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Uni Wien von 1945 bis 1955: Neuanfang mit Altlasten  
  Ein neues Buch untersucht die Geschichte der Universität Wien nach dem Zweiten Weltkrieg. Materielle Not und Wiederaufbau werden ebenso thematisiert wie Entnazifizierungs-Maßnahmen und "Rückbrüche in den Austrofaschismus", die Abhängigkeit vom Unterrichtsministerium und die bescheidenen Versuche einer Reintegration vertriebener Wissenschaftler.  
"Das Erbe aus der Zeit des Nationalsozialismus ebenso wie jenes aus den 1930er Jahren erwiesen sich in vielen Bereichen als schwere Altlasten, die nur mühsam oder auch gar nicht und erst in den 1960er- und 1970er-Jahren bewältigt werden konnten", schreiben die Historiker Margarete Grandner, Gernot Heiss und Oliver Rathkolb in dem von ihnen herausgegebenen Buch, das am Montag in Wien präsentiert wurde.
Autoritäre Strukturen blieben bestehen
Deutlich wird, dass die Uni Wien während der ersten Nachkriegsjahre "im 'sanften Rückbruch' in die Zeit vor 1938 stecken geblieben ist, ohne natürlich die radikalen ideologischen Rahmenbedingungen fortzuschreiben".

Doch "autoritäre Strukturen und traditionelle inhaltliche Einengungen auf nationale bzw. bilaterale Forschungs- und Lehrräume blieben bestehen", schreibt Rathkolb.
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"Zukunft mit Altlasten - Die Universität Wien 1945 bis 1955", Herausgeber: Margarete Grandner, Gernot Heiss, Oliver Rathkolb, Studienverlag, 384 Seiten, 24,90 Euro
->   Das Buch im Studienbuchverlag
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Zurück zum Personal des Ständestaats
Das Konzept der "Reinigung" der Universität nach der Befreiung sei rechtlich, organisatorisch und personalpolitisch von einer Rückkehr zur Situation vor dem 13. März 1938 ausgegangen, schreibt Heiss.

Auch wenn damit "kaum demokratiepolitisch Bedenkliches aus dem Ständestaat übernommen wurde", seien es Personen, die nach 1938 als konservativ, deutschnational und parteiunabhängig ihre Professuren behalten hatten, bzw. Anhänger des Ständestaates gewesen, die die Neuorganisation der Universität übernahmen.
Restauration der katholisch Konservativen
Bei den Professorenberufungen in den ersten Nachkriegsjahren habe ebenso wie im Senat, "dessen konservative Zusammensetzung wohl diesen allgemeinen Trend verstärkt hatte, eine Restauration der katholisch Konservativen" stattgefunden, so Heiss, was für das folgende Jahrzehnt "eine Vorherrschaft des Cartellverbandes (CV) an der Universität" bedeutete.
Rehabilitierung der NSDAP-Mitglieder
Nach anfänglich strenger Linie bei der Entnazifizierung kam es schon bald zu einer großzügigeren Auslegung der Gesetze. Schließlich hätte etwa an der Medizinischen Fakultät "eine sofortige Entlassung aller NSDAP-Mitglieder und -Anwärter den Zusammenbruch des Klinikbetriebs bedeutet", schreibt Ingrid Arias im Beitrag über die Medizinische Fakultät.

Das Nationalsozialistengesetz von 1947 und die Minderbelastetenamnestie 1948 hätten dann zur Rückkehr vieler belasteter Universitätslehrer geführt, wobei sich die Phase der politischen und beruflichen Rehabilitierung bis in die 60er-Jahre hinzog.
Kaum Reintegration der Vertriebenen
Durch den nachlassenden politischen Druck zur Entnazifizierung, hat aber "auch der Druck auf die Reintegration von vertriebenen Wissenschaftlern aus dem Exil nachgelassen", so Rathkolb.

Außerdem habe die Wiedereinstellung der 1938 entlassenen oder pensionierten Ordinarien und vor allem die Aufwertung von Privatdozenten dominiert, der bürokratische Aufwand für eine Rückkehr sei enorm gewesen und die rechtlichen Rahmenbedingungen eher hinderlich.
Ministerium zeigte wenig Interesse
Dazu kam mangelndes Interesse der Ministerialbürokratie an Berufungen aus dem Ausland. Unterrichts- und Finanzministerium hätten sich bei Berufungs- und Rückberufungsverhandlungen meist "fahrlässig zögernd verhalten" und seien kaum zu substanziellen Konzessionen bereit gewesen, so Heiss.

So sah sich 1949 die Rektorenkonferenz genötigt, "den Grundsatz (des Unterrichtsministeriums), Berufungen aus dem Ausland zu vermeiden, abzulehnen".

[science.ORF.at/APA, 13.3.06]
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01.01.2010