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Zeigt her eure Füße! Wie Tiere Gefahren erkennen  
  Wildtieren kann man sich in einem Auto oder in einem Boot besser annähern als zu Fuß. Warum das so ist, haben deutsche und kanadische Biopsychologen im Zuge von Experimenten über Bewegungswahrnehmung herausgefunden.  
Nikolaus Troje und Cord Westhoff konnten nachweisen, dass sich sowohl die menschliche als auch die tierische Wahrnehmung der Bewegungsrichtung an der Bewegung der Füße orientiert. Fazit: Wo keine Füße sichtbar sind, wird auch die Bedrohung als weniger akut empfunden.
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Die Studie "The Inversion Effect in Biological Motion Perception: Evidence for a 'Life Detector'" ist in "Current Biology" vom 16. April 2006 (Nr. 16, S. 821-824) erschienen.
->   Current Biology
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Bewegungen "auf den Kopf" gestellt
Nikolaus Troje und Cord Westhoff vom Biomotion Lab an der Queen's University haben in Experimenten den so genannten Inversionseffekt näher untersucht.

Dieser Effekt besteht darin, dass manche visuelle Reize nur schwer vom Gehirn verarbeitet werden können, wenn man sie "auf dem Kopf stehend" zeigt. Vor allem die Wiedererkennung von Gesichtern wird auf diese Weise stark beeinträchtigt.

Welche Auswirkungen der Inversionseffekt auf die Wahrnehmung von menschlichen und tierischen Bewegungen hat, haben die Forscher mit Hilfe von so genannten Punklicht-Displays untersucht.
Lichtpunkte simulieren Bewegung
Versuchspersonen wurden Videos gezeigt, in denen eine Reihe von Lichtpunkten sich so bewegte, als wären sie einem auf einem Laufband gehenden Menschen oder Tier auf den Körper geklebt. Die Probanden mussten angeben, ob sich diese "Punktlicht-Läufer" nach links oder nach rechts bewegen.

So lange die Punktlicht-Figuren aufrecht gezeigt wurden, war diese Aufgabe leicht zu lösen. Sobald man sie jedoch umdrehte, wurde dies erwartungsgemäß schwieriger.

Spannend wird die Studie an jener Stelle, an der die Wissenschaftler nachweisen, dass sich die Bewegungsrichtung der Punktlicht-Figuren selbst dann noch leicht erkennen lässt, wenn man die sich bewegenden Punkte willkürlich versetzt. Das auf diese Weise entstehende "scrambled display" lässt sich zwar nicht mehr als Mensch oder als konkretes Tier identifizieren; die richtigen Bewegungsmuster sind jedoch trotzdem zuordenbar.

Erst als man das "scrambled display" auf den Kopf stellte, antworten die Testpersonen nur noch zufällig.
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Experiment online
Auf der Homepage des Biomotion Lab kann man diese Experimente selbst ausprobieren. Bild links: Screenshot aus der Online-Animation.
->   Zum Experiment
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Gängige Thesen zum Inversionseffekt in Frage gestellt
Für Troje und Westhoff widerlegt dieser Befund die herrschende These, wonach der Inversionseffekt allein mit einer gestörten Wahrnehmung der Anordnung von Bildelementen zu tun hat. Denn die Anordnung der Lichtpunkte bei der "gescrambelten" Figur ist völlig zufällig und enthält damit keinerlei Information.
Auf die Füße kommt es an
Die Wahrnehmung der Bewegungsrichtung, aber auch der damit assoziierte Inversionseffekt werde vielmehr von der lokalen Bewegung der Füße gesteuert, meinen die beiden Forscher.

Sie legten den Versuchspersonen Displays vor, in denen nur ein Teil der Lichtpunkte umgedreht worden war. Waren dabei nur jene Punkte gedreht, die die Füße des sich bewegenden Menschen oder Tieres markierten, hatte dies einen weit stärkeren Effekt auf die Wahrnehmung der Bewegungsrichtung als wenn man alle anderen Punkte außer den Füßen umdrehte.

Die zentrale Information über die Bewegungsrichtung ist also in der typisch vertikalen Bewegungsart der Füße von Mensch und Tier gespeichert. Nach Ansicht von Troje und Westhoff erzeugt das gravitationsbedingte Wechselspiel des Abstoßens der Extremitäten vom Boden und des Zurückfallen-Lassens auf den Boden ein allgemeines Bewegungsmuster, dass von Mensch wie Tier als Signal der Anwesenheit eines anderen Lebewesens gelesen werden kann.
Fußbewegung als universeller "Life Detector"?
In den Bewegungsmustern der Füße könnte somit der Schlüssel für einen universellen "Life Detector" liegen, meinen die beiden Forscher.

Sieht man also das nächste Mal einer Katze auf der Jagd zu, wird man ihr bodennahes Anschleichen an ihr Opfer nicht nur mehr unter dem Aspekt der Geräuschvermeidung betrachten. Denn versucht sie damit nicht auch, die verräterische Kurve ihrer Bewegung zu tarnen, auf die der "Life Detector" ihrer Beute anschlagen würde?

[science.ORF.at, 19.4.06]
->   Biomotion Lab an der Queen's University, Kingston, Ontario
 
 
 
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01.01.2010