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Kernfusion im Becherglas: Nur heiße Luft?  
  Im Jahr 2002 behauptete ein in den USA forschender Physiker, dass ihm die Kernfusion mit einer simplen Aceton-Probe gelungen sei. Die Experimente wurden bereits als mögliche Lösung aller Energieprobleme gefeiert, konnten jedoch nicht von anderen Forschergruppen reproduziert werden. Nun kommen Fachleute zu dem Schluss: Die Kernfusion im Becherglas ist eine Illusion.  
Das berichtet etwa der Physiker Brian Nanjo von der University of California, der die vorliegenden Daten zur so genannten Sono-Fusion analysiert hat.

Ähnlich urteilt auch das US-Patentamt: Es hat einen Antrag zur Patentierung der Technologie nun endgültig abgelehnt.
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Das Feature "Bubble fusion: silencing the hype" erschien auf der Website von "Nature" (doi:10.1038/news060306-1; 8. März 2006).
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Vorbild Sonne
Die Kernfusion ist jener Vorgang, bei dem beispielsweise unsere Sonne Energie gewinnt. Dabei werden leichte Atomkerne zu einem schwereren Kern verschmolzen.

Allerdings gilt es dabei zunächst eine Barriere zu überwinden: Da sich die Kerne wegen der gleichartigen Ladung ihrer Protonen abstoßen, läuft die Reaktion nur in Plasma, d.h. unter extremen physikalischen Bedingungen ab.

So herrscht etwa im Zentrum der Sonne ein Druck von 2 mal 1016 Pascal und eine Temperatur von rund 15 Millionen Grad.
Mehr als 100 Millionen Grad notwendig
Dementsprechend aufwändig gestaltet sich der Bau des Fusionsreaktors ITER, der bis zum Jahr 2015 im französischen Cardarache entstehen soll. Hier liegt die erforderliche Zündtemperatur sogar im Bereich von mehr als 100 Millionen Grad, da unter irdischen Bedingungen kein so hoher Druck erzeugt werden kann.

Was sich auch in den Finanzbüchern bemerkbar macht - veranschlagter Kostenpunkt des Unternehmens ITER: 9,6 Milliarden Euro.
->   ITER - Wikipedia
Billige Alternative?
Bild: Oak Ridge National Laboratory
Rusi Taleyarkhan
Nach Ansicht des russisch-stämmigen Physikers Rusi Taleyarkhan gibt es dazu eine erstaunlich einfache und billige Alternative. Er stellte bereits im Jahr 2002 ein Aufsehen erregendes Experiment vor, bei dem er Fusionsreaktionen quasi im Becherglas realisiert haben will (Science, Bd. 295, S. 1868).

Dabei verwendete er eine Probe Aceton - bekannt als Hauptbestandteil von Nagellackentfernern, dessen Wasserstoff durch das Isotop Deuterium ersetzt worden war. Dieses beschoss er mit Neutronen, woraufhin sich Bläschen bildeten, die Taleyarkhan und seine Mitarbeiter mit Schallwellen zum Kollabieren brachten.
->   Kernfusion: Zwischen Hoffnung und Skepsis (5.3.02)
Extreme Temperaturen: Sonolumineszenz
Letzteres klingt unspektakulär, hat es aber in sich: Seit den 1930ern wissen Physiker, dass man Flüssigkeiten durch starken Schalldruck zur Bildung von Bläschen anregen kann, die kurz darauf wieder kollabieren.

Dieser Prozess ist deswegen interessant, weil dabei offenbar auf begrenztem Raum extreme Energien freiwerden. Das äußert sich unter anderem darin, dass die Flüssigkeiten kurz aufleuchten - weswegen man das Phänomen "Sonolumineszenz" nennt. Warum sie leuchten, ist bis heute nicht vollständig geklärt.

