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Spieltheoretische Analyse von Konflikt und Kooperation  
  Der Preis der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaft im Gedenken an Alfred Nobel wird am Samstag an Robert Aumann und Thomas C. Schelling für ihre spieltheoretischen Beiträge zu Konflikt und Kooperation in wiederholten Interaktionen verliehen. Die beiden Innsbrucker Ökonomen Martin Kocher und Matthias Sutter würdigen in einem Gastbeitrag die Arbeit von Aumann und Schelling.  
Zum Nobelpreis an Robert Aumann und Thomas Schelling
Von Martin Kocher und Matthias Sutter

Der zweite Nobelpreis für den Bereich Spieltheorie (nach 1994 für John Nash, John Harsanyi und Reinhard Selten) zeigt die große Bedeutung der Spieltheorie für die Wirtschaftswissenschaften und viele andere Sozialwissenschaften.

Thomas Schelling (Universität von Maryland) wird der Preis unter anderem für die Analyse von "Verhandlungssituationen" zuerkannt, in denen die Parteien konfligierende Interessen haben, aber von einer Einigung potenziell profitieren können.

Dies gilt beispielsweise, wenn sich zwei Staaten um die Souveränitätsrechte bezüglich eines Stücks Land streiten und unabhängig voneinander entscheiden, ob sie ihre Truppen mobilisieren oder nicht.
Gleichgewicht des Schreckens
Schelling untersuchte die Wirkungen von Selbstbindung (etwa einer politischen Deklaration nicht nachzugeben), Glaubwürdigkeit (die man sich durch Taten in der Vergangenheit erwirbt) oder Abschreckung in solchen Konfliktsituationen.

Etwa hat er gezeigt, dass ein atomares Gleichgewicht des Schreckens entscheidend davon abhängt, dass ein Staat auf einen möglichen Erstschlag mit einem Zweitschlag antworten kann. Ist Letzteres nicht der Fall, wird ein Atomangriff wahrscheinlicher, als wenn ein Zweitschlag möglich ist.
Für Ghettobildung reicht schon kleine Präferenz
Schelling hat sich auch mit der Ghettobildung in Großstädten beschäftigt, was angesichts der Bilder von brennenden Vorstädten in Frankreich nichts an ihrer Aktualität eingebüßt hat.

Mit Hilfe eines "Schachbrettmodells" zeigte Schelling, dass für eine vollständige Segregation unterschiedlicher Bewohnergruppen einer Stadt nicht - wie intuitiv vermutet - rassistische oder fremdenfeindliche Überzeugungen Voraussetzung sind.

Schon eine kleine Präferenz dafür, in seiner Nachbarschaft nicht in der Minderheit zu wohnen, reicht aus, um eine Situation völliger Segregation zu erhalten.
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Eine gute Simulation des Schachbrettmodells der Segregation von Thomas Schelling findet sich hier:
->   The Schelling Segregation Model
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Aumann: Wiederholte Interaktionen
Von Robert Aumanns (Hebräische Universität von Jerusalem) zahlreichen Beiträgen hat die Analyse von wiederholten Interaktionen ohne Zweifel den größten Einfluss gehabt.

Der Bogen wiederholter Interaktionen reicht etwa von Entscheidungen innerhalb der Familie bis hin zu wiederkehrenden Verhandlungen von Staaten in supranationalen Organisationen.

Eine häufig angeführte Anwendung im ökonomischen Bereich sind Wettbewerber, die in vielen Perioden miteinander zu tun haben und durch ihre Preisentscheidungen miteinander interagieren (z.B. benachbarte Tankstellen).
Kooperation ist rational
Obwohl es in vielen einmaligen (nicht-wiederholten) Interaktionen individuell rational ist, nicht zu kooperieren um seinen Gewinn zu maximieren, zeigte Aumann, dass in wiederholten Interaktion Kooperation völlig rational sein.

Dies erklärt z. B., warum die Wahrscheinlichkeit, als einmaliger Konsument in einem Lokal oder einem Geschäft (zum Beispiel im Urlaub) über den Tisch gezogen zu werden, größer ist, als wenn der Besuch der Lokalität oder des Geschäfts regelmäßig erfolgt.
Beiträge zur Spieltheorie
Über die Analyse wiederholter Interaktion hinaus hat der "gelernte" Mathematiker Aumann unzählige methodisch wichtige Arbeiten im Bereich Spieltheorie verfasst (etwa zum Konzept des gemeinsamen Wissens), deren Bedeutung für die formale Analyse sozialer Interaktion weltweit anerkannt ist.
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In einem empfehlens- und lesenswerten Interview mit Sergiu Hart beschreibt Robert Aumann detailliert seinen biografischen Werdegang und die wesentlichen Forschungsfragen, denen er sich in seinem Leben gewidmet hat. Das Interview ist hier nachzulesen:
->   An Interview with Robert Aumann
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Unterschiedliche Ansätze, gemeinsame Ziele
Es ist abschließend bemerkenswert, dass das Vergabekomitee der Königlichen Schwedische Akademie der Wissenschaften in diesem Jahr zwei Forscher auszeichnet, deren Ansätze völlig unterschiedlich sind, da Aumanns Ansatz als mathematisch und jener von Schelling als intuitiv und mit vielen Beispielen gestützt bezeichnet werden muss.

Es ist die gemeinsame Forschungsfrage - wie sich Konflikt und Kooperation in Gesellschaften erklären lassen - die beide Forscher verbindet.

[9.12.05]
->   Live-Übertragung der Nobelpreisverleihung am 10.12.05
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Über die Autoren
Martin Kocher und Matthias Sutter sind für Auslandsaufenthalte freigestellte Mitarbeiter des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck.
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->   Martin Kocher
->   Matthias Sutter
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Eine längere deutschsprachige Analyse der Arbeiten von Thomas Schelling und Robert Aumann erscheint in der Dezemberausgabe der wirtschaftlichen Monatszeitschrift "Wirtschaftsdienst".
->   Wirtschaftsdienst
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Ein weiterer Gastbeitrag von Martin Kocher und Matthias Sutter:
->   Diskriminierung: Warum Schiedsrichter oft ungerecht sind (27.5.03)
 
 
 
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01.01.2010