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Wie die Sprache die Vernunft überlistet  
  Homo oeconomicus? Von wegen. Auch der Mensch entscheidet nicht immer nach den Kriterien der Vernunft. Etwa beim so genannten Framing-Effekt, der die Tatsache beschreibt, dass ein und die selbe Botschaft durch die Art ihrer Formulierung verzerrt werden kann. Neurobiologen haben nun herausgefunden, was im Gehirn passiert, wenn wir uns von sprachlichen Varianten täuschen lassen.  
Wie ein Team um Benedetto De Martino vom University College London berichtet, wird der Framing-Effekt durch eine Erregung im Emotionszentrum des Gehirns ausgelöst. Wichtiges Nebenresultat: Personen, die rationaler entscheiden, empfinden keineswegs weniger Emotionen - sie verarbeiten sie nur anders.
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"Frames, Biases, and Rational Decision-Making in the Human Brain" von Benedetto De Martino et al. erschien in "Science" (Bd. 313, S. 684-7; doi: 10.1126/science.1128356).
->   Abstract
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Frage der Perspektive
Bild: Organic Prairie Family of Farms
Angenommen, sie stehen vor dem Kühlregal im Supermarkt und haben die Wahl zwischen zwei in Folie eingeschweißten Fleischstücken. Auf dem einen steht: "85 Prozent mageres Fleisch", auf dem anderen: "15 Prozent Fett". Obwohl beide Packungen offenbar das gleiche Fleisch enthalten, würden sich vermutlich die meisten Menschen für die erste entscheiden.

Der Grund dafür ist, dass die sprachliche Einkleidung von Sachverhalten unsere Wahrnehmung beeinflusst. Das lässt sich beispielsweise auch für rhetorische Ablenkungsmanöver ausnützen - etwa bei so schönen Wörtern wie "Entlassungsproduktivität", "Negativzuwanderung" und "Nullwachstum".
Ökonomie der Entscheidungen
Wie dem auch sei: Das Phänomen ist deswegen interessant, weil es im Gegensatz zu einem Axiom der klassischen Spieltheorie steht, die u.a. vom Mathematiker John von Neumann begründet wurde. Von Neumann ging 1944 in seinem Buch Theory of Games and Economic Behavior von der Annahme aus, dass sich menschliche Entscheidungen allein an logischen Kriterien orientieren.

Amos Tversky und Daniel Kahneman wiesen hingegen vor 25 Jahren nach, dass das nicht immer der Fall ist: Unsere Entscheidungen sind nicht nur von sachlichen Erwägungen abhängig, sondern auch von den Rahmenbedingungen, unter denen sie getroffen werden. Tversky und Kahneman nannten das Phänomen daher framing effect (Science 211, 453).
Die Emotions-Hypothese
Kahneman vermutete später, dass der Framing-Effekt mit vereinfachenden Lösungsstrategien zu tun haben könnte, auf die Menschen vor allem bei komplexen Problemen zurückgreifen. Diese Strategien, so Kahneman, sollten vor allem durch emotionale Bewertungen im Gehirn gespeist werden. Das klingt plausibel, wurde aber bis dato noch nicht überprüft.
Framing-Effekt im Experiment
 
Bild: Science

Ein Team um Benedetto De Martino vom University College London bat daher 20 Studenten ins Labor, um nun Kahnemans Hypothese zu testen. Den Studenten wurde im Rahmen eines Versuchs zunächst mitgeteilt, dass sie 50 Pfund zur Verfügung hätten.

Dann wurde den Probanden für vier Sekunden ein Bild präsentiert, das zwei Optionen anbot. Erstens eine Variante, bei der man auf Nummer Sicher gehen konnte, nämlich 20 der 50 Pfund sofort zu behalten. Die zweite Möglichkeit war ein Spiel, dessen Gewinnchancen 20:50 betrugen (Tortendiagramme im Bild oben).
Negative Formulierung erhöht Spielfreudigkeit
 
Bild: Science

Wie man nach kurzem Nachdenken erkennt, sind die beiden Optionen - zumindest mittelfristig - gleichwertig. Aber darum ging es in den Versuchen gar nicht. Vielmehr wollten die Forscher um De Martino herausfinden, unter welchen Rahmenbedingungen sich die Probanden für die Spieloption entscheiden - und wann nicht.

Unter den oben geschilderten Bedingungen wählten 43 Prozent das Spiel. Wurde hingegen die sichere Variante mit der logisch äquivalenten Formulierung "Sie verlieren 30 der 50 Pfund" (Bild oben) angeboten, dann betrug der Anteil der Spieler 62 Prozent - offensichtlich ein Framing-Effekt.
Emotionszentrum im Gehirn aktiv
Magnetresonanzaufnahmen während der Versuche zeigten, dass der Effekt von einer Anregung in der Amygdala begleitet wird. Ein Gehirnareal, das u.a. für die emotionale Bewertung von Erlebnissen verantwortlich ist. Das bestätigt die Vorhersage von Daniel Kahneman, der sich denn auch gegenüber Science sehr positiv äußerst: "Die Resultate könnten kaum eleganter sein", betont der an der Princeton University lehrende Ökonom.
->   Amygdala - Wikipedia
Rational heißt nicht emotionslos
Dementsprechend wäre auch zu erwarten gewesen, dass Personen, die für den Framing-Effekt besonders empfänglich sind, auch eine höhere Aktivität in der Amygdala aufweisen. Das war aber nicht der Fall. Stattdessen fanden De Martino und Kollegen heraus, dass die Tendenz zu emotionalen Entscheidungen durch eine Erregung in einem anderen Hirnareal vorhergesagt werden kann: nämlich im orbitalen und medialen präfrontalen Cortex, kurz: OMPFC.

Von diesem ist bekannt, dass er mit der Amygdala starke Verbindungen unterhält. Was darauf hinweist, dass er emotionale Bewertungen mit anderen Informationen verbindet (etwa der, dass zwei zur Wahl stehende Optionen gleichwertig sind). Das führt De Martino zu folgender Schlussfolgerung: "Menschen, die rationaler entscheiden, empfinden nicht weniger Emotionen. Sie regulieren sie nur besser."

Robert Czepel, science.ORF.at, 4.8.06
->   University College London
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01.01.2010