nur auf diese Weise ließen sich die vor uns liegenden globalen Probleme wie Klimawandel, Sicherstellung der Energie- und Wasserversorgung sowie Bekämpfung Infektionskrankheiten lösen, betont Markl.
Brain circulation statt "Brain-Drain"
Die Konzentration von Top-Forschern in gewissen Gegenden habe sich in der Vergangenheit als sehr positiv für den wissenschaftlichen Fortschritt erwiesen, schreibt Markl. Das muss aber keine Einbahn bleiben.

So hält er ein Plädoyer für den Austausch von Wissenschaftlern in beide Richtungen über den Atlantik. Auch die Regierung der USA solle ihre Talente ermutigen, ins Ausland zu gehen. Praktisches Beispiel: Ein Viertel der 278 wissenschaftlichen Leiter der Max-Planck-Gesellschaft seien keine Deutschen, darunter viele Amerikaner.

Statt "Brain-Drain" zu befürchten, soll man lieber "Brain-Circulation" zulassen, wie das vor kurzem die Wiener Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny genannt hat.
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Forscher-Rückholaktion "brainpower austria"
Vor knapp zwei Jahren wurde vom Infrastrukturministerium die Initiative "brainpower austria" gegründet. Die Job-Börse richtet sich primär an im Ausland tätige heimische Forscher und soll ihnen die Rückkehr nach Österreich erleichtern. Wie Forschungsstaatssekretär Eduard Mainoni (BZÖ) im Jänner dieses Jahres mitteilte, wurden seit Beginn der Initiative sieben Wissenschaftler vermittelt.
->   Mehr dazu: Forscher-Rückholprogramm mit kleinen Erfolgen (13.1.05)
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Entwicklungsländer bleiben unbeachtet
Was bei der Analyse von Markl zweifellos fehlt, ist der Hinweis auf die weniger entwickelten Länder. Gleichgültig, ob "frei zirkulierend" oder "zielgerichtet Richtung USA" können es sich die hoch entwickelten Industriestaaten noch leisten, gut ausgebildete Menschen zu verlieren.

In den Entwicklungsländern hingegen hat die Abwanderung von Ärzten oder anderem dringend benötigten Fachpersonal aber weit dramatischere Auswirkungen.

Noch vor der Lösung globaler Menschheitsprobleme müssen sie nämlich tagtäglich unter widrigsten Umständen ihre Profession ausüben, sehr handfest und sehr anlassbezogen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 9.12.05
->   Hubert Markl (Universität Konstanz)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Schlechte Berufssaussichten schuld am "Brain-Drain" (4.4.05)
->   Brain-Drain geringer als häufig dargestellt (5.5.04)
->   USA: Anti-Terror-Politik dezimiert Gastforscher (19.1.04)
 
 
 
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01.01.2010