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Warum die Österreicher so gerne lamentieren  
  Lamentieren und herumlavieren: zwei Eigenschaften, die Herrn und Frau Österreicher gerne zugeschrieben werden. Ihre Wurzeln liegen in den gescheiterten Reformbestrebungen des Habsburgerreiches Ende des 18. Jahrhunderts durch Joseph II., meint der Historiker und IFK-Junior-Fellow Franz Fillafer. Er geht diesem "josephinischen Trauma" in einem Gastbeitrag nach und zeigt, wie es die politische Kultur Österreichs geprägt hat.  
Das Josephinische Trauma und die österreichische Aufklärung

Von Franz Leander Fillafer

Josephinismus - ist der Begriff nicht kompromittiert, als beamtetes Staatsmärtyrertum mit erzwungenen Offenbarungseiden und ermüdender Obrigkeitshörigkeit?

Wenn ja, wäre die "österreichische Aufklärung" nicht ein Selbstwiderspruch, eben weil sie "josephinisch" war, also in einer Zwangsbeglückung durch regulierte Freiheitszugeständnisse aufging?
Widerruf der meisten Reformen zu Lebensende
Diese Klischees entspringen einer langfristigen Krise der Identifikation mit der Aufklärung in der Habsburgermonarchie: Der Auslöser dieser Krise war das Scheitern der Reformen Josephs II. im späten 18. Jahrhundert, der Kaiser war 1790 auf dem Sterbebett gezwungen, einen Großteil seiner Reformen zu widerrufen.

Bei Fürsprechern und Verächtern der Aufklärung führte dieser Schock zu massiven Enttäuschungen und Selbstbezichtigungen, dem "Josephinischen Trauma" (Roger Bauer).

Josephs Neffe Franz II. adaptierte geschickt die josephinische Transparenz- und Rechtschaffenheitsrhetorik bei gleichzeitiger Ausschaltung ihrer politisch emanzipativen Aspekte.
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Vortrag am IFK
Franz Leander Fillafer hält am 3. April 2006, 18.00 c. t. am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Das Josephinische Trauma und die österreichische Aufklärung".
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   IFK
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Lamentieren: Heroisierung des Scheiterns
Die zweideutige Rückversicherungstaktik des neuen Regimes verschärfte zusätzlich die Desillusionierung und Loyalitätskonflikte der Aufklärer, die nach 1790 allerlei Repressalien ausgesetzt waren.

Was waren die Bewältigungsstrategien dieser Traumatisierung? Die Josephiner kultivierten eine Heroisierung des Scheiterns, eine Verschränkung eigener Unverzichtbarkeit und larmoyanter Selbsterniedrigung, die für die österreichische politische Kultur prägend bleiben sollte: Ihre Form ist das Lamento.
Konfliktscheue und Lavieren
Im Zentrum der Broschüren- und Traktatkriege um die Reformen Josephs II. stand die kritisierte und debattierte Ambivalenz der Aufklärung.

Dieser Zusammenhang von absolutistischer Herrschaft und aufklärerischem Universalismus blieb als eigentümlich autoritärer Zug allen emanzipativen Strebens in das politische Langzeitgedächtnis Zentraleuropas eingeschrieben:

Die Empfänglichkeit für obrigkeitliche Entscheidungen resultiert auch in einer charakteristischen Konfliktscheue und bewusst genährten Unbestimmtheit, einer Ästhetik des Lavierens.
Josephiner belächeln jedes politische Engagement
Unter josephinischen Intellektuellen blühten nach 1790 vorauseilender Geständniszwang und Denunziationseifer: Die gepriesene Willfährigkeit und dienstbeflissene "Reibungslosigkeit" ist jedoch nur vermeintlich konfliktfrei.

Aggressives Zukurzgekommensein lauert hinter den Kulissen politischer Ordnung, hinter der klaustrophobisch-oberflächlichen Gemütsruhe des Biedermeier.

