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Wie Bakterien Antibiotika aus ihren Zellen pumpen  
  Antibiotika sind schon seit längerem kein Allheilmittel bei der Bekämpfung von Krankheitserregern. Immer häufiger wissen sich die Bakterien zu wehren. Ein Mechanismus, der dabei auftritt: Zahlreiche Bakterien pumpen Antibiotika einfach wieder aus ihren Zellen und werden so dagegen resistent. Den Bauplan einer solchen Antibiotika-Pumpe hat nun ein deutsch-schweizerisches Forscherteam aufgeklärt.  
Damit könnte der Weg für ein neues Gegenmittel geebnet sein: Mit einem entsprechenden Hemmstoff könnten die Pumpe blockiert und damit die Resistenz der Bakterien aufgehoben werden, schreiben die Wissenschaftler der Universität Zürich und Konstanz in einer Aussendung.
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Der Artikel "Structural Asymmetry of AcrB Trimer Suggests a Peristaltic Pump Mechanism" von Klaas M. Pos et al. ist in der Fachzeitschrift "Science" (Bd. 313, S. 1295, 1. September 2006) erschienen.
->   Abstract
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Multiple Antibiotika-Resistenz
Lässt sich ein Bakterium, das eine Infektion verursacht, nicht durch verschiedene Antibiotika bekämpfen, spricht man von multipler Antibiotika-Resistenz ("multidrug resistance").

Dieser umfassende Schutzmechanismus ist laut Klaas M. Pos des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie und seinen Kollegen besonders in Krankenhäusern ein immer häufiger auftretendes Problem.

Gerade bei Patienten, deren Immunsystem stark geschwächt ist, führt multiple Antibiotika-Resistenz zu nicht bekämpfbaren und daher oft tödlichen Infektionen.
Resistenz durch Pumpe
Bei vielen Bakterien wie beispielsweise dem Darmbakterium Escherichia coli oder dem Krankheitserreger Pseudomonas aeruginosa kommt bei der Antibiotika-Abwehr eine Art Pumpe zum Einsatz.

Damit können die Bakterien schädliche Substanzen aus ihren Zellen entfernen. Die Pumpe verhindert äußerst effektiv die Wirkung der Antibiotika und ermöglicht so das Überleben der Bakterien.
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Antibiotika-Resistenz
In entwickelten Ländern sind bis zu 60 Prozent der Infektionen, die sich ein Patient während eines Aufenthalts in Krankenhäusern einfängt, auf mikrobielle Erreger zurückzuführen, die gegen Medikamente resistent sind. Laut der europäischen Behörde "European Antimicrobial Resistance Surveillance System" (EARSS) ist bereits jeder fünfte Österreicher gegen herkömmliche Antibiotika-Therapien resistent (Jahresbericht 2000). Insbesondere die Resistenz von E. coli gegenüber traditionellen Antibiotika wie etwa Aminopenicillin ist in ganz Europa verbreitet und nimmt weiter zu - nur Finnland und Schweden berichten von einer Rate weniger als 30 Prozent (2004). In den europäischen Ländern variieren die Resistenzraten zwischen 25 und 64 Prozent.
->   EARSS-Bericht 2004 zum Download
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Bauplan der Membranpumpe AcrB
