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Menschenrechte: Interkulturelle Auseinandersetzung  
  Um die "Migrationsströme" einzudämmen oder die "nationale Sicherheit" zu schützen, werden die Menschenrechte in vielen Ländern verletzt. Kriege werden im Namen der Humanität geführt. Der Frage, wie das globale Menschenrechtssystem auf diese Entwicklungen reagieren kann, geht die neueste Ausgabe von "Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren" nach. Franz M. Wimmer und Mathias Thaler, Philosophen und Redakteure der Zeitschrift, stellen die Inhalte in einem Gastbeitrag dar.  
Menschenrechte zwischen Wirtschaft, Ethik und Recht
von Mathias Thaler und Franz M. Wimmer

Nummer 14 von "polylog" versammelt Aufsätze, die zunächst im Dezember 2004 auf einer international besetzten Konferenz in Wien präsentiert wurden. Das Ziel dieser Konferenz, die von der "Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie" in Kooperation mit mehreren Partnerorganisationen veranstaltet wurde, bestand darin, eine interdisziplinäre und interkulturelle Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema Menschenrechte zu versuchen.

Zu diesem Zweck wurden drei Zugänge ausgewählt - Wirtschaft, Recht und Ethik. Der Meinungsaustausch zwischen WissenschaftlerInnen und AktivistInnen aus verschiedenen Traditionen sollte dazu beitragen, Theorie und Praxis der Menschenrechte miteinander ins Gespräch zu bringen.

Für die nun vorliegende Publikation wurden jene Konferenztexte ausgewählt, die einen theoretischen Schwerpunkt haben. Dazu erschließt ein umfangreicher Rezensionsteil das Thema weiter.
Kriterienkatalog für humanitäre Interventionen
Pavel Bar¿a, Politikwissenschaftler an der Karls-Universität in Prag, beschäftigt sich in seinem Text mit einem höchst aktuellen Thema. Sein Aufsatz ist ein Versuch, Kriterien für die Zulässigkeit von humanitären Interventionen zu entwickeln.

Daher möchte Bar¿a die Menschenrechte als jene Normen bestimmen, die eine humanitäre Intervention rechtfertigen können. Doch welcher Akteur ist wofür zuständig? In der jetzigen Situation besteht ein Ungleichgewicht zwischen Recht und Moral, insofern das Völkerrecht vom Gedanken der territorialen Souveränität getragen ist, dem wiederum der kosmopolitische Imperativ individueller Menschenrechte entgegensteht.

Dieser Widerspruch, so der Grundtenor des Aufsatzes, lässt sich nicht einfach auflösen, sondern bedarf der Vermittlung durch politische Verfahren.
USA und Saudi-Arabien: Beide gegen Menschenrechte
Ann Elizabeth Mayer, Rechtsphilosophin an der University of Pennsylvania, weist in ihrem Artikel auf eine erstaunliche Parallele hin: Trotz der derzeit in den USA grassierenden Dämonisierung der arabischen Kultur existiert eine gemeinsame Ablehnungsfront gegenüber internationalen Menschenrechtsstandards.

Es ist überaus entlarvend, dass die USA in ihrer Skepsis gegenüber den Menschenrechten gerade dort einen Verbündeten finden, wo wir eigentlich nur den terroristischen Feind vermuten würden. Auch viele islamische Länder pflegen einen selektiven Umgang mit den Menschenrechten.

Sie stimmen mit den USA zwar nicht darin überein, welche Menschenrechte bevorzugt Anwendung finden sollen, doch gehen beide Seiten darin konform, dass eine globale Menschenrechtskultur eine Bedrohung für ihre je eigenen Interessen darstellt.
Philosophische Kritik des "Kriegs gegen den Terror"
Gregor Paul, Philosoph an der Universität Karlsruhe, will zeigen, dass ein Krieg gegen den Terrorismus unmöglich wäre, wenn man gültiger Argumentation folgte. Die Frage ist, ob es einen "gerechten Krieg" überhaupt gibt - eine Frage, auf die nicht nur in der abendländischen Philosophie unterschiedliche Antworten gegeben worden sind.

Paul lässt hier die chinesische Philosophie zu Wort kommen. An den Beispielen der Kriege in Afghanistan und Irak sowie dem so genannten Krieg gegen den Terrorismus zeigt Paul, wie für deren Gerechtigkeit nicht nur nicht offen argumentiert, sondern eine notwendige allseitige Diskussion verhindert wurde.

Erst eine solche offene Diskussion würde das Gewicht der Argumente zeigen. Paul ist überzeugt, dass die Argumente für Kriege jeglicher Art vor dem Forum der Vernunft als zu leicht befunden würden.
Universalität als kulturelles Optimum
Yersu Kim, Philosoph an der Seoul National University, geht es in seinem Beitrag um die Klärung dessen, was Universalität von Menschenrechten angesichts der offenkundigen Geschichtlichkeit dieser Ideen und der Diversität kultureller Traditionen heißen kann.

Er plädiert für einen evolutionären Begriff von Universalität, der als Maßstab nie überzeitlich und ortlos anzunehmen, wohl aber als jeweils kulturelles Optimum ernst zu nehmen ist und somit den Respekt für Kulturen in ihrer Einmaligkeit bewahren und zugleich die Möglichkeit ihres Fortschreitens und ihrer Entwicklung offen lassen kann.
Polylog und Verrechtlichung
Der Beitrag von Benedikt Wallner, Rechtsanwalt in Wien, geht auf einen Kommentar zum Vortrag von Yersu Kim zurück. Wallner richtet das Augenmerk vorrangig auf die rechtliche Dimension.

Dabei greift er die Idee des Polylogs auf, um sie für die Entwicklung von allgemeinen Rechtsvorstellungen fruchtbar zu machen, die über alle jeweils ursprünglichen hinausgehen. Wie solche Vorstellungen dann zu wirklichem Recht werden, ist allerdings die entscheidende Frage.

Hier verweist Wallner auf die tatsächlichen Entwicklungen in Vergangenheit und Gegenwart und sieht das jeweils besondere Interesse als mächtigen Faktor für die Entwicklung allgemeiner und letztlich universeller Rechtsinstitutionen.
Wozu Deklarationen?
Das Interview mit Bilhari Kausikan, der in leitender Stellung im Außenministerium von Singapur tätig ist, führte Konrad Pleterski schriftlich per E-Mail. Zehn Jahre nach dem Streit um die "asiatischen Werte" sieht Kausikan darin eine eher belanglose Episode.

Viel wichtiger als solche Debatten seien wirtschaftliche Entwicklungen und strategische Imperative, die in der Realität mehr als jede Deklaration bewirken.
Gegen den "Kampf der Kulturen"
Das Spektrum der bearbeiteten Themen zeigt, wie vielfältig die philosophische Reflexion über die Menschenrechte ist. Ohne Zweifel verkörpern die Menschenrechte eines jener Problemfelder unserer Zeit, für dessen Klärung eine interdisziplinäre und interkulturelle Auseinandersetzung von Nöten ist.

Der stets prekäre Versuch einer Konsensbildung mag einen Beitrag dazu leisten, den vielfach beschworenen "Kampf der Kulturen" als Schimäre zu entlarven.

[14.4.06]
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"Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren" ist die einzige Zeitschrift im deutschsprachigen Raum, die sich darum bemüht, in die philosophischen Diskurse Beiträge aller Kulturen und Traditionen gleichberechtigt einzuflechten.
->   Polylog
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->   Polylog. Forum for Intercultural Philosophy
->   Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie
 
 
 
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01.01.2010