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Welt-Kommunikation brauchte Welt-Verkabelung  
  Die Globalisierung der Medien begann lange vor dem Internet - die Telegraphie ermöglichte im späten 19. Jahrhundert erstmals eine "Weltkommunikation". Ihr zugrunde lagen neue Techniken, die auch eine neue Infrastruktur bedurften. Die Geschichte dieser "Verkabelung der Welt" ist in den Kulturwissenschaften bisher vernachlässigt worden, meint der Medientheoretiker Frank Hartmann. Er hat dazu eben ein Buch veröffentlicht, in einem Gastbeitrag stellt er die Grundzüge seiner Überlegungen dar.  
Globale Datenströme
Von Frank Hartmann

Im wissenschaftlichen wie im politischen Diskurs ist Globalisierung zwar ein junges Thema. Sie ist aber kein neues Phänomen.

Die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung wirft Fragen auf, deren Grundlagen ins 19. Jahrhundert zurückweisen: Fragen der technischen Kontrolle von Waren-, Verkehrs- und Datenströmen.

Hier haben sich Möglichkeiten potenziert, die in einer neuen Medientechnik der Telekommunikation ihre Grundlage haben.
Telegraphie auf elektrischer Grundlage
Tatsächlich taucht um 1850 eine völlig neue Technologie auf, die den Weltbezug umstrukturiert hat. Nach Jahrzehnten einer nicht sehr effizienten optischen Telegraphie wurde von mehreren Seiten zunächst die Telegraphie auf elektrischer Grundlage betrieben.

Entgegen dem Mythos von der durchschlagenden "Erfindung" hat anfangs niemand die theoretischen Grundlagen dafür gekannt, doch mit viel "Trial & Error" wurde die erste Anwendung für Elektrizität geschaffen - denn lange vor der Glühbirne kam der elektrische Telegraph.
Verkabelung der Meere
Mit den Telegraphendrähten tauchte alsbald die Idee der "Weltcommunication" auf, die auf realen ökonomischen Interessen basierte. Entlang der Küste im Nordosten der Vereinigten Staaten wurden ebenso Kabel verlegt wie an der europäischen Gegenseite.

So konnte der Informationsvorsprung, den eintreffende Schiffe aus Übersee bedeuteten, immer rascher weitergegeben werden. Nachdem die Briten 1851 eine Telegraphenkabel durch den Ärmelkanal gelegt hatten, stand alsbald auch die Transatlantikverkabelung im Raum.

Seit 1866, nach mehreren Versuchen, die Seekabel-Verbindung zwischen Irland und Neufundland errichtet wurde und seither nie wieder abgebrochen ist, ist die Welt buchstäblich oline.
Schon damals "Web-Metaphern"
"They have made the ocean a highway of thought", jubelte "Scientific American" bereits 1855. Erstaunlich viele Metaphern der Internet-Zeit fanden sich damals bereits, unter anderem das "Web" und das "Netz", aber auch entsprechende Erlösungshoffungen wie immer wieder die Aussicht auf Weltfrieden durch "Weltcommunication" oder auf eine höhere Bewusstseinsstufe durch die Verrundschaltung zum "World Brain".
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Erstes "Backbone" der Medienmoderne
Als Infrastruktur der weltweiten Telegraphie - ein erstes Backbone der Medienmoderne sozusagen - standen bald folgende Hauptlinien zur Verfügung:
- 1861 die transamerikanische Verbindung zwischen New York und San Francisco
- 1866 das Transatlantikkabel zwischen London und New York
- 1870 die indoeuropäische Linie zwischen London und Kalkutta, mit Erweiterungen in den asiatischen Raum, nach China und Australien
- 1873 die Verkabelung des Südatlantik zwischen Lissabon und Rio de Janeiro, mit einer Ausweitung nach Kapstadt.
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Technische Standardisierung, internationale Regulation
Ein wesentlicher Effekt der grenzüberschreitenden Kommunikation war aber die technische Standardisierung, sowie die internationale Regulation durch neue Behörden wie den Welttelegraphenverein und die Weltpost.

