News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 
Pest als Auslöser der mittelalterlichen Eiszeit?  
  Ein US-Forscher vermutet, dass die Beulenpest jene Kaltperiode während des Mittelalters ausgelöst hat, die man auch "kleine Eiszeit" nennt. Sein Argument: Da Millionen Menschen durch die Pandemie starben, lagen Agrarflächen brach und wurden von Wald überwuchert. Das wiederum habe der Atmosphäre so viel Kohlendioxid entzogen, dass die Temperatur für vier Jahrhunderte deutlich sank.  
Forscher um Thomas van Hoof von der Universität Utrecht haben nun Daten erhoben, die diese These unterstützen. In den Niederlanden ging die Ankunft der Pest tatsächlich mit einem Absinken des atmosphärischen Kohlendioxids einher.
...
Die Studie "Forest re-growth on medieval farmland after the Black Death pandemic - Implications for atmospheric CO2 levels" von Thomas B. van Hoof erschien in "Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology" (doi: 10.1016/j.palaeo.2005.12.013).
->   Zum Abstract
...
Anthropogener Treibhauseffekt
Klassicherweise lässt man die Ära der menschlichen Klimabeeinflussung mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert beginnen. Sie führte zu einer grundlegenden Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung in Europa und kurbelte den Verbrauch von (fossilen) Energieträgern und anderen natürlichen Ressourcen stark an.

Emissionen von Treibhausgasen hätten wiederum, so die gängige Argumentation, jenen Prozess eingeleitet, den wir nun als anthropogenen Treibhauseffekt erleben.
Beginn vor 8.000 Jahren?
Der US-amerikanische Klimaforscher William F. Ruddiman sieht das anders. Seiner Ansicht nach markiert nicht die industrielle Revolution den Beginn menschlicher Klimabeeinflussung, sondern vielmehr die neolithische.

Ruddiman baut seine Argumentation folgendermaßen auf: Es gebe in der Klimageschichte, was die Konzentration atmosphärischer Treibhausgasen betrifft, globale Trends, die primär von der Erdumlaufbahn abhängen. Vor rund 8.000 Jahren habe jedoch beim Kohlendioxid eine anomale Entwicklung eingesetzt, die sich diesem Trend widersetzte.

Ähnlich war es beim Methan 3.000 Jahre später: Auch dessen Konzentrationskurve sollte eigentlich nach kosmischen Bedingungen nach unten führen, stieg aber plötzlich an.
Plus an Treibhausgasen durch Abholzungen
Für Ruddiman kein Zufall. Er führt ins Treffen, dass der Übergang von Jäger- und Sammler-Gesellschaften zu einer agrarischen Lebensweise während der neolithischen Revolution zu massiven Abholzungen, Eingriffen in den natürlichen Wasserhaushalt u.ä. geführt habe. Nur diese Faktoren seien imstande, die anomale Entwicklung der Treibhausgase zu erklären (Climate Change, Bd. 61, S. 261).
Abkühlung durch die Pest?
Allerdings wurde diese Trendumkehr zwischenzeitlich aufgehoben, und zwar während der so genannten kleinen Eiszeit, die etwa von 1450 bis 1850 dauerte. Ihr Auftreten wird traditionell mit einer verringerten Sonneneinstrahlung und/oder gesteigerter vulkansicher Aktivität erklärt. Ruddiman vermutet hingegen, dass auch sie - indirekt - mit dem Menschen zu tun haben könnte. Und zwar mit der im Mittelalter wütenden Beulenpest.

Diese Pandemie habe so viele Menschen dahingerafft, dass dadurch große Teile der Landwirtschaft zusammengebrochen seien und somit Wald auf einstigen Agrarflächen wachsen konnte. Das sei, so Ruddiman, die tatsächliche Begründung für den zwischenzeitlich reduzierten CO2-Gehalt in der Atmosphäre.
->   Kleine Eiszeit - Wikipedia
Landwirtschaft ging zurück
Die These klingt einigermaßen spekulativ, bekam aber nun Unterstützung von niederländischen Forschern. Ein Team um Thomas van Hoof untersuchte die Ablagerungen im Altwasser des Flusses Roer, welche offenbar ein bis zum Jahr 1000 zurückreichendes Klimaarchiv darstellen.

Anhand der relativen Verbreitung verschiedener Pollenarten (Buchweizen, Birke, Eiche) in den Sedimenten eruierten die Paläontologen, in welchem Ausmaß die Region um die Probenstelle landwirtschaftlich genutzt wurde.

Das Ergebnis: Von 1200 an gab es eine stetige Zunahme der Nutzung, die im Jahr 1347 jäh beendet wurde. In diesem Jahr brach vermutlich der Schwarze Tod, wie die Beulenpest auch genannt wird, über den Landstrich herein.
->   Pest - Wikipedia
Kohlendioxid-Gehalt sank tatsächlich
Das allein hat allerdings noch keine klimatologische Relevanz. Die Beziehung zum Kohldioxid-Gehalt in der Atmosphäre stellte van Hoof und seine Mitarbeiter durch die Analyse von Spaltöffnungen in sedimentierten Blättern her.

Mit letzteren erfolgt der Gasaustausch der Pflanze mit ihrer Umgebung, wobei grundsätzlich folgende Regel gilt: Sind viele Spaltöffnungen (Stomata) vorhanden, deutet das auf eine geringe Konzentration von Kohlendioxid hin, sind es wenige, gibt es mehr von dem Treibhausgas in der Atmosphäre.

"Zwischen 1200 und 1300 n. Chr. sehen wir eine Abnahme der Spaltöffnungen und somit eine starke Zunahme des atmosphärischen Kohlendioxids", sagt van Hoof gegenüber der BBC: "Vermutlich wegen der damals einsetzenden Abholzung." Aber 1350 habe sich dieser Trend abrupt umgekehrt - also nur drei Jahre nachdem die Pest ins Land gezogen war.

Van Hoof und seine Mitarbeiter sehen damit die These von Ruddiman bestätigt und gehen davon aus, dass die Pest der Auslöser der mittelalterlichen Eiszeit war.
->   Stoma - Wikipedia
Fachkollegen dennoch skeptisch
Allerdings zeigen sich nicht alle Klimaforscher von dieser Erklärung überzeugt. Tim Lenton von der University of East Anglia meint etwa gegenüber der BBC: "Eine nette Studie, aber der Kohlendioxid-Gehalt alleine kann wohl nicht alle klimatischen Veränderungen dieser Zeit erklären."

[science.ORF.at, 28.2.06]
->   Website von Thomas van Hoof
->   Website von William F. Ruddiman
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010