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Herausforderung "Bachelor"  
  Der Bologna-Prozess könnte das nächste potenzielle Erfolgsprojekt der EU werden. Offen ist allerdings, wie der Arbeitsmarkt auf das damit verbundene dreistufige Studiensystem reagieren wird. Dieses Thema diskutiert der Wissenschaftsforscher David Campbell in einem Gastbeitrag.  
"Bologna"-Prozess als große Erfolgsstory der EU?
The stakes are high - nach der Euro-Einführung, so heißt es, steht die EU unter dem Druck, wiederum ein symbolträchtiges Erfolgsprojekt vorweisen zu können, um den Integrationsprozess voranzutreiben. Das Projekt der EU-Verfassung hätte es sein können, liegt aber wiederum auf Eis.

Mit der Lissabon-Strategie verkündete die EU das Ziel, zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt" zu werden. Ob das gelingen wird, ist aber zweifelhaft.

Im Bereich der Forschungsaufwendungen schaffte es der EU-Raum bisher nicht, sein Forschungsfinanzierungsdefizit gegenüber den USA und Japan zu schließen. Und damit könnte passieren, worauf vor Jahren wahrscheinlich die wenigsten gewettet hätten: der "Bologna"-Prozess als die nächste große Erfolgsstory der EU.
Einheitlicher europäischer Hochschulraum
Im Mai 1999 beschlossen die EU-Bildungsminister, bis 2010 einen einheitlichen europäischen Hochschulraum durch die Einführung eines dreistufigen Studiensystems schaffen zu wollen.

Der EU-Raum erhält damit standardisierte Studienabschlüsse, die transeuropäische Studentenmobilität erhöht sich, und es sollen Synergie-Effekte für knowledge (Wissen) geschaffen werden.

Gleichzeitig wird das Profil europäischer Hochschulen transparenter, Leistungsvergleiche zwischen Europas Universitäten realistischer, und Europas Hochschulraum kann tatsächlich als global competitor gegen die Vormachtstellung der USA bei den universitären Märkten antreten.
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Diskussionsveranstaltung zum Thema
Dem Thema Bachelor und europäischer Hochschulraum widmet sich auch eine Diskussionsveranstaltung im ORF KulturCafe. Zeit: Mittwoch, 22. März 2006, 18:00 Uhr
Ort: Argentinierstraße 30a, 1040 Wien
->   Mehr zur Veranstaltung
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Dreistufiges Studiensystem
Kürzlich beschloss auch Österreich, seinen Studienabschlüssen, nach dem neuen System, englischsprachige Namen zu geben - Bachelor, Master und PhD.

Denn um international wahrgenommen zu werden, und gegen die - in diesem Bereich - dominierende USA besser konkurrieren zu können, bedarf es auch der Verwendung von "Diplom-Namen", die im US-Raum üblich sind, so das schlüssige Argument.

Dass das neue dreistufige Studiensystem die Studentenmobilität innerhalb Europas erhöhen wird, scheint klar - mit dem angenehmen Nebeneffekt der Unterstützung der weiteren Ausformung einer "europäischen Identität". Denn ein nachhaltiges building of Europe verlangt ebenfalls bottom-up Prozesse der Identitätsentwicklung.
Erhöhte Mobilität erhofft
Europas Studenten werden leichter ins Ausland gehen können. Und umgekehrt wird die EU mehr Studenten von außerhalb des EU-Raums anziehen.

Im Hinblick auf die guten Forschungsleistungen europäischer Universitäten - die sich beispielsweise bei Artikelpublikationen in internationalen Fachjournalen niederschlagen - und die teilweise extrem hohen Studiengebühren US-amerikanischer Universitäten erscheint auch die Prognose als nicht zu gewagt, dass sich Europa auch auf ein vermehrtes Interesse amerikanischer Studenten am post-Bologna Europa einstellen sollte.

Was in der öffentlichen Aufmerksamkeit teilweise untergeht: Der Bologna-Prozess ist nicht nur auf die EU beschränkt, sondern erstreckt sich weit in den ehemaligen Sowjetraum. Mit Stand "heute" sind das insgesamt 45 Länder.

Die EU erwirbt damit eine wichtige competence leadership für die umliegenden Nachbarregionen. Über die Schiene des Bologna-Prozesses könnte sogar eine wichtige Impulssetzung für die sich viel mühsamer gestaltende Lissabon-Strategie erfolgen.
Arbeitsmarkt als Messlatte
Beim Bachelor Neu soll es sich um einen "berufsqualifizierenden" Abschluss handeln. Damit wird betont, dass die Bewährung auf dem Arbeitsmarkt die eine entscheidende Messlatte für Erfolg oder Nicht-Erfolg des Bologna-Prozesses sein wird, was wiederum die polit-ökonomische Zielsetzung des Abbaus der - im internationalen Vergleich teilweise erschreckend hohen - Arbeitslosigkeit im EU-Raum reflektiert.