Die moderne Infographie der globalen Datenströme folgt immer noch den damals gelegten Kanälen. Zu dieser neuen geokulturellen Dimension gehört nicht zufällig auch der Beschluss einer Weltzeit sowie die Herausgabe eines verbindlichen Weltatlas.

Konsequenterweise baute der Radio-Erfinder Nikola Tesla ab 1901 auf Long Island einen (allerdings nie in Betrieb genommenen) Welt-Sendeturm.
Infrastruktur-Bau wird zum Geschäft
Nicht nur Telekommunikation - die eigentlich zentrale Erfindung des 19. Jahrhunderts - wurde mit der elektrischen Telegraphie zum einträglichen Geschäft, auch die zugehörige Infrastruktur, etwa die Kabelindustrie.

Der Rohstoff Guttapercha (ein bis 1930 eingesetztes, kautschukähnliches Isoliermaterial) sicherte Großbritannien die Hegemonie. Abertausende, binnen weniger Jahre weltweit verlegter Seekabel standen um 1900 großteils unter britischer Kontrolle.

Diese Zeit hatte auch schon "ihren Bill Gates" - den Textilfabrikanten John Pender, der in die Kabeltechnologie investierte. Die Gründung von "Cable & Wireless", heute einer der größten Internet-Diensteanbieter, geht auf Pender zurück.
Erst 1956 erste Telefonie-fähige Transatlantikkabel
Die kabellose Funk- und Satellitentechnologie geht auf die Bestrebung zurück, eine Alternative zur teuren Kabelverlegung zu schaffen. Man sollte nämlich nicht vergessen, dass es erst 1956 gelang, mit dem "TAT-1" ein Transatlantikkabel zu verlegen, das auch für Telefonie geeignet war.

Dann kam Glasfaser und digitale Vermittlungstechnik - und damit eine ungeahnte Kanalkapazität für den modernen Datenverkehr.

Die jüngste Generation der Transatlantikkabel hat mit "TAT-14", dem wichtigsten Datenkabelring zwischen des USA und der EU, eine Kapazität von 1 Terabit/Sekunde erreicht.
Moderne Medienkultur ist globale Medientechnik
Die Telegraphie war definitiv ein Katalysator der Moderne, sodass man vom Entstehen der Informationsgesellschaft im Geist der Industriegesellschaft sprechen kann.

Moderne Medienkultur bedeutet zuerst globale Medientechnik und in der Folge, auf der semiotischen Ebene, eine Internationalisierung der Interfaces.
Bisher Randthema der Kulturwissenschaften
Umso erstaunlicher ist es, dass Kabel- und Satellitentechnologie oder andere infrastrukturelle Aspekte im kulturwissenschaftlichen Fachdiskurs kaum je behandelt werden.

Die Hauptrolle spielt hier der Computer. Gerade die vernetzte Computertechnologie brachte aber einen definitiven Aufschwung der Kabelindustrie, sowohl was die Technik der Vernetzung wie auch die Organisation des Netzbetriebs betrifft.

Der Möglichkeitsraum, den die Teletechnologien einst eröffnet haben, ist mehr denn je eingebettet in die Wirklichkeit eines globalen technischen Systems.

[2.5.06]
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Über den Autor
Frank Hartmann ist Dozent für Medientheorie an der Universität Wien. Soeben erschien "Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien" Wien: WUV Facultas (2006), 239 Seiten.
->   Mehr über Buch und Autor
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->   Transatlantikkabel
->   Telegraph Museum
->   John Pender
->   TAT 14
Weitere Beiträge von Frank Hartmann in science.ORF.at:
->   "Krieg der Welten": Massenpanik als Mythos (30.6.05)
->   Mediologie: Ansätze einer Medientheorie der Kulturwissenschaften (24.11.03)
->   Buchkultur Adieu? Die Zukunft des Wissens (14.6.03)
->   Definitionsversuche zur "Medienphilosophie" (4.2.03)
 
 
 
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01.01.2010