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Teenager leben in einer eigenen Zeitzone  
  Abends schaffen es die meisten Pubertierenden nicht, rechtzeitig ins Bett zu kommen. Am nächsten Morgen kommen sie kaum aus den Federn. Selbst schuld, könnte man meinen. Studienergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass es für diese Zeitverschiebung biologische Gründe gibt: Die hormonelle Umstellung in dieser Lebensphase führt offenbar zu einem permanenten Jetlag.  
Das berichtet der "New Scientist" in seiner aktuellen Ausgabe (Bd.2567, S.40-43).
Weltweit beginnt die Schule viel zu früh
Ein Teenager zu sein, ist generell ziemlich anstrengend. Der Körper spielt verrückt, der Übergang vom Kind zum Erwachsenen bringt nicht nur Veränderungen, sondern vor allem auch viele Probleme mit sich.

Darüber hinaus haben die meisten Jugendlichen mit permanentem Schlafmangel zu kämpfen. Von den empfohlenen neun Stunden bekommen viele nicht einmal sieben. Der frühmorgendliche Schulbeginn verschlimmert die Situation.

So beginnt die Schule in Europa durchschnittlich um acht Uhr, in den Vereinigten Staaten teilweise sogar um sieben. Eine Erhebung der "US National Sleep Foundation" stellte fest, dass mehr als ein Viertel der elf bis 17-Jährigen mindestens einmal pro Woche im Unterricht einschläft.
Permanente Müdigkeit führt zu Schlafzwang
Mary Caskardon von der Brown Medical School in Rhode Island stellte bei Untersuchungen im Schlaflabor fest, dass ungefähr die Hälfte der Teenager sogar Symptome einer Narkolepsie entwickelt. Dass heißt, die Heranwachsenden fallen direkt in die REM (Rapid-Eye-Movement)-Schlafphase, wie das sonst nur bei dieser schwerwiegenden Schlafstörung der Fall ist - vermutlich aufgrund totaler Erschöpfung.
->   Narkolepsie (Wikipedia)
Individuelle Schlafmuster
Prinzipiell haben Menschen unterschiedliche Schlafmuster, "Morgenmenschen" sind schon früh am Tag aktiv und aufmerksam. "Nachteulen" erreichen ihren Höhepunkt viel später. Allerdings können sich diese Rhythmen im Laufe eines Lebens verschieben.

So stehen die meisten Kinder gern früh auf, erst mit ungefähr 14 Jahren geht der Durchschnitt immer später zu Bett. Rund um zwanzig gehen die meisten wieder "rechtzeitig" schlafen. Später kippt die Entwicklung oft ins andere Extrem: Menschen fortgeschrittenen Alters stehen immer früher auf, sie neigen zur so genannten senilen Bettflucht.
Eine biologische Uhr...
Die Steuerung des Schlafs ist ein hoch komplexer aktiver Prozess. In dessen Mittelpunkt steht die körpereigene biologische Uhr, die im suprachiasmatischen Nukleus (SCN) sitzt - eine erbsengroße Gruppe von Neuronen innerhalb des Hypothalamus.

Dort schalten Proteine bestimmte Gene ein oder aus. Diese zyklische Aktivierung bildet die Grundlage unseres Biorhythmus. Wie genau diese Uhr unseren Schlaf steuert, ist noch nicht restlos geklärt.

Offensichtlich koordiniert der SCN zwei gegenläufige Mechanismen, einer sorgt für Wachheit, der andere für Schläfrigkeit, in Abstimmung mit dem externen Tagesverlauf.
...steuert unseren Schlaf
Schlafbedürfnis baut sich praktisch vom Moment des Aufwachens kontinuierlich auf. Dieser Prozess wird nur durch bestimmte Chemikalien wie Orexin oder Hypokretin gebremst, deren Produktion vom Tageslicht angeregt wird.

Bei Dämmerung beschleunigt sich der Prozess durch eine vermehrte Ausschüttung von Melatonin. Gleichzeitig kühlt der Körper ab und der Stoffwechsel verlangsamt sich. Ab diesem Zeitpunkt könnte man schlafen gehen.
->   Suprachiasmatischer Nukleus
Schlafbedürfnis kommt zeitverzögert
Bei Teenagern verändert sich laut Carskadon dieser Kreislauf in zweierlei Hinsicht. Anhand von Gehirnstrommessungen lässt sich nachweisen, dass sich der Aufbau des Schlafbedürfnisses in der Pubertät verlangsamt. Zusätzlich verschiebt sich der Zeitpunkt der Melatonin-Produktion ungefähr um eine Stunde, wie Speichelanalysen zeigten.

Ob das der tatsächliche Grund für die Veränderung des Schlafverhaltens bei Teenagern ist, ist allerdings umstritten. Kritiker meinen, dass diese einfach eine Folgeerscheinung des langen Aufbleibens sei.
Negative Effekte des Schlafmangels
Wie auch immer: Die negativen Auswirkungen des permanenten Schlafmangels sind manifest. Bei Intelligenztests etwa sinkt die Leistung um sechs oder sieben Punkte, wenn dafür der falsche Zeitpunkt gewählt wird. Da Schulprüfungen meist frühmorgens stattfinden, wenn die Teenager noch halb im Schlaf sind, kann sich das merklich auf ihre Leistungen niederschlagen.

Das größere Problem sind allerdings mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen. Die unnatürlichen Aufstehzeiten könnten laut Martin Ralph, Psychologe an der University of Toronto, zu Veränderungen im Stoffwechsel führen. Generell kann der permanente Jetlag sehr schädlich sein, wie man aus Tierversuchen weiß.

Dass eine fehlende Abstimmung von innerer und äußerer Uhr zu ernsthaften Problemen führen kann, weiß man auch aus Studien mit Schichtarbeitern. Schlafentzug kann sowohl psychische Folgen wie Depressionen oder Angststörungen haben, aber auch die Entstehung ernsthafter Krankheiten bis hin zu Krebs begünstigen.
Licht als Heilmittel
Es klingt fast banal, aber helfen könnte laut Jo Arendt, Melatonin-Expertin vom britischen Surrey Sleep Research Centre, ausreichend Licht am Morgen und Dunkelheit am Abend, um die innere Uhr einzustellen.

Das Problem ist, dass die Jugendlichen in der Früh manchmal noch bei Dunkelheit in die Schule gehen und erst spät am Tag ans natürliche Licht kämen. Nachts sitzen sie lang bei Kunstlicht. Spezielle Lichttherapien könnten daher Abhilfe schaffen.
Späterer Schulbeginn wäre sinnvoll
Fraglich bleibt, ob Lichttherapien der richtige Weg sind, die jugendliche Schläfrigkeit zu bekämpfen. Sinnvoller wäre es vermutlich, den äußeren Rhythmus dem biologischen anzupassen. Die ersten Schulen in Amerika haben bereits ihre Beginnzeiten nach hinten verlegt.

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Schulverwaltungen sich weltweit von der biologischen Notwendigkeit eines späten Beginns überzeugen lassen. Idealerweise sollte die Schule laut Forschern nämlich erst um elf Uhr beginnen.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 31.8.06
->   New Scientist
->   US National Sleep Foundation
->   University of Toronto
->   Surrey Sleep Research Centre
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01.01.2010