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"Evaluation von unten": Studenten benoten Lektoren  
  In Deutschland sorgt eine Website für Unruhe: Auf "MeinProf.de" bewerten Studenten Lehrveranstaltungen und Lektoren. Die Evaluierten waren zunächst wenig erfreut, den Seiten-Betreibern wurde sogar mit rechtlichen Schritten gedroht. Seit kurzem ist nun auch das österreichische Pendant online, doch hierzulande ist es noch recht still um die Bewertungsplattform.  
Die Betreiber, Studenten der TU Berlin, setzen sowohl in Deutschland, als auch in Österreich auf das gleiche Konzept: Studierende vergeben Schulnoten in den Kategorien Fairness, Unterstützung, Arbeitsmaterial, Verständlichkeit, Spaß und Engagement.

Kritiker werfen der Webseite fehlende Objektivität vor, weil die Anzahl der Wähler stark variiert und zu wenig Schutz vor Manipulation besteht.
Androhung rechtlicher Schritte in Deutschland
Manche Vortragende fühlten sich öffentlich an den Pranger gestellt. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen und die Fachhochschule München kündigten im Frühjahr auf Wunsch einiger Lektoren rechtliche Schritte an, sollten diese nicht von der Website entfernt werden. MeinProf.de kam dieser Aufforderung nach.

Mittlerweile hat sich der Wirbel wieder gelegt: Auch einige jener Vortragenden, die zuerst von der Website gestrichen werden wollten, sind nun wieder dabei. Diesmal aber "freiwillig und bewusst", betonen Sprecher der beiden deutschen Universitäten.

Man sei offen für den Wettbewerb und nie gegen die Kritik an sich gewesen, nur wollte man Rufschädigungen durch manipulierte Abstimmungen vermeiden, so der Tenor der Unis.
Mangelndes Interesse an MeinProf.at
Seit Februar dieses Jahres ist mit MeinProf.at auch eine österreichische Version online. Die Anzahl der Bewertungen ist bisher allerdings mager: Erst knapp über 2.000 Benotungen sind eingegangen.

Die hiesige Partnerorganisation der deutschen Betreiber, uniforce, ist über diesen Unterschied selbst "sehr erstaunt", wie deren Geschäftsführerin Patricia Lobinger gegenüber science.ORF.at meinte.

Bisher wurde MeinProf.at nicht beworben. Man setzte stattdessen auf Mundpropaganda. Obwohl auch in Deutschland kaum Werbung stattfand, entwickelte "MeinProf" dort aber eine Eigendynamik. Über 150.000 Bewertungen gibt es mittlerweile und der Streit mit den Unis in Aachen und München setzte eine öffentliche Debatte über diese neue Art "akademischer Qualitätskontrolle" in Gang.
Top- und Flop-Professoren
Dass die Meinprof-Seiten nicht zu einer objektiven Bewertung führen, unterstreicht Patricia Lobinger. "Es ist nicht zur Verurteilung gedacht, sondern als Mittel für Studenten, um sich aufgrund der Benotungen für Vorlesungen zu entscheiden."

Auch auf der Website wird darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ sind. Konkreter Ausdruck dieses Umstands: Bereits fünf Bewertungen reichen derzeit aus, um in Österreich einen Lektor in die "Top-" oder "Flop-Ten" zu reihen.
Kritik an der Methode - frei nach Wittgenstein
Wolfgang Treitler von der theologischen Fakultät Wien kam so zur Ehre eines Top-Ten-Platzes. Dennoch schätzt er "diese Plattform keineswegs als wissenschaftlich oder didaktisch aussagekräftig ein, sondern sie spiegelt eher die Lust an Umfragen und deren Auswertung".

"Wittgenstein mahnte sich stets, wenn man ihn gern zu hören begann. Das halte ich für sehr wichtig, weil man so verhindert, einer Eitelkeit zu erliegen, die solche Plattformen pflegen helfen," meinte er gegenüber science.ORF.at.

Michaela Schaffhauser-Linzatti von der WU-Wien war im Juli hingegen mit nur 28 kritischen Stimmen Spitzenreiterin der "Flop-Professoren". Bei den etwa 800 Studierenden, die Schaffhauser-Linzatti unterrichtet, seien 28 negative Bewertungen nicht repräsentativ, sagt sie. Sie scheue nicht die Bewertung an sich, jedoch zweifle sie an ihrer Methode.
Neuer Schutz vor Missbrauch
Um die Bewertung objektiver zu machen, schützt in Deutschland mittlerweile ein Passwortsystem bei Bedarf vor Manipulationen. Die Vortragenden können Passwörter anfordern und diese in ihren Lehrveranstaltungen verteilen. Damit soll verhindert werden, dass Studenten Kurse evaluieren, die sie nicht besucht haben. Die Bewertung selbst erfolgt weiterhin anonym.

Die österreichische Website ist gegenwärtig vor dieser Art von Missbrauch nicht geschützt, ein Update nach deutschem Vorbild soll laut Patricia Lobinger aber in den nächsten Wochen erfolgen.

Bei der heimischen Version muss man zur Zeit ein Benutzer-Konto anlegen, um abstimmen zu können, was eine mehrmalige Bewertung desselben Lektors verhindern soll. Jedoch bleibt die Möglichkeit bestehen, als Einzelperson über mehrere Benutzerkonten zu verfügen.
Wer nicht will, muss nicht mitmachen
Eine Tatsache, die die Erhebung auch nach Meinung der Wiener Anwältin und Expertin für Medienrecht Anja Oberkofler fragwürdig erscheinen lässt. Rechtlich gesehen seien Bewertungsplattformen wie MeinProf zulässig, da die "schutzwürdigen Interessen" der Lektoren nicht betroffen seien. Außerdem hätten die Studierenden ein Recht auf Informationsfreiheit.

Dieses könnte aber durch die Undurchsichtigkeit der Evaluierung beeinträchtigt werden: "Sobald ein Vortragender Einspruch erhebt, muss man ihn von der Liste streichen", urteilt Oberkofler.

Der Theologe Treitler sieht keinen Grund, sich von MeinProf.at entfernen - oder hinein reklamieren - zu lassen, solange es nicht zu einer Art Denunzierung werde oder zu einem externen Steuerungsmittel, durch das man Berufstätige ruiniere, erklärt er.
Qualitätssteigerung ohne Diskurs unmöglich
Die Evaluierungsexpertin Christiane Spiel vom Institut für Psychologie an der Universität Wien hält "MeinProf.at" eher für eine "Rezipientenbefragung" als für eine Qualitätskontrolle. Für sie steht die Frage nach der Intention im Vordergrund: Wenn es das Ziel ist, die Lehre zu verbessern, dann müsse man einen anderen Weg gehen und auch ein anderes Medium benutzen.

Was dazu bei der Plattform fehlt, sei die "Interaktion zwischen Vortragenden und Studenten". Nur durch sie können Evaluierungen die Lehrqualität steigern, meint die Psychologin.

Spiels Kritik sei "ein guter Input", findet uniforce-Geschäftsführerin Lobinger. Die Kommunikation mit den Vortragenden könnte helfen, viele ihrer Vorbehalte aufzulösen.

Birgit Wittstock, science.ORF.at, 11.8.06
->   MeinProf.at
->   Streit um das Internetportal MeinProf.de (ZDF 13.3.06)
->   Christiane Spiel, Uni Wien
->   uniforce
->   Wolfgang Treitler, Uni Wien
->   Michaela Schaffhauser-Linzatti, Uni Wien
 
 
 
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01.01.2010