News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima .  Wissen und Bildung 
 
Erdbeben in San Francisco 1906 spornte Forschung an  
  Vor 100 Jahren hat die Erde im Großraum San Francisco gewaltig gebebt. Die Katastrophe vom 18. April 1906 war nicht nur eines der folgenschwersten Erdbeben in Amerikas Geschichte, mit ihr begann auch die Blütezeit der Seismologie.  
"Das Erdbeben verhalf der Seismologie in den USA zu einem Senkrechtstart, der es ermöglichte, mit Ländern wie Großbritannien, Japan und Deutschland gleichzuziehen", schreibt Naomi Lubick in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature". Es sei eine Art Katalysator für diesen Wissenschaftszweig gewesen.

Trotz der katastrophalen Dimension des Ereignisses gab das Beben vielen Wissenschaftlern der Jahrhundertwende die Möglichkeit, anhand der gesammelten Daten tiefer in das bis dato wenig erforschte Feld einzudringen.
...
Anlässlich des 100. Geburtstages des Erdbebens von 1906 sind der Artikel "Breaking New Ground" von Naomi Lubick in "Nature" (Bd. 440, Nr. 7086, 13. April 2006 S. 864) und der Artikel "Halfway Through Reid's Cycle and Counting" von William L. Ellsworth in "Science" (Bd. 311, 14. April 2006, S. 203) erschienen.
...
Forschung blüht auf
Bild: USGS
San Francisco-Erdbeben 1906
Die Lehre von den Erdbeben, die Seismologie, entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts: In Deutschland erfand beispielsweise Emil Wiechert im Jahr 1899 einen der ersten Horizontalseismographen, um Erdbeben zu messen.

Der Brite Richard Dixon Oldham vom Geological Survey of India identifizierte Primär- und Sekundärwellen als Form von Erdbebenwellen und konnte mit ihnen 1906 erstmals einen Erdkern nachweisen. Und das große Nobi-Erdbeben in Japan von 1891 veranlasste Forscher zu einer ersten umfangreicheren Dokumentation der Erdbewegungen, wie Lubick in ihrem Beitrag anführt.

Mit dem Erdbeben von San Francisco im Jahr 1906 wurde auch die seismologische Forschung in den USA zum Leben erweckt: Das Ereignis bot Gelegenheit einer umfassenden geodätischen Beobachtung und Dokumentation - festgehalten u. a. im so genannten Lawson-Report, dem wahrscheinlich umfangreichsten wissenschaftlichen Bericht zur Katastrophe, der von mehreren Forschern aus der Zeit zusammengestellt wurde.

Weitere Folge: Im November 1906 konstituierte sich die Seismological Society of America.
->   Vorläufiger "Lawson-Bericht" (31. Mai 1906) - San Francisco Museum
Geburtsstunde der "Elastic Rebound Theory"
Einer der namhaften Wissenschaftler, der die aufkommende Blütezeit der Seismologie in den USA geprägt hat, war der US-Geologe Henry Fielding Reid. Er entwickelte nach 1906 eine Theorie, die laut William L. Ellsworth vom U.S. Geological Survey (USGS) noch heute "die Grundlage für physikalische Theorien der Erdbeben" ist: die so genannte Elastic-Rebound-Theorie.

War es den Geologen damals bereits bekannt, dass es nicht nur vertikale, sondern auch horizontale Verschiebungen von Krustenblöcken gibt, so erklärte Reid mit seiner Theorie das Zustandekommen des San-Francisco-Erdbebens auf der so genannten San-Andreas-Verwerfung.
Plötzliche Spannungsentladung
Bild: USGS
3-D-Modell: Rote Linien sind Verwerfungen (Faults).
Diese Verwerfung wird durch die pazifische und die nordamerikanische Platte gebildet. Beide Krustenblöcke gleiten horizontal und damit aneinander vorbei (Blattverschiebung). Durch Reibungswiderstände kommt es allerdings immer wieder zu einer Blockade, so dass sich mechanische Spannung aufstaut und Verformungen in der Erdkruste entstehen.

Ab einem kritischen Wert entlädt sich diese Spannung: Die zwei Platten gleiten ruckartig wieder aneinander vorbei. Im Fall des San Francisco-Erdbebens breitete sich bei der Entladung eine Spalte vom Epizentrum aus nach Nord und Süd - in einer Geschwindigkeit von bis zu drei Kilometern pro Sekunde.

