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Grönlands Erde bebt immer häufiger  
  Wissenschaftler haben in den letzten Jahren eine steigende seismische Aktivität in Grönland aufgezeichnet - einer tektonisch eher ruhigen Zone. Der Grund: Nicht die Plattentektonik, sondern Gletscherbewegungen lösen Erdbeben aus - und zwar immer öfter.  
Die so genannten glazialen Erdbeben treten am häufigsten in den Monaten Juli und August auf, ihre Anzahl hat sich seit 2002 mehr als verdoppelt. Für den Seismologen Göran Ekström von der Harvard University und seine Kollegen deutet alles darauf hin, dass die Klimaerwärmung dafür die Ursache ist.
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Der Artikel "Seasonality and Increasing Frequency of Greenland Glacial Earthquakes" ist in der Fachzeitschrift "Science" (Bd. 311, S. 1756, 24. März 2006) erschienen.
->   Artikel
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Gletscher geben sich keineswegs nur träge
Bereits vor drei Jahren entdeckte das Team von Seismologen den neuen "Indikator" für die Erderwärmung: die glazialen Erdbeben.

Diese würden entstehen, wenn sich Eisströme abrupt und unerwartet bewegen würden. Damit könnte die Erde immerhin in einer Stärke (Magnitude) von bis zu 5,1 auf der Richterskala beben, schreiben die Forscher - eine Stärke, die Schornsteine einstürzen lassen kann.

"Viele Menschen glauben, dass Gletscher eher träge sind und sich langsam bewegen, doch sie können sich auch relativ schnell fortbewegen", sagt Ekström. "Einige der Gletscher Grönlands sind so groß wie Manhattan und so hoch wie das Empire State Building - sie können in weniger als einer Minute zehn Meter zurücklegen." Das sei ein Schub, der durchaus ernst zu nehmende seismische Wellen generieren könnte.

Ekström und Kollegen beschrieben das Phänomen der glazialen Erdbeben das erste Mal vor drei Jahren (Science Online, 25.9.03). Allerdings blieben ihnen da noch die Saisonalität und die größer werdende Häufigkeit ihres Auftretens verborgen.
Gleitmittel durch Schmelzen
Wenn die Gletscher und der aufliegende Schnee schmelzen, sickert Wasser nach unten. Wenn sich genug Wasser am Untergrund des Gletschers angesammelt hat, kann es als Gleitmittel dienen: Es ermöglicht Eisblöcken von zehn Kubikkilometern Größe, die Täler hinab zu gleiten, erklären die Wissenschaftler das Phänomen.

Laut Ekström bieten diese "Auslassgletscher" eine Art Trichter für glazialen Abfluss - hin zum Atlantik.
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Auslassgletscher
Die so genannten "Auslassgletscher" sind hauptsächlich dafür verantwortlich, dass das Inlandeis Grönlands abgetragen wird. Laut dem Geographen Herwig Wakonigg der Universität Graz ist der Anteil des direkt ins Meer kalbenden Eises mit der Abschmelzung an der Oberfläche etwa gleich. Auslassgletscher können sich auf zwei Arten fortbewegen: entweder in Form einer "Hochgeschwindigkeits-Blockbewegung" mit zerrissener Oberfläche (bis zu 38 Meter pro Tag) oder langsam fließend.
->   Artikel auf geoWEB Magazin
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Grönland eigentlich tektonisch ruhig
Grönland war bis dato keine sehr beachtete Region für seismische Aktivität im traditionellen Sinne, nämlich verursacht durch tektonische Plattenbewegungen. Doch die Erdbebenmesser weltweit zeichneten 182 Erdbeben zwischen den Jahren 1993 und 2005 auf.

Die Forscher untersuchten 136 Erdbebenereignisse, alle mit einer Stärke zwischen 4,6 bis 5,1 auf der Richter-Skala. Sie alle vereint die ursprüngliche Entstehung an größeren Tälern, was laut den Forschern auf glaziale Aktivität in der seismischen Störung schließen lässt.

Die seismischen Wellen seien im festen Untergrund generiert worden, ausgelöst durch die Kräfte der sich fortbewegenden Eismassen, wenn sie den Hang hinunter - der Schwerkraft folgend -beschleunigen. Die beobachtete Dauer dieses Gleitens sei typischerweise 30 bis 60 Sekunden, bevor die Bewegung verlangsamt.
Beben: Ein Drittel im Sommer
Von den 136 Erdbeben trat ein Drittel im Monat Juli und August auf. Zum Vergleich: Jänner und Februar sahen zwischen 1993 und 2005 jeweils nur vier Erdbeben. Dagegen zeigen die nicht-glazialen Erdbeben in den nördlichen Breiten keine saisonale Häufigkeit.

Auch die Anzahl der glazialen Erdbeben in Grönland stieg zwischen 1993 und 2005 markant an: Beispielsweise gab es bis 2002 nur sechs bis 15 Beben jährlich, im Jahr 2003 bereits 20, 2004 waren es 24 und in den ersten zehn Monaten von 2005 32.
Schnellere Reaktion auf wärmeres Klima
"Unsere Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass diese großen Auslassgletscher viel schneller auf die wechselnden Klimabedingungen reagieren können als bisher angenommen wurde", sagt Co-Autorin Meredith Nettles von der Columbia University.

"Grönlands Gletscher bringen große Mengen an Frischwasser in die Ozeane ein, so dass die Implikationen für den Klimawandel ernst zu nehmen sind. Wir glauben, dass mit zunehmender Klimaerwärmung auch das beobachtete Verhalten zunehmen wird."

Obwohl die Gründe für die zunehmenden glazialen Erdbeben und die beschleunigte Fortbewegung der Gletscher nicht klar seien, können wärmere Temperaturen die Ursache sein, bestätigt auch Ian Joughin in einem Begleitartikel in "Science".
Glaziale Erdbeben vor allem in Grönland
Wären die Sommertemperaturen laut Joughin von den späten 1960ern bis in die Mitte der 1990er Jahre durchschnittlich eher noch kälter gewesen, so seien sie doch ab 1995 deutlich angestiegen - fast bis hin zu Jahrhundertrekord-Werten, die an den Küstenstationen gemessen wurden.

Das Zusammenfallen von starker Temperaturzunahme und steigender glazialer Aktivität spricht Joughin zufolge sehr für einen Zusammenhang.

Das Phänomen der glazialen Erdbeben scheint vor allem in Grönland aufzutreten, doch Ekström und sein Team entdeckten sie auch in den Bergen von Alaska sowie in den Eisströmen am Rande der Antarktis.

[science.ORF.at, 24.3.06]
->   Göran Ekström, Harvard University
->   Seismologie bei Wikipedia
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->   Grönlands Gletscher schmelzen schneller (17.2.06)
->   Bei drei Grad plus würde Grönlandeis schmelzen (21.10.05)
 
 
 
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01.01.2010