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Der Wiener Graben - alla puttanesca  
  Dem ältesten Gewerbe der Welt wurde auch im Wien des späten 18. Jahrhunderts nachgegangen. Weil es unter Joseph II. aber verboten war, bedienten sich die Prostituierten zu der Zeit passender Maskeraden. Dass diese nicht immer leicht zu durchschauen waren, beschreibt die Kunsthistorikerin und IFK-Junior-Fellow Romana Filzmoser in einem Gastbeitrag. Zumeist waren die Freudenmädchen am "Schnepfenstrich Wiener Graben" nur durch ihren Blick zu erkennen.  
Zur Visualisierung von Prostitution um 1800
von Romana Filzmoser

"Der Neuigkeitskrämer, der Müssiggeher, der Stutzer und das Freudenmädchen" hätten auf dem Graben "gleichsam ihren Wohnsitz aufgeschlagen", beschreibt die Beilage von 1792 Carl Schütz' Ansicht des Wiener Grabens dieses "Gewühl von Menschen" - und "daher die Benennungen, Grabenstutzer, Grabennymphe."

Kaum eine Beschreibung Wiens kommt im späten 18. Jahrhundert ohne Seitenblick auf die als "Nymphen" und ähnlich euphemisierten Prostituierten aus.

Allerdings ist Prostitution im josephinischen Wien verboten und schon der Verdacht auf Freierwerbung mit empfindlichen Strafen verbunden. Um dem Netz der Polizei zu entgehen, erscheinen die Prostituierten deshalb in der Maske der ehrbaren Frau, in der des Stubenmädchens, der Köchin, der Aristokratin. Wen genau sahen die Autoren also in den Straßen Wiens?
Unklarheit, wie man "sie" erkennt
Ernst Moritz Arndt ist 1798 in seiner Beschreibung Wiens keineswegs klar, wen er vor sich hat, denn die "Töchter des Vergnügens" wären daran zu erkennen, "daß sie allein, oder zu zweyen und dreyen ohne eine Mannsperson gehn, sie suchen Eine."

Der Wiener Kleriker und Publizist Johann Rautenstrauch sieht sich 1784 außerstande, die Wiener Prostituierten über ihre Gestik und Mimik zu charakterisieren, denn sie hätten "nicht das Redende, das Freche in ihrer Stellung", überhaupt nähmen "sie kein Geld, aber Kostbarkeiten an, weil diese mit einem Schein des Anstandes begleitet sind".

Eine Semantik des Liederlichen lässt sich im josephinischen Wien nicht klar artikulieren. Einzig ihr Blick unterscheidet die ehrbaren Frauen von den liederlichen, da sind sich die Autoren einig. "Ein flüchtigeres Auge mag sie zuweilen bezeichnen", denn die Wienerinnen seien "mit Blicken sehr gütig".
Genreszenen ohne Freudenmädchen?
Die einleitende Beschreibung von Carl Schütz' Ansicht des Grabens kann die Wiener Prostituierten zumindest lokalisieren. Die Ansicht selbst zeigt den Graben als großartigen städtischen Ort der Promenade und hält sich damit getreu an die Regeln des Straßenbildes: Die Architekturen sind korrekt - wenn auch, um den Eindruck der Größe des Platzes zu suggerieren, perspektivisch verzerrt - Staffage bleibt Staffage.

Und doch entwickelt Schütz innerhalb des Bildpersonals Genreszenen. Wir finden etwa in den links im Bild an der Ecke zur Dorotheerstraße lungernden Männern die beschriebenen Stutzer, weiter links haben sich "Neuigkeitskrämer" und "Müssiggeher" zu Grüppchen geschart.

Allerdings können wir weder "unverschämte" noch "flüchtige" Blicke beobachten: Wo also sind die Freudenmädchen?
Am Schnepfenstrich ...
Löschenkohl hat 1784 einen Kupferstich geschaffen, der vielleicht an Schütz' überaus erfolgreiche Ansichten anknüpfen wollte. Doch Löschenkohl zeigt uns nicht nur den Graben, sondern den "Schnepfen-Strich", so die Bildunterschrift. Es ist der "Spaziergang des Abends am Graben" den wir hier wie bei Schütz beobachten können.

Die Architektur ist bei Löschenkohl die Kulisse für das Bildpersonal: Die Bildunterschrift ist direkt unter die Füßen eines Mädchens zentriert, dass sich in der Bildmitte frontal wie eine Königin exponiert - links huldigt ihr ein Verehrer.

Ihre Stubenmädchentracht wird angesichts des Titels buchstäblich zum Kostüm. Blicken wir weiter in das bunte Getümmel, so erscheint vom aristokratischen, über das bürgerliche bis hin zum Dienstbotenkostüm das ganze Trachtenspektrum der Stände.
... eine Maskerade, die verwirrt
"Nach dem Kleide, welches doch sonst ein noch so ziemlich sichrer Schild ist, an welchem man Vornehme und Geringe und Personen von Stande vom Pöbel unterscheiden kann, kann er hier niemand erkennen, denn alles maskirt sich," warnt Ludwig Röhr unbedachte Reisende 1789.

Löschenkohls Maskerade visualisiert das unbestimmte Changieren zwischen Geheimem und öffentlicher Zurschaustellung, zwischen Lasterhaftem und Ehrbarem.

Genau diese Unsicherheit verwehrte den Autoren eine Semantik des Liederlichen. Nur den Bildern konnte das Einfangen jener "flüchtigen" und "gefälligen" Blicke gelingen.

[3.6.06]
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Über die Autorin
Romana Filzmoser, Mag. phil., ist Doktorandin an der Universität Salzburg. Sie studierte Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Salzburg sowie an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin. 2005/2006 arbeitet sie als IFK_Junior Fellow an dem Projekt "Ikonographie des Liederlichen. Visualisierungsstrategien von Prostitution im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert".

Mit der Vergabe von Junior Fellowships fördert das IFK Dissertanten (bis zum 35. Lebensjahr) mit kulturwissenschaftlichen Projekten. IFK_Junior Fellowships werden für ein Jahr vergeben, beinhalten ein monatliches Stipendium und einen Arbeitsplatz am Institut, der den Austausch mit den Senior und Research Fellows des Instituts befördert. Junior Fellowships werden vorzugsweise an österreichische Studierende vergeben. Die nächste Ausschreibung ist im Oktober 2006.
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01.01.2010