Zum zweiten wird dabei eine Menge Energie in Form von Wärme freigesetzt. Wieviel, ist ebenfalls Gegenstand heftiger Debatten: Die meisten Fachleute gehen von Temperaturen um 10.000 Grad aus, manche meinen, dass auch Millionen Grad erreicht werden könnten.
->   Sonolumineszenz - Wikipedia
Experiment: Hinweise auf Fusion
Taleyarkhan neigt letzterer Deutung zu, nicht zuletzt wegen seines eigenen Experiments: Er und seine Mitarbeiter wiesen nämlich Neutronen und Tritium nach, was darauf hinweist, dass in den Bläschen eine Fusion von Deuteriumkernen stattgefunden haben könnte.

Das nährte wiederum die Hoffnung, dass man diese Technologie dereinst zur Energiegewinnung einsetzen könnte.

Allerdings blieb diese Interpretation nicht unwidersprochen: Kritiker meinten etwa, dass die detektierten Neutronen auch aus dem Neutronenstrahl stammen könnten, mit dem die Aceton-Probe beschossen worden war.
Nur in einem Labor reproduzierbar
Soweit der Stand der Debatte im Jahr 2002. Mittlerweile gab es nicht wenige Versuche, Taleyarkhans Experimente in anderen Labors zu reproduzieren - sie verliefen alle ohne Erfolg.

Mehr Glück hatte hingegen das Team um Taleyarkhan: Seinen Mitarbeiter Yiban Xu und Adam Butt gelang letztes Jahr eine Variation der Sono-Fusion (Nuclear Engineering and Design, Bd. 235, S. 1317) und Taleyarkhan selbst publizierte erst kürzlich in den renommierten "Physical Review Letters" (Bd. 96, 034301) eine Studie, in der er erhobene Einwände - aus seiner Sicht - widerlegte.
Bubble Trouble
Wie nun die Zeitschrift "Nature" in ihrer Onlineausgabe berichtet, herrscht in der scientific community dennoch massive Skepsis vor: Zum einen hat Brian Nanjo von der University of California die letzte Studie von Taleyarkhan genauer analysiert und kommt zu dem Schluss, dass die nachgewiesenen Neutronen durch herkömmlichen radioaktiven Zerfall erklärbar seien - und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 100 Millionen (Artikel).

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch das US-Patentamt: Der Antrag zur Patentierung der Sono-Fusions-Technologie wurde laut "Nature" nun endgültig abgelehnt.

Zum zweiten regt sich innerhalb von Taleyarkhans Kollegenschaft an der Purdue University Unmut, weil dieser nach wie vor die Rohdaten seiner Experimente unter Verschluss halte und Ausrüstung in sein eigenes Labor abtransportiert habe, mit der andere Fakultätsmitglieder die Sono-Fusion reproduzieren wollten.

Drittens wurde nun bekannt, dass die Gutachter von Taleyarkhans Studie aus dem Jahr 2002 öffentlich gegen deren Veröffentlichung im Fachjournal "Science" protestierten - ein äußerst ungewöhnlicher Schritt, da das Peer-Review in der Regel anonym abläuft (Artikel).
Auch Streit um "große" Kernfusion
War also die ganze Chose lediglich ein Sturm im Becherglas? Folgt man dem Urteil der von "Nature" zitierten Fachleute, dann ist der Hype um die Bläschen-Fusion selbst eine Blase, die alsbald zerplatzen wird. Zu dumm nur, dass ausgerechnet diese Woche auch ein Streit um die "große" Kernfusion ausgebrochen ist.

Der mittlerweile verstorbene Kernphysiker William E. Parkins kommt in einem nun veröffentlichten Manuskript zu dem vernichtenden Urteil, Kernfusionsreaktoren würden nie mehr Geld und Energie abwerfen, als man zuvor in sie hineingesteckt hat (Science, Bd. 311, S.1380).

Für David Ward von der britischen Atomenergie-Behörde ist das allerdings Schnee von gestern: "Ich bin überrascht, dass das erneut publiziert wurde. Dies kam bereits in den frühen 90ern zur Sprache und wurde schon damals widerlegt."

Robert Czepel, science.ORF.at, 10.3.06
->   Bubble fusion - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Fusionsreaktor ITER wird in Frankreich gebaut (28.6.05)
->   Kernfusion auf dem Labortisch präsentiert (28.4.05)
->   Fusionskraftwerke als Energiequelle der Zukunft? (27.2.02)
 
 
 
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01.01.2010