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Gruppen mit Strafmöglichkeit kooperieren besser  
  Seit geraumer Zeit hat sich auch unter experimentellen Ökonomen herumgesprochen, dass die Mehrheit der Menschen in Gruppen kooperiert. Allerdings nur, wenn die Möglichkeit besteht, so genannte Trittbrettfahrer zu bestrafen, ergänzt eine aktuelle Studie.  
Die Mikroökonomin Bettina Rockenbach von der Universität Erfurt und ihre Kollegen berichten in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Science" von einem spieltheoretischen Experiment:

Dabei konnten die Mitspieler mit Geldbeträgen zu einem Gruppenprojekt beitragen - durch höhere Kooperationsgewinne wurden sie davon überzeugt, jene Gruppen zu wählen, in denen Trittbrettfahrer bestraft werden können.
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Die Studie "The Competitive Advantage of Sanctioning Institutions" ist in "Science" (Bd. 317, S. 108; Ausgabe vom 7.4.04) erschienen.
->   Science
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Die Meisten wollten erst in die straffreie Gruppe
Die Forscher baten 84 Studenten der Universität Erfurt, einer von zwei Gruppen beizutreten. In der einen Gruppe konnten Trittbrettfahrer von anderen Gruppenmitgliedern bestraft werden, in der anderen nicht.

Die meisten Testpersonen der Studie wollten zunächst in der Gruppe ohne Strafen leben, nur ein Drittel bevorzugte die Gruppe mit Sanktionsmöglichkeiten.
Eigen- oder gemeinnütziges Verhalten
Nachdem sie eine Gruppe gewählt hatten, wurde es den Spielern freigestellt, Geld in ein Gruppenprojekt einzuzahlen oder es auf einem Privatkonto zu hinterlegen.

Alle Beiträge zum Gruppenprojekt wurden um etwa zwei Drittel erhöht und gleichmäßig an alle Spieler verteilt, ungeachtet ihres individuellen Beitrags.

Nachdem die Spieler ihren Beitrag eingezahlt und von den Beiträgen der anderen erfahren hatten, konnten die Spieler in der Gruppe mit Strafmöglichkeit die nicht kooperierenden Gruppenmitglieder - die also nicht an der besten Lösung für alle Beteiligten interessiert waren - bestrafen.
Kooperation in straffreier Gruppe bricht zusammen
Nach den ersten Runden reduzierten die kooperativen Mitglieder der sanktionsfreien Gruppe ihre Beiträge weil sie gesehen hatten, dass andere Gruppenmitglieder Trittbrettfahrer waren.

Durch den anschließenden Wechsel der kooperativen Spieler in die Gruppe mit Strafmöglichkeit brach die Kooperation in der straffreien Gruppe zusammen.

Daraufhin wechselten auch vormalige Trittbrettfahrer in die Gruppe mit Strafmöglichkeit und fügten sich sofort in die dort herrschende Strafkultur ein.
Zusammenarbeit aus Angst vor Strafe
 
Zeichnung: Science/Joe Sutliff

So sieht ein "Science"-Cartoon das untersuchte Phänomen

In der Gruppe mit Sanktionsmöglichkeiten bestraften die Mitglieder die Trittbrettfahrer unter großen eigenen Kosten, erklärte Rohrbach.

Gegen Ende des Experiments reichte die Androhung der Strafe, damit die Trittbrettfahrer auch zum gesellschaftlichen Gemeinwohl beitrugen. Sie kooperierten, um einer Strafe zu entgehen, aber bestraften auch andere, sagte Rockenbach.

Nach ihrer Ansicht lassen sich die Erkenntnisse beispielsweise auf den Klimawandel übertragen, bei dem auch verschiedene Menschen zusammenarbeiten müssten.
Menschen glauben an "das Gute"
Die Wissenschaftler konnten noch nicht belegen, warum sich die Testpersonen zunächst für die Gruppe ohne Strafen entschieden. Selbst wenn Probanden die Ergebnisse der Studie kannten, entschieden sie sich trotzdem zuerst für eine Gruppe ohne Strafmöglichkeiten.

Möglicherweise glaubten Menschen an das Gute beziehungsweise müssten erst ihre eigenen Erfahrungen machen, sagte Rockenbach.
Plädoyer für mehr Zivilcourage
Aus der Studie ließe sich nicht folgern, dass die Gesellschaft mehr Strafe bräuchte oder Menschen sich gegenseitig besser überwachen sollten.

"Wir sehen unsere Studie als Plädoyer für mehr Zivilcourage", sagte Rockenbach. Wenn Menschen gegen das Gemeinwohl handelten, sollten andere nicht wegschauen, sondern diese Menschen sozial ächten.

[science.ORF.at/APA/dpa, 7.4.06]
->   Bettina Rockenbach, Uni Erfurt
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Spieltheoretische Analyse von Konflikt und Kooperation (9.12.05)
->   Ökonom: Mehrheit der Menschen ist kooperativ (27.10.04)
->   Kooperation: Fairness und Vertrauen wird belohnt (14.3.03)
 
 
 
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01.01.2010