Der Zeitzyklus, in dem sich der Bologna-Prozess gerade befindet (seine Implementierung), hat aber auch zur Konsequenz, dass umfangreiche und nachhaltige ex-post Analysen der Marktbewährung des Bachelors zur Zeit nicht möglich sind - beispielsweise für Österreich.

Ex-ante Einschätzungen und explorative Erwartungsstudien gibt es schon oder werden gerade durchgeführt. Grundsätzlich heißt es: Die Grundausbildung im tertiären Bereich soll reduziert oder zumindest nicht ausgeweitet werden, hingegen die weiterführende Bildung im Tertiärsektor gilt es zu forcieren.

Dies ist eine Konsequenz der Prozesse lebenslangen Lernens. Der Bologna-Prozess gibt vor, dass die Jahressumme von Bachelor und Master nicht fünf Jahre übersteigen darf. In Österreich gilt der Vorzug drei Jahre Bachelor und zwei Jahre Master, wobei auch die Kombination 4+1 möglich ist.
Berufsqualifizierende Ansprüche an Bachelor
Beim Bachelor treffen zwei Grundphilosophien aufeinander: Der Bachelor als Spezialqualifizierung - oder der Bachelor als ein möglichst breit angelegtes Grundstudium, wobei die Spezialqualifizierung dann erst auf dem Master Level ansetzt.

Es wird wichtig sein, genügend Bachelor-Studien so zu gestalten, dass sie mit Berufstätigkeit vereinbar sind. Für den Erfolg des Bachelors wird es ferner bedeutsam sein, dass die Curricularkommissionen auch Kreativität zulassen - im Sinne der interdisziplinären Kombination von Kompetenzen.

Manchmal wird behauptet, dass europäische Universitäten mehr content-orientiert, und amerikanische Universitäten mehr tool-orientiert arbeiten. Es soll deshalb ein Ziel sein, auch die tool-Kompetenz in den neuen Studien zu betonen.
Unterrichtssprache Englisch
Weiters wird entscheidend sein, gewisse (genügend) Bachelor-Studien (und daran anschließende Studienprogramme) ausschließlich in der Unterrichtssprache Englisch anzubieten:

Das fördert internationale Mobilität - österreichische Studenten können mit der zusätzlich erworbenen Sprachkompetenz leichter ins Ausland gehen, und für ausländische Studenten wird es interessanter, an Österreichs Universitäten zu studieren. Internationaler Austausch ist vor allem auch im Hochschulbereich wichtig.
USA: Durchlässige Grenzen zwischen Disziplinen
Eine allgemein akzeptierte Stärke des amerikanischen Hochschulsystems besteht darin, dass Studenten bei der sequenziellen Aneinanderreihung von Bachelor, Master und PhD relativ leicht Disziplingrenzen überspringen können - beispielsweise ein Bachelor in Physik und danach direkt (ohne Master) ein PhD in Volkwirtschaft.

Hier wäre es für die EU - und Österreich - äußerst wichtig, das Aufkommen einer Regulierungswut zu verhindern, die zu enge Auflagen vorgibt, was eine Abschlussvoraussetzung für welche neuen Studienprogramme wäre.
Wunschszenario: Berufsbegleitender Master
Dass Universitäten und Fachhochschulen im deutschsprachigen Raum gleichzeitig Bachelor-Studien einführen, wird eine interessante Wettbewerbssituation erzeugen.

Vertreter der österreichischen Wirtschaft äußern immer wieder folgendes Wunschszenario: Bachelor-Absolventen gehen direkt in die Wirtschaft arbeiten, und beginnen erst ein paar Jahre danach, nach entsprechender Berufserfahrung, mit einem berufsbegleitenden Master.

Eines ist klar: Der sich prognostizieren lassende politische Umsetzungserfolg des Bologna-Prozess muss auch die Bewährungsprobe des Arbeitmarktes bestehen - und steht dort unter dem Druck der "ökonomischen Erfolgswiederholung".

[21.3.06]
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David F. J. Campbell ist Research Fellow an der Abteilung Hochschulforschung, Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF), Universität Klagenfurt.
->   IFF - Abt. Hochschulforschung
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01.01.2010