News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Umwelt und Klima 
 
Neues Modell erklärt Artenvielfalt Madagaskars  
  Warum beherbergt gerade Madagaskar eine so große Zahl einzigartige Tier- und Pflanzenspezies? Nach Ansicht von US-Biologen dürfte die besondere Topologie der Insel dafür verantwortlich sein: Sie wirkt unter dem Einfluss von Klimaschwankungen wie eine "Speziationspumpe", die das Artenspektrum im Lauf der letzten zwei Millionen Jahre kontinuierlich angereichert hat.  
Das Team um Steven M. Goodman vom Field Museum of Natural History in Chicago hat das neue Modell bereits erfolgreich an der Wirklichkeit überprüft: Die Lemurenarten Madagaskars sind tatsächlich so verteilt, wie es die Theorie vorhersagt.
...
Die Studie "Biogeographic Evolution of Madagascar's Microendemic Biota" von Lucienne Wilme et al. erschien in "Science" (Bd. 312, S. 1063-5; doi: 10.1126/science.1122806).
->   Abstract
...
Paradies der Tiere - und Pflanzen
Was der urbane Schmelztiegel für Soziologen und Neu Guinea für Sprachwissenschaftler ist Madagaskar für Biologen: ein Paradies der Vielfalt. Kein anderes Gebiet auf der Erde beherbergt so viele endemische Tier- und Pflanzenarten - also solche, die dort und sonst nirgends auf der Welt vorkommen.

Beispiele dafür sind etwa Chamäleons, Lemuren, Halbaffen und die igelähnlichen Tenreks. Einst gab es auf Madagaskar auch drei Meter große und 500 Kilogramm schwere Riesenstrauße, sie starben allerdings vor einigen hundert Jahren aus.
Isolation vom Festland
Warum gerade Madagaskar zu der Hochburg lokaler Artenvielfalt auf der Erde wurde, ist noch immer nicht hinlänglich klar. Ein bekannter Erklärungsansatz nimmt auf die lange Isolation der Insel vom Festland Bezug, die gegenüber Afrika seit 150 Mio. Jahren besteht, im Fall von Indien immerhin seit 90 Mio. Jahren.

Damit lässt sich zwar zum Teil begründen, dass etwa bei Pflanzen und Gliedertieren bis zu 90 Prozent der Arten endemisch sind, - es erklärt aber eines nicht: Warum in Madagaskar so viele Arten vorhanden sind.
Neues Modell
Eine Wissenslücke, die nach Ansicht von Steven M. Goodman vom Field Museum of Natural History in Chicago viel zu lange Bestand hatte. Er und seine Fachkollegen Lucienne Wilme und Jörg U. Ganzhorn entwarfen nun ein Modell, das die außergewöhnliche Artenvielfalt der Insel erklären könnte.

Zu diesem Zweck sammelten die US-Forscher zunächst Daten: die Verteilung von 35.000 Spezies, die topografische Beschaffenheit der Insel sowie die Lage von Flüssen und Wasserscheiden.

Diese Größen setzten sie zueinander in Beziehung und leiteten daraus ein Szenario ab, in dem der Wechsel von Warm- und Kaltzeiten während der letzten zwei Millionen Jahre eine Schlüsselrolle spielt.
Korridore in Kaltzeiten
Die Grundüberlegung von Goodman und seinen Mitarbeitern: Während der Eiszeiten war das Klima in Madagaskar nicht nur kühler sondern auch trockener, wovon besonders tief gelegene Habitate betroffen waren.

Das führte dazu, dass viele Arten zunächst in höhere Regionen auswichen - allerdings nicht überall: In den Einzugsgebieten von Flüssen konnten die an feuchtere Bedingungen angepassten Spezies auch in tiefen Regionen überdauern.

Womit die Flussgebiete zu Korridoren wurden, durch die sich die Tiere in andere Bergregionen ausbreiten konnten.
Zyklen von Isolation und Verbreitung
Da jedoch nicht alle Wasserscheiden gleich stabil gegenüber Abkühlung und Austrocknung waren, wurden viele Korridore via Klimaveränderung verstopft. Die Folge: Isolation von Populationen, die sich dann zu eigenständigen Arten weiterentwickelten.

Lässt man dieses Szenario durch einige Zyklen von Warm- und Kaltzeiten laufen, dann wirkt die madagassische Topografie wie eine "Speziationspumpe", die durch die Abfolge von Isolation und Verbreitung das Artenspektrum vervielfältigt.

Eine Vorhersage des neuen Modells ist etwa, dass es in gewissen Tiefland- und Küstenregionen besonders viele endemische Arten geben muss. Eine erste Überprüfung an Lemuren hat jedenfalls ein positives Ergebnis gebracht: Die Tiere halten sich an die Verteilungsmuster der Theorie.

[science.ORF.at, 19.5.06]
->   Field Museum of Natural History
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Drei neue Lemurenarten auf Madagaskar entdeckt (23.2.06)
->   Artenvielfalt schwindet in Rekordzeit (20.5.05)
->   Artenvielfalt: Größte Krise seit Dinosaurier-Sterben (24.1.05)
->   Unsichtbare Artenvielfalt: Plädoyer für eine neue Weltsicht (24.6.04)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Umwelt und Klima 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010