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Mauersegler: Schlank durch Liegestütze  
  Mauersegler müssen von dem Augenblick, da sie ihr Nest verlassen, perfekt fliegen können. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sie den aerodynamischen Anforderungen entsprechen, sprich: kein Übergewicht aufweisen. Dieses erreichen sie durch ein regelrechtes Liegestütz-Training.  
Das berichtet ein Team um den Verhaltensökologen Jonathan Wright, der an der Universität Trondheim lehrt und forscht.
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Die Studie "Facultative adjustment of pre-fledging mass loss by nestling swifts preparing for flight" von Jonathan Wright et al. erscheint demnächst auf der Website der "Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences" (doi: 10.1098/ rspb.2006.3533).
->   Abstract (sobald online)
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"Ohne Füße"
Bild: dpa/NABU/A. Limbrunner
Apus apus
Als der schwedische Naturforscher Carl von Linné den wissenschaftlichen Namen Apus apus für den Mauersegler einführte, tat er das offenbar nicht ohne Grund. Denn "apous" bedeutet im Griechischen "ohne Füße" - und das beschreibt die Lebensweise des Vogels ziemlich prägnant.

Mauersegler haben zwar Beine, können damit im Prinzip auch gehen, benutzen sie jedoch nur ganz selten. Tatsächlich verbringen sie die meiste Zeit ihres Lebens in der Luft, fliegen oft monatelang ohne den Boden zu berühren, trinken, fressen und schlafen sogar in luftiger Höhe. Letzteres realisieren sie, indem sie des Abends spiralförmig in wärmere Luftschichten emporsteigen.
Zu Beginn: Das große Fressen
Doch auch der größte Flugkünstler muss seine Karriere ganz unspektakulär im Vogelnest beginnen - als zunächst flugunfähiges Jungtier, das in den ersten Wochen seines Lebens nur auf eines bedacht ist: Fressen.

Da der Speisezettel der Mauersegler sehr stark von der Witterung abhängt, müssen die Nestlinge gewissermaßen auf Vorrat fressen, da schon am nächsten Tag Schmalhans Küchenmeister sein könnte. Damit erwerben sie unter Umständen eine dicke Speckschicht, was aus energetischer Sicht auch grundvernünftig ist.
Gute Flieger sind schlank
Andererseits müssen Mauersegler bereits mit ihrem ersten Flügelschlag souverän im neuen Medium agieren. Ihr erster Flug dauert Tage, unter Umständen sogar Wochen, und ein pummeliger, unbeweglicher Körper entspricht sicher nicht den Erfordernissen einer solchen Lebensweise.

Die Tiere sollten also beides sein: fett, aus physiologischen Gründen, und schlank, um gut fliegen zu können. Biologen nennen so einen Widerspruch im Körper ein und desselben Tieres "trade-off", zu deutsch: Tauschgeschäft oder Kompromiss. Dieser besteht im Fall des Mauerseglers darin, dass er erst kurz vor dem Flüggewerden zu fasten beginnt und so seine aerodynamische Idealstatur erreicht.
Idealgewicht: Flexibel oder programmiert?
Ein Team um Jonathan Wright von der Universität Trondheim ging nun der Frage nach, wie dieser offenbar tragfähige Kompromiss im Detail erreicht wird. Im Prinzip könnte es sich dabei um einen programmierten Prozess handeln, der gewissermaßen physiologisch auf Schiene gebracht wird um dann starr abzulaufen.

Andererseits wäre es auch möglich, dass die Tiere Fastenkuren variabel einsetzen und sich an die jeweils obwaltenden Umstände anpassen.
Nestlinge mit Übergepäck
Um herauszufinden, welche der beiden Hypothesen zutrifft, klebten Wrigth und Kollegen jungen Mauerseglern kleine Zusatzgewichte an den Rücken, was die Körpermasse der Tiere um etwa fünf Prozent erhöhte. Anderen Nestlingen kürzten sie die Flügelspitzen um den selben Betrag.

Biomechanisch gesehen hatten diese Eingriffe durchaus ähnliche Wirkung: Beide reduzierten das Verhältnis von Flügelfläche zu Körpermasse, das für den späteren Segelflug von entscheidender Bedeutung ist.
Trockentraining für den ersten Flug
Bei Gewichtskontrollen während der verbleibenden zwei Wochen bis zum Flüggewerden stellte sich heraus, dass die dergestalt manipulierten Tiere tatsächlich auf die veränderten Bedingungen reagierten. Sie verloren klar mehr Körpermasse als die Tiere der Kontrollgruppe und erreichten so die erforderliche relative Flügelfläche.

Verhaltensbeobachtungen zeigten, dass sie das auf zweierlei Arten tun: Zum einen führen die Tiere eine Art Trockentraining durch, indem sie im Nest mit den Flügeln schlagen, ohne allerdings dabei abzuheben, wie das etwa bei Seevögel der Fall ist. Zum zweiten vollziehen die Nestlinge regelrechte Liegestütze - sie spannen ihre Flügel auf und drücken den ganzen Körper für einige Sekunden in die Höhe.

Diese Verhaltensweise stärke nicht nur die Flugmuskulatur, schreiben Wright und Kollegen, sondern erlaube es den Tieren offenbar, ihre Körpermasse unbewusst wahrzunehmen und im Bedarfsfall anzupassen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 5.4.06
->   Website von Jonathan Wright
->   Der Mauersegler (Apus apus) - NABU-Heinsberg
 
 
 
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01.01.2010