Reid hatte also erkannt, dass sich "elastische" Spannung entlang der Verwerfungslinie angestaut haben musste. Er beschrieb mit seiner "Theorie des elastischen Rückschlags" den Prozess der Deformation bei Flachbeben. Gemeinsam mit seinem Kollegen Grove Karl Gilbert erkannte Reid zudem, dass es einige Zeit dauern würde, bis sich eine solche Spannung wieder aufgebaut hätte - und damit das nächste Mal die Erde erschüttert würde.
->   Reids "Elastic Rebound Theory" beim USGS
...
Das große Erdbeben von San Francisco von 1906
Das große Erdbeben von San Francisco lag auf der San-Andreas-Verwerfung und ereignete sich am frühen Morgen des 18. April 1906. Das Epizentrum lag einige wenige Kilometer westlich von der Küste der Stadt San Francisco, die damals rund 400.000 Einwohner zählte. Wissenschaftler sprechen heute von einer Stärke zwischen 7,8 und 7,9 auf der Richterskala. Der Erdstoß soll 45 bis 60 Sekunden gedauert und die Erde auf einer Länge von 470 Kilometern gespalten haben. Heute geht man von mindestens 3.000 Toten und bis zu 300.000 Obdachlosen aus. Dem ersten Erdstoß folgten mehrere Nachbeben und ein drei Tage lang andauerndes Feuer, u. a. ausgelöst durch zerstörte Gasleitungen.
...
Das nächste "Big One"
Im nördlichen San-Andreas-Graben hat sich laut Ellsworth seit 1906 rund die Hälfte der Spannung wieder aufgebaut. Damit gehen die Experten davon aus, dass ein großes Beben nicht so schnell wieder stattfindet.

Doch "kleinere tödliche" Beben seien sehr wahrscheinlich. Seismologen erwarten ein Erdbeben mit einer Stärke von 6,7 und mehr auf der Richterskala im Großraum San Franciscos (Bay Area) mit einer Wahrscheinlichkeit von 62 Prozent rund um das Jahr 2031. Das letzte vergleichsweise starke Erdbeben in der Bay Area liegt 17 Jahre zurück: Das Loma-Prieta-Erdbeben von 1989 (Stärke 7,1) forderte 67 Menschenleben.

Allerdings sind die Möglichkeiten, Erdbebenvorhersagen zu treffen, nach wie vor begrenzt. "Die Mehrheit glaubt, dass wir noch viel mehr über die Physik von Erdbeben und die seismischen Eigenschaften der Erdkruste wissen müssen, bevor die Grenzen der Vorhersage wirklich verstanden sind", schreibt Ellsworth.
...
Virtuelle Tour des "Big One" von 1906 mit Google Earth
Um die Hintergründe für das Erdbeben von 1906 besser zu verstehen, haben Seismologen vom USGS neue Computermodelle entwickelt, mit denen sie die Erdbewegung und -stöße simulieren. Im Rahmen einer virtuellen Tour kann man sich zudem - mit Hilfe der Software von Google Earth - auf eine virtuelle Tour durch das Erdbebengeschehen von vor 100 Jahren begeben.
->   Details beim USGS
...
Geduld ist gefragt
Bei der Datensammlung für den Forschungsfortschritt ist allerdings die Geduld der Seismologen gefordert: Die Erdbebenzyklen, also die Zeitspanne und Deformationsphasen zwischen zwei Ereignissen, sind häufig sehr lang, so Ellsworth.

Und: "Solange wir die Untersuchungen von Erdbeben auf die Messungen begrenzen, die von der Erdoberfläche stammen, sind wir blind für die nicht elastischen und chemischen Prozesse, die ein Teil des 'Aufladungsprozesses' und der Dynamik von Brüchen sind", warnt Ellsworth. Die Forschung müsse verstärkt "in die Tiefe" gehen.

Lena Yadlapalli, science.ORF.at, 14.4.2006
->   1906 Ground Motion Simulations - Filme zum Download
->   U.S. Geological Survey
->   100th Anniversary Earthquake Conference, 18.-22. April 2006, San Francisco, CA.
->   Seismological Society of America
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Bebenforscher messen Deformationen der Erde (5.1.06)
->   Entwicklung eines neuen Erdbeben-Alarmsystems (22.5.03)
->   US-Studie: Großes Beben in San Francisco vor 2032 (23.4.03)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010