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Kippte die Erde vor 800 Millionen Jahren zur Seite?  
  US-Geologen wollen Hinweise darauf gefunden haben, dass die Erde vor rund 800 Millionen Jahren einmal sehr stark gekippt ist, nämlich um ganze 50 Grad. Mit dieser Drehung wäre beispielsweise Alaska an den Äquator gerutscht.  
Der Auslöser könnte ein riesiger Vulkan in der Arktis gewesen sein: Die aufsteigende Magma hätte demnach ein Ungleichgewicht in die Massenverteilung des Erdballs gebracht.

Um das Gleichgewicht wieder zu finden, hätten sich die Massen in einem geologischen Rekordtempo von nur wenigen Millionen Jahren neu verteilt, schreiben Adam C. Maloof vom Department of Geosciences der University of Princeton und seine Kollegen.

Die Erklärung geht auf eine alte, aber niemals bewiesene Theorie einer "echten polaren Wanderung" zurück.
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Der Artikel "Combined paleomagnetic, isotopic, and stratigraphic evidence for true polar wander from the Neoproterozoic Akademikerbreen Group, Svalbard, Norway" ist als Vorab-Online-Publikation der Fachzeitschrift "Geological Society of America Bulletin (doi: 10.1130/B25892.1) erschienen.
->   Artikel
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Die Arktis reist in die Tropen
Die Theorie der "echten polaren Wanderung" (true polar wander) ist schon rund 140 Jahre alt und hat neben der bekannteren Theorie der Kontinentalverschiebung ein Schattendasein geführt - zu dünn war die Beweislage bisher.

Die Polwanderung beschreibt dabei, wie die Erde selbst ihr Gleichgewicht wieder findet, wenn Massen in ihrem Innern oder auf der Oberfläche ungleich verteilt sind.

Wenn ein massenreiches Objekt wie beispielsweise ein riesengroßer Vulkan weit entfernt vom Äquator entsteht, so sorgt die Fliehkraft der Erdrotation dafür, dass sich das schwere Objekt vom Pol und damit der Erdachse wegbewegt - hin zum Äquator, wo die Fliehkraft am größten ist.

Wenn Vulkane und Landmassen stark genug ungleich verteilt sind, so kann auch der ganze Planet kippen und sich soweit drehen, bis die schwerste Masse am Äquator liegt, so lautet die Theorie. Die Erdachse bleibt in Bezug auf das Sonnensystem allerdings in gleicher Position.
Dauer: fünf bis 20 Millionen Jahre
 
Bild: Maloof Laboratory

Die Grafik zeigt das Kippen der Erde: Nach der Theorie der Polwanderung könnte eine schwere Masse in der Arktis vor rund 800 Millionen Jahren die Erdplatten im Lauf von fünf bis 20 Millionen Jahre neu orientiert haben.
Einige Meter pro Jahr
Im Gegensatz zu der Kontinentalverschiebung, bei der sich die Erdplatten relativ zueinander nur einige Zentimeter auf der Erdoberfläche fortbewegen, kann die Polwanderung für einige Meter Verschiebung jährlich sorgen - sie ist also zehn bis hundert Mal schneller.

Komplett verworfen hatten die Wissenschaftler die Theorie der Polwanderung bisher nicht: Nehmen doch Planetenforscher die Polwanderung für andere Planeten wie etwa den Mars an, schreibt Maloof. Doch auf der Erde sei es schwer, entsprechende Hinweise darauf zu finden: Die Erdoberfläche verändert sich kontinuierlich.
Spurensuche im Sedimentgestein
Die Hinweise verstecken sich dabei in uraltem Gestein: Die Wissenschaftler um Maloof untersuchten in den letzten Jahren die geomagnetischen Komponenten von altem Sedimentgestein der norwegischen Inselgruppe Svalbard.

Wenn Partikel auf den Ozeanboden absinken und neues Sediment bilden, so richten sich kleine magnetische Bestandteile nach dem Magnetfeld der Erde aus. Verfestigt sich die Sedimentlage, so kann das Gestein Geophysikern zeigen, wie die magnetische Ausrichtung der Erde zu der Zeit der Formation aussah. Hat sich die Position des Gesteins im Lauf der Zeit verändert, so kann das über Anomalien der Ablagerung abgelesen werden.

Solche Anomalien traten eben auch in dem Gestein auf, das die Forscher bei Spitzbergen fanden. Die einzige Erklärung für diese Anomalien ist für Maloof eine Polwanderung.
->   Svalbard - Wikipedia
"Zwei Fliegen mit einer Klappe"
Damit könnte sich auch ein anderes Rätsel der Erdvergangenheit lösen lassen: Vor rund 800 Millionen Jahren hat es den Forschern zufolge auch bisher nicht erklärbare chemische Veränderungen in den Ozeanen gegeben. Der Einfluss einer Eiszeit kann für diese Periode ausgeschlossen werden.

Die Veränderung der Meereschemie ist aber mit einer Polwanderung zu erklären, meint Maloof in einer Mitteilung der Universität: Wenn sich Kontinente so "plötzlich" verschieben, ihre Flüsse Wasser und Nährstoffe in die Tropen anstelle der Arktis führen, so würde das geochemische Veränderungen bewirken.
Passen weitere Puzzlesteine ins Bild?
Um ihre Theorie einer Polwanderung zu untermauern, machen sich die Geowissenschaftler nun auf die Suche nach Urgestein aus anderen Teilen der Erde. Kein leichtes Unterfangen, da das meiste Gestein mit einem Alter von 800 Millionen Jahren bereits verschwunden sein dürfte. Doch einen Fundort in Australien will das Team um Maloof schon aufgespürt haben.

[science.ORF.at, 30.8.06]
->   Adam Maloof, Department of Geosciences, University of Princeton
 
 
 
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01.01.2010