News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Putzerfisch-Symbiose: Ehrlich währt am längsten  
  Symbiosen sind im Tierreich weit verbreitet, denn das Prinzip von Geben und Nehmen bringt in der Regel beiden Partnern einen Vorteil. Betrug kommt hingegen relativ selten vor. Zwei Verhaltensforscher haben nun herausgefunden, warum etwa Putzerfische ihre Kunden so selten betrügen: Letztere bespitzeln offenbar ihre Symbiosepartner - und können auf diese Weise deren Vertrauenswürdigkeit abschätzen.  
Das berichten Redouan Bshary von der Universität Neuchatel und Alexandra S. Grutter von der University of Queensland.
...
Die Studie "Image scoring and cooperation in a cleaner fish mutualism" von Redouan Bshary und Alexandra S. Grutter erschien in "Nature" (Bd. 441, S. 975-8; doi: 10.1038/nature04755).
->   Abstract
...
Eins plus eins ist mehr als zwei
Wenn zwei sich zum gegenseitigen Nutzen zusammentun, dann spricht man in der Biologie von Symbiose - bzw. exakter: von Mutualismus. Blattläuse und Ameisen etwa: Erstere sondern Honigtau ab, an dem sich die Ameisen gütlich tun. Diese revanchieren sich freilich bei ihren Haustieren, in dem ihnen Schutz vor Feinden bieten.

Ein anderes, ebenso berühmtes Beispiel sind Putzerfische und ihre Kunden: Wenn etwa der sechs bis zehn Zentimeter große Putzerlippfisch (Labroides dimidiatus) in indopazifischen Gewässern um seinen viel größeren Kunden, den Schärpen-Scheinschnapper (Scolopsis bilineatus) herumscharwenzelt, dann tut er das nicht ohne Grund.

Er findet auf der Haut des Scheinschnappers Parasiten, die er gerne frisst. Und sein Kunde lässt es gerne geschehen, denn auch für ihn bringt das Tauschgeschäft "Nahrung gegen Hygiene" nur Vorteile - zumindest auf den ersten Blick.
->   Mutualismus - Wikipedia
Schleimige Versuchung
Sieht man nämlich etwas genauer hin, stellt sich die Angelegenheit etwas komplizierter dar. Denn in Wirklichkeit ist der Putzerfisch gar nicht so versessen auf Hautparasiten. Seine tatsächliche Lieblingsspeise ist der nahrhafte Schleim, der die Haut des Scheinschnappers umgibt (Biology Letters, Bd. 270, S. 242).

Fische stellen eine solche Schleimschicht aus zwei Gründen her: Zum einen reduziert sie den Reibungswiderstand im Wasser, zum anderen schützt sie auch vor Infektionen - sie gehört also im weiteren Sinn zum Immunsystem. Der Scheinschnapper kann also kein Interesse daran haben, dass der Putzerfisch die wertvolle Schleimschicht löchrig frisst.

Beobachtungen in der freien Natur haben auch gezeigt, dass der Putzerfisch seine natürliche Vorliebe für Schleim unterdrückt und stattdessen die Haut brav nach Parasiten absucht.
Warum so ehrlich?
Was folgende Frage aufwirft: Warum eigentlich hintergeht der Putzer seinen Klienten nicht? Intuitiv würde man erwarten, dass der Scheinschnapper betrügerische Putzer einfach auffrisst - groß genug wäre er ja. Aber auch das kommt selten in der Natur vor. Offenbar gibt es zwischen den beiden Spezies etwas, das Wohlverhalten sicherstellt und Betrug ausschließt.

Lösung Nummer zwei für dieses Problem ist das Prinzip des "reziproken Altruismus", das - kurz gefasst - mit der Formel "Wie du mir, so ich dir" beschrieben werden kann. Dem zufolge kooperiert man nur mit Partnern, mit denen man bereits gute Erfahrungen gemacht hat, während man Betrügern tunlichst aus dem Weg geht.
->   Reziproker Altruismus - Wikipedia
Verlässlichkeit durch Umwege
Das kann auf direkte Weise geschehen, etwa bei Primaten: Sie erkennen einander als Individuen und können daher solche Tiere von zukünftigen Kooperationen ausschließen, die sie bereits betrogen haben. Theoretiker haben in den letzten Jahren noch eine andere, indirekte Möglichkeit für die Entstehung stabiler Gemeinschaften ersonnen.

Die Grundüberlegung ist, dass Tiere durch bloßes Beobachten herausfinden können, ob ein potenzieller Partner vertrauenswürdig ist - oder eben nicht (Nature, Bd. 393, S. 573).
Probe aufs Exempel im Aquarium
Dafür bedarf es keineswegs höherer geistiger Fähigkeiten, wie nun Redouan Bshary und Alexandra S. Grutter gezeigt haben. Die Verhaltensforscher ersonnen zwei Experimente im Aquarium, bei denen sie die beiden Fischarten auf die Probe stellten.

In Versuch Nummer eins musste ein Scheinschnapper zwei Attrappen von Artgenossen mit je einem Putzerfisch beobachten, von denen sich einer kooperativ, der andere neutral verhielt. Dann durften sich die Scheinschnapper einen Symbiosepartner wählen. Wie erwartet entschieden sich die Tiere in der Mehrzahl der Fälle für die kooperativen Putzer.

In Versuch Nummer zwei wiesen Bshary und Grutter nach, dass auch Putzerfische durchaus lernfähig sind. Wurden ihnen zwei Arten von Nahrung auf Scheinschnapper-Attrappen angeboten, wählten sie konsequent die weniger wohlschmeckende, sofern diese Wahl weitere "Symbiosen" ermöglichte. Zwischen den beiden Arten gilt also offenbar der Grundsatz: "Vertrauen ist gut, Beobachtung ist besser".

[science.ORF.at, 22.6.06]
->   Putzerlippfische - Wikipedia
->   Das Stichwort Symbiose im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010