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Diskussion über "belagerte Wissenschaft"  
  Aktuelle Fälle der politischen Zensur von Wissenschaft in den USA haben die Frage aufgeworfen, wie es um die Freiheit der Forschung bestellt ist. "Belagert" wird die Wissenschaft aber nicht nur durch die Politik, sondern auch durch ökonomische und bürokratische Zwänge, meinten Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in Wien.  
Wissenschaftler diskutierten bei einem Round Table, der diese Woche von der neuen Life Science Governance-Forschungsplattform an der Uni Wien veranstaltet wurde, was die Wissenschaft tun kann, um Versuchen der Instrumentalisierung zu begegnen.
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Anlass für die Veranstaltung war ein "Nature"-Editorial mit dem Titel "Science under attack" vom 23. Februar 2006. Am Fallbeispiel des NASA-Klimaforschers James Hansen, den die PR-Abteilung der NASA wegen kritischer Ansichten mit Zensur bedroht hatte, wurden darin aktuelle Gefahren für die Freiheit der Wissenschaft in den USA aufgezeigt.
->   Mehr zum Fall James Hansen in science.ORF.at (17.2.06)
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Angriffe auf die Wissenschaft in den USA
Aktuelle Fälle der Zensur von Wissenschaft in den USA, die vor allem die Lebenswissenschaften betreffen, sind in einem breiteren gesellschaftspolitischen Kontext zu sehen, betonte der Wiener Politikwissenschaftler Herbert Gottweis.

Gerade die heftigen Debatten über "Intelligent Design" in den USA würden zeigen, dass es hier nicht mehr nur um Forschungspolitik, sondern um die Infragestellung des gesamten Weltbildes der Naturwissenschaften gehe.

Auch für die Wissenschaftsforscherin Jennifer Reardon von der Duke University ist die Forschungspolitik der Bush-Administration Teil ihres "unitary executive"-Regierungsansatzes.

Diese Regierungstheorie besagt, dass im Extremfall - etwa in Kriegszeiten - die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt werden und die Exekutive allein regieren darf. Dass ein solcher Regierungsansatz vor allem für von der Regierung getragene Forschungsstätten wie die National Institutes of Health oder die NASA eine potenzielle Gefahr darstelle, liegt auf der Hand.
Fälle von Zensur bereits vor der Bush-Ära
Politische Angriffe auf die Wissenschaft seien aber nicht erst ein Phänomen der Bush-Regierung, meinte Reardon. 1993 musste etwa der Physiker William Harper als Leiter des Energy's Office of Energy Research zurücktreten, nachdem er dem damaligen Vizepräsidenten Al Gore widersprochen hatte.

Gore hatte behauptet, dass das Dünnerwerden der Ozonschicht am Südpol zu einer gefährlichen Zunahme von UVB-Strahlung führe. Harper hingegen erklärte, dass aufgrund des Einstrahlwinkels der Sonne am Südpol auch eine dünne Ozonschicht die Strahlen absorbieren könne.
Wissenschaft und Politik nie getrennte Sphären
Jennifer Reardon übte aber zugleich auch Kritik am Begriff der "belagerten Wissenschaft" selbst.

Dieser geht von einer scharfen Trennung von Wissenschaft und Politik aus, die es in Wirklichkeit nicht gebe. Jede Forschung sei - zumindest indirekt - von politisch-ideologischen Vorannahmen geprägt.

Reardon sieht daher in der aktuellen Debatte über die Freiheit der Wissenschaft auch eine Chance, die Vorstellung getrennter Sphären von Politik und Wissenschaft aufzugeben.
Forschungsförderung nach wie vor national
Sowohl Reardon als auch der Wissenschaftsforscher Klaus Taschwer (Falter/heureka) waren sich einig, dass die politische "Belagerung" der Wissenschaft in den USA ein Sonderfall sei, der nicht eins zu eins auf Europa übertragbar sei.

Auch wenn Wissenschaft im Zeitalter der Globalisierung transnational vernetzt arbeitet, ist die Forschungsförderung immer noch weitgehend national organisiert - und daher abhängig von den jeweiligen Forschungsprogrammen der Regierungen.

Europa und Österreich seien dennoch nicht vor einem Überschwappen aktueller US-Phänomene gefeit, meinte Taschwer. Und auch andere Formen der "Belagerung" machen der Wissenschaft hierzulande zu schaffen.
"Belagerung" durch Bürokratie ...
So sieht etwa die Biochemikerin Renée Schroeder von der Universität Wien die Wissenschaft durch die zunehmende Bürokratisierung "belagert".

Die Beantragung von EU-Projekten - eine immer wichtiger werdende Geldquelle - sei mittlerweile so komplex und aufwändig, dass kaum Zeit für kreative Forschung bleibe.
... und durch gesetzliche Überregulierung
In eine ähnliche Richtung argumentierte der Wiener Mikrobiologe Erwin Heberle-Bors, der eine "Belagerung" der Wissenschaft durch gesetzliche Überregulation ortete.

Diese hemme Innovationen ebenso wie die "Selbstbelagerung" der Wissenschaft: Studierende und Wissenschaftler würden sich durch ihre Konzentration auf die Grundlagenforschung und ihre mangelnde Anwendungsorientierung selbst an der Weiterentwicklung behindern, so Heberle-Bors.
Kampf um die Ressourcen
Eine andere "Selbstbelagerung" der Wissenschaft ortete der Gentechnikexperte und Risikoforscher Werner Müller (Global 2000).

Im Kampf um die finanziellen Ressourcen werden kritische Ansätze oft aus der institutionalisierten Wissenschaft verdrängt, meinte Müller.

Aktuelle Konfliktlinien würden daher weniger zwischen Wissenschaft und Politik als vielmehr zwischen Wissenschaft und Wissenschaft verlaufen.
Neues Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit nötig
Einigkeit herrschte am Round Table in der Frage, dass Wissenschaftler reagieren sollen, wenn sie angegriffen werden und fundamentale Thesen - wie etwa die Evolutionstheorie - in Frage gestellt werden.

Notwendig sei aber auch ein neuer, offener Diskurs der Wissenschaft mit der Gesellschaft.

Angesichts der Struktur der Wissenschaftsberichterstattung in Österreich, die, wie Klaus Taschwer festhielt, über weite Strecken von Institutionen gesponsert wird, gelte es gerade im Bereich der Wissenschaftskommunikation weiterzudenken.

Martina Nußbaumer, science.ORF.at, 6.04.06
->   Life Science Governance-Forschungsplattform (Uni Wien)
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Bush befürwortet Unterricht in "Intelligent Design" (3.8.05)
->   "Anti-Terror-Maßnahmen gefährden US-Wissenschaft" (19.1.04)
 
 
 
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01.01.2010