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Krebsentstehung: "Brat"-Protein als Schlüsselfaktor  
  Fehlt ein einziges Gen, nämlich "Brat", so können Stammzellen zu Krebszellen werden. Das haben Wiener Forscher bei der Fruchtfliege beobachtet. Das Gen könnte der Schlüssel für neue Krebstherapien sein.  
Der deutsche Molekularbiologe Jürgen Knoblich und seine Kollegen vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien erforschen, wie aus Stammzellen Tumore entstehen. Ihre jüngsten Erkenntnisse könnten neue Möglichkeiten für selektive Krebstherapien eröffnen.
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Der Artikel "Asymmetric Segregation of the Tumor Suppressor Brat Regulates Self-Renewal in Drosophila Neural Stem Cells" ist in der Fachzeitschrift "Cell" (Bd. 124, S. 1241, 24. März 2006) erschienen.
->   Artikel
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Ohne "Brat" zellulärer Super-GAU
Die Szenerie im Labor: Unter dem Fluoreszenzmikroskop liegen Gewebeschnitte aus Fliegenhirnen. Anhand von Farbstoffmarkierungen lässt sich verfolgen, wie aus einer normalen Stammzelle ein bösartiger Zelltyp entsteht, der schließlich zu einem tödlichen Gehirntumor heranwächst.

Knoblich und seine Mitarbeiter konnten nun erstmals nachweisen, dass das Fehlen eines einzigen Gens mit dem Namen "Brat" diesen zellulären Super-GAU verantwortlich ist.
Protein ist Wachstumsfaktor
"Das Protein 'Brat' ist tatsächlich der Schlüssel zum Verständnis", erklärte Knoblich in einer Aussendung des IMBA.

"Es ist ein Wachstumsfaktor und sorgt normalerweise dafür, dass Stammzellen sich planmäßig entwickeln und teilen. Fehlt der Faktor, so gerät das System völlig außer Kontrolle, es entsteht Krebs."
Thema ist hochaktuell
Das Thema ist hochaktuell. Das Konzept der "Tumorstammzellen" hat das Verständnis der Entstehung und des Aufbaus von Krebsgewebe revolutioniert.

Am Beispiel etwa von Leukämie und Brustkrebs konnten Forscher vor kurzem nachweisen, dass Tumore keineswegs aus einem einheitlichen Haufen wild gewordener Zellen bestehen.

Sie sind vielmehr wie Organe aufgebaut und bestehen aus unterschiedlichen Zelltypen, die hierarchisch geordnet sind. Die Basis bilden Stammzellen, die jeden Zelltyp im Tumorgewebe erzeugen können.
Bedarf an neuen Therapien
Die Entdeckung der Tumorstammzellen stellt auch konventionelle Krebstherapien in Frage, die vor allem jene Zellen zerstören, die sich rasch teilen. Stammzellen teilen sich meist langsam und entgehen deshalb einer solchen Strategie. Dies könnte die hohe Rückfallrate bei manchen Formen von Krebs erklären.

Neue Therapien, die gezielt Tumorstammzellen angreifen, müssen erst entwickelt werden. Dazu fehlt es noch am grundlegenden Verständnis der Wachstumskontrolle bei Stammzellen. Auch Modelle für die Tumorentwicklung aus Stammzellen stehen noch nicht zur Verfügung.
Experimente an Fruchtfliege
 
Bild: IMP/IMBA

Das Gehirn einer Fruchtfliege (Fotomontage): Im Normalfall (links) bilden wenige Stammzellen (rot) die vielen Nervenzellen (grün), die für die normale Funktion des Hirns verantwortlich sind. In Abwesenheit des Brat-Gens (rechts) sind Stammzellen nicht mehr in der Lage, Nervenzellen zu produzieren. Sie verwandeln sich stattdessen in Tumorstammzellen, die das gesamte Gehirn überwuchern.

Hier sind die IMBA-Wissenschaftler offenbar einen wichtigen Schritt weitergekommen. Sie konnten mit "Brat" erstmals ein Gen charakterisieren, dessen Abwesenheit aus einer Stammzelle eine Tumorzelle entstehen lässt.

Die entsprechenden Experimente wurden an Nervengewebe der Fruchtfliege Drosophila durchgeführt.
Kontrolle von Stammzellenteilung
Im Normalfall teilt sich eine Stammzelle in zwei unterschiedliche Tochterzellen. Eine davon spezialisiert sich und übernimmt gewebespezifische Aufgaben. Die andere behält ihren Stammzellcharakter und sorgt weiterhin für geregelten Zellnachschub.

Diese sensible Balance wird auf molekularer Ebene durch Wachstumsfaktoren kontrolliert.
"Brat" konzentriert sich nur auf eine Tochterzelle
Das IMBA-Team untersuchte zahlreiche dieser Proteine und stieß auf "Brat" und sein ganz besonderes Verhalten: bei der Teilung einer Stammzelle wird Brat nämlich asymmetrisch nur in einer der beiden Tochterzellen konzentriert. Dort verhindert es weiteres Wachstum, während die andere Zelle fortfährt, sich zu teilen.

Das von "Brat" kodierte Protein ist auch bereits in menschlichen Zellen nachgewiesen worden. Knoblich: "Die neuen Erkenntnisse über die Entartung von Zellen bergen ein enormes Potenzial für die Entwicklung zukünftiger Krebstherapien."

[science.ORF.at/APA, 24.3.06]
->   Jürgen Knoblich, IMBA
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01.01.2010