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Naturwissenschaftler sind erstaunlich oft "überrascht"  
  "Erstaunliche Entdeckungen", "unerwartete Funde" und "überraschende Ergebnisse" gehören zum Standardvokabular vieler Forschungsberichte. Ein polnischer Forscher hat das Phänomen statistisch untersucht - und herausgefunden, dass Naturwissenschaftler angesichts ihrer Erkenntnisse viel öfter "überrascht" sind als Sozial- oder Geisteswissenschaftler´.  
Michal Jasienski von der Nowy Sacz Business School in Polen ist dieser Frage akribisch nachgegangen - und präsentiert die "erstaunlichen" Ergebnisse seiner Spurensuche in der aktuellen Ausgabe von "Nature".
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Michal Jasienskis Leserbrief "It's incredible how often we're surprised by findings" ist in "Nature" vom 27 April 2006 (Bd. 440, S. 1112) erschienen.
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Millionen Abstracts und Artikel gescreent
Jasienski hat über 30 Millionen Abstracts von englischsprachigen Aufsätzen, die im Science Citation Index erfasst sind, und acht Millionen englischsprachige Artikel im Social Sciences und Arts & Humanities Citation Index nach Wörtern durchforstet, die "Überraschung" ausdrücken.

Danach verglich er ihre Häufigkeit des Vorkommens mit jener in der englischen Alltagssprache, wie sie etwa im Brown Corpus of Standard American English erfasst wird.
Naturwissenschaftler öfter überrascht
Jasienski kommt dabei zum Schluss, dass uns das Studium der Natur in der Tat gewaltig zu überraschen scheint. Denn die Chancen, in einem naturwissenschaftlichen Abstract oder Artikel auf "Überraschendes"oder "Ungewöhnliches" zu stoßen, sind weit größer als in der Alltagssprache - und auch um einiges größer als in nicht-naturwissenschaftlichen Publikationen.

Allein das Wort "überraschend" taucht in naturwissenschaftlichen Schriften zwölf Mal häufiger auf als in der englischen Standardsprache, und 1,3 Mal häufiger als in den Sozial-, Kunst- und Geisteswissenschaften. "Unerwartete" Ergebnisse findet man 39 Mal so oft wie im Alltagsenglisch, und 2,2 Mal so oft wie in nicht-naturwissenschaftlichen Publikationen

Dagegen könne man - so das seinerseits wenig überraschende Ergebnis Jasienskis - Wörter wie "glücklich", "unglücklich" oder "hässlich" in den Naturwissenschaften weit seltener finden als sonst irgendwo.
Überraschung als Medienstrategie
Obwohl natürliche Phänomene durchaus erstaunlich und frappierend sein können, gibt es keine der Natur inhärente Qualität, "überraschend" zu sein, hält Jasienski fest.

Er stellt sich die Frage, in wie weit Wissenschaftler, die sich in ihren Publikationen "erstaunt" über ihre Forschungsergebnisse zeigen, tatsächlich überrascht sind, oder ob das betonte Staunen nicht eher dazu dient, mediale Aufmerksamkeit zu erregen.

Den Spielregeln der Ökonomie der Aufmerksamkeit kann sich aber auch Jasienski nicht völlig entziehen: Die - durchaus ironisch intendierte - Überschrift seines Leserbriefs an "Nature" lockt damit, wie "unglaublich" oft wir von Erkenntnissen überrascht werden.

[science.ORF.at, 27.4.06]
->   Science Citation Index
->   Social Sciences Citation Index
->   Arts and Humanities Citation Index
->   The Brown Corpus - Wikipedia
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Die Geografie der wissenschaftlichen Zitierung (1.9.03)
->   'Hit-Listen' der einflussreichsten Forscher (30.5.01)
 
 
 
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01.01.2010