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Künstliche Muskeln mit Brennstoff betrieben  
  Ob bei vielen Prothesen für fehlende Gliedmaßen oder autonomen Robotern: Ohne Batterien und Motoren fehlt der Antrieb. Ein Team von Nanotechnologen hat nun noch einmal eingehend die Baupläne der Natur studiert und eine Methode entwickelt, wie "künstliche Muskeln" ohne elektrischen Strom aus der Batterie auskommen - sie nutzen stattdessen einen energiereichen Brennstoff wie etwa Methanol.  
Der US-Chemiker Howard Ebron und seine Kollegen konstruierten künstliche "Muskeln", die Brennstoffzelle und Muskel in einem sind - so wird die chemische Energie aus dem zugeführten Brennstoff gleich in mechanische Energie umgewandelt.

Die mit Alkohol und Wasserstoff betriebenen künstlichen Muskeln sollen 100 Mal stärker sein als natürliche Muskeln und - bei reduzierter Stärke - auch zu einer größeren Kontraktion imstande sein.

Davon könnten laut Ebron zukünftig künstliche Glieder profitieren und autonome Robotern zu längeren "Missionen" fähig sein, als dies Batterien bisher zugelassen haben.
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Der Artikel "Fuel-Powered Artificial Muscles" ist in der Fachzeitschrift "Science" (17. März 2006, DOI: 10.1126/science.1120182) erschienen.
->   Abstract
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Das Ende der Batterie?
Was beim Menschen die Nahrung ist, das war bei Robotern bisher die elektrische Ladung aus der Steckdose oder Batterie - die Energiequelle. Allerdings haben Batterien einen nur begrenzten Speicher und stellen Energie nur auf relativ geringem Niveau zur Verfügung, die keine sehr "intensive" Arbeit zulässt, schreiben die Wissenschaftler. Hinzu kommen lange Ladezeiten der Akkus.

Die von den Nanotechnologen entwickelten künstlichen Muskeln scheinen das Problem nicht zu kennen: Beide Muskeltypen können - wie auch die natürlichen Muskeln - chemische Energie eines Brennstoffs in mechanische Energie verwandeln. Sie sind damit nicht nur Muskel, sondern gleichzeitig auch Brennstoffzelle.
Muskeltyp 1: Drei Funktionen in einem
Bei dem ersten Typ wird eine Elektrode in Form eines winzigen Röhrchens aus Kohlenstoff, einem so genannten "Carbon Nanotube" mit Katalysator, als Brennstoffzelle verwendet, die chemische in elektrische Energie umwandelt.

Gleichzeitig wirkt die Elektrode als Kondensator, um diese elektrische Energie zu lagern. Und zu guter letzt wandelt die Elektrode elektrische Energie in mechanische Energie um.

"Damit ermöglicht die mit Brennstoff versorgte 'Carbon Nanotube'-Elektrode die entscheidenden Veränderungen, die Dinge in Bewegung setzen können. Dabei laufen quantenmechanische und elektrostatische Effekte im Nano-Maßstab ab", erläutert Co-Autor Ray H. Baughman.
->   Elektrode bei Wikipedia
Muskeltyp 2: Kreisläufe von Muskelkontraktionen
 
Bild: J. Oh, M. Kozlov, V. H. Ebron, R. H. Baughman / Science

Beim zweiten Typ kommt die Temperatur mit ins Spiel: Bei dem laut Autoren derzeit kräftigsten künstlichen Muskel wird die chemische Brennstoff-Energie über eine katalytische Reaktion mit Sauerstoff der Luft zu Hitze umgewandelt. Beim Temperaturanstieg zieht sich ein Draht aus so genanntem Memorymetall (shape memory wire) zusammen, anschließende Abkühlung bewirkt seine Ausdehnung.

Die zwei Bilder oben zeigen das ausgedehnte (links) und zusammengezogene (rechts) Stadium des konstruierten "Muskels", der dabei ein Gewicht von 50 Gramm hebt bzw. senkt.

Das als Brennstoff eingesetzte Methanol verdunstet im Behälter und reagiert mit der Luft auf der mit Platin beschichteten Nickel-Titan-Drahtfeder (NiTi shape memory wire): Bei Hitze zieht sich die Feder zusammen, gleichzeitig wird auch die Methanol-Versorgung blockiert.

Ohne das Methanol erfolgt eine Abkühlung - die Feder verlängert sich und hebt die Blockierung des Methanolflusses auf: Der Prozess startet von neuem.
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Formgedächtnis bei Werkstoffen
Einige Werkstoffe besitzen ein "Erinnerungsvermögen": Sie erinnern sich an die Form, die sie vor einer Verformung hatten. In den Materialwissenschaften spricht man von Formgedächtnis. Die Formveränderung - Ursprung und Verformung - erfolgt durch Druck- oder Temperaturveränderungen. Formgedächtnis-Legierungen werden bereits seit einigen Jahrzehnten in der Werkstoffforschung untersucht.
->   Formgedächtnis-Legierungen bei Wikipedia
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Anwendungsbereiche: Schier unendlich?
"Der künstliche Muskel ist beispielsweise recht einfach bei Robotern einzusetzen, da er die kommerziell verfügbaren Drähte mit Formgedächtnis-Legierung benötigt, die mit katalytischen Nanopartikeln beschichtet sind", erläutert Baughman .

Die größte Herausforderung sei es gewesen, den Katalysator am Draht zu fixieren, "um möglichst lange Wirkungskraft zu erreichen und die Rate der Muskelbewegungen zu kontrollieren".

Die Wissenschaftler haben für die Methode, künstliche Muskeln zu betreiben, bereits ein Patent beantragt. Die Anwendungen seien vielfältig.
Muskeln halten länger ... "atmen"
Die mehr als 30 Mal höhere Energiedichte, die durch Brennstoffe wie Methanol erreicht würde, könnte im Vergleich zu den stärksten Batterien in viel längere Wirkung ohne zwischenzeitliches "Auftanken" führen.

Auch das Auffüllen selbst sei im Vergleich zum zeitintensiven Aufladungsprozess von Batterien weniger langwierig.

Die Muskeln könnten leicht auf Mikro- und Nano-Maßstäbe verkleinert werden und Reihen von Mikro-Muskeln könnten beispielsweise bei "smarten" Oberflächen Verwendung finden, die damit die Leistung von Luftfahrzeugen oder Schiffen erhöhen.
Vision von Superkräften
Beide Typen verwandeln chemische Energie der Kraftstoffe wie Wasserstoff und Methanol in mechanische Energie durch die Mischung mit Sauerstoff - und schaffen damit im Endeffekt Muskeln, die "atmen", schreibt John Madden in einem Begleitartikel. So könne es vielleicht zukünftig möglich sein, dass Menschen und autonome Roboter künstliche Muskeln erhalten, die länger und härter arbeiten als die jetzigen Systeme.

Am Anfang der Forschungsarbeit stand die Vision der Forscher, künstliche Glieder zu schaffen, die wie natürliche funktionieren, sowie Außenskelette bzw. Hautpanzer, die Feuerwehrleute, Astronauten und Soldaten zu Superkräften und lange Ausdauer verhelfen, schreiben Ebron und sein Team in einer Aussendung.

Die Entwicklung der "revolutionären" Muskel sei durch den Besuch eines Vertreters von der Defense Advanced Projects Agency (DARPA) des US-Pentagons motiviert gewesen.

[science.ORF.at, 17.3.06]
->   Howard Ebron, NanoTech Institute, University of Texas at Dallas
->   DARPA
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01.01.2010