Inmitten der Ausweich- und Beschwichtigungsmanöver nach der Traumatisierung entsteht paradoxerweise eine Art geistiger Überlegenheitsgewissheit der Josephiner, eine Geistesaristokratie, die jedes politische Engagement als belächelnswerte Naivität abtut und somit zur Verklärung des status quo beiträgt. Aus der Identifikations-Not wird eine Tugend.
Loyalität zu neuem Kritikverbot
Die aus Furcht vor Willkürakten und Fehlbarkeit, und aus der Furcht vor Verdächtigungen erwachsende Skepsis geht so einher mit einem intellektuellen Standesdünkel: Die Angst vor Kritik und die Frustration der Josephiner provozieren Zustimmung zum generellen Kritikverbot, das Franz II. durchsetzt - dem Ende der Pressefreiheit - und überraschende Loyalitätsschriften.

Diese als erzwungene Schutzbehauptungen im Herzen Freiheitsliebender abzutun, wie es so häufig in der deutschliberalen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts geschah, die in den Josephinern ihre germanisierenden Vorläufer sehen wollte, greift zu kurz.
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Der vorliegende Essay stellt die gekürzte Version eines Aufsatzes dar, der demnächst unter dem gleichen Titel im von Helga Mitterbauer und András F. Balogh herausgegebenen Sammelband "Zentraleuropa - ein hybrider kultureller Kommunikationsraum" erscheint.
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Rückschrittlicher "Pöbel" wird verantwortlich gemacht
Der stolze Elitismus der Intellektuellen, das Prestige, das ungeachtet der sozialen und materiellen Repressalien aufrecht erhalten werden musste, ging einher mit einem Gestus der Entscheidungsaskese und Politikschelte, der eben jenem des den Josephinern verhassten Volkes ähnelt: Der unrettbar rückwärtsgewandte Pöbel soll es gewesen sein, der den Kaiser zu Fall brachte.

Wenn hier von den Josephinern eine Kontroll-Oligarchie konstruiert und angegriffen wird, bedeutet dies tatsächlich eine rückwirkende Reinwaschungsgeste, einen Freispruch von politischer Verantwortung und eine Distanzierung von der Elite, die man selbst darstellt.
Selbstbild von Unzuverlässigkeit und Rückgratlosigkeit
Gleichzeitig erschienen Anklagen gegen die unbotmäßigen Schriftsteller und Beamten, die Joseph eigentlich zur Zierde hätten gereichen sollen, den Kaiser aber durch ihre Kritik und politische Sabotage zu Fall gebracht hätten.

Diese Attacke gegen Unzuverlässigkeit und Rückgratlosigkeit übernehmen viele irritierte Josephiner als Selbstbild.
Hypersensibilität gegenüber Meinungen
Die josephinischen Aufklärer entwickeln um 1800 in Romanen, Zeitschriften und Satiren eine permanente, sarkastische und doppelbödige Selbstrelativierung und eine Hypersensibilität gegenüber Meinungen.

Diese Tendenz ist verbunden mit einem politischen Eskapismus und Exklusivitätsdenken, man sagt es, wie es so schön heißt, "unter uns".

Heimito von Doderer schreibt in dieser Tradition josephinischer Wissenschaftsbürokraten: "Meinungen sind so etwas ähnliches wie Hämorrhoiden des Geistes. Ein Schriftsteller hat leider manchmal auch Meinungen: Aber man zeigt solche grauslichen Sachen doch nicht unaufhörlich vor. Nur die Hausmeister sind immerfort von irgendetwas überzeugt."

[31.3.06]
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IFK Junior Fellow Franz Leander Fillafer
Mag. phil. Franz Fillafer studierte Geschichte in Wien, ist seit 2005 Doctoral Researcher am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen und IFK Junior Fellow in Wien.


Mit der Vergabe von Junior Fellowships fördert das IFK Dissertanten (bis zum 35. Lebensjahr) mit kulturwissenschaftlichen Projekten. IFK_Junior Fellowships werden für ein Jahr vergeben, beinhalten ein monatliches Stipendium und einen Arbeitsplatz am Institut, der den Austausch mit den Senior und Research Fellows des Instituts befördert. Junior Fellowships werden vorzugsweise an österreichische Studierende vergeben. Die nächste Ausschreibung ist im Oktober 2006.
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->   Joseph II (AEIOU)
 
 
 
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01.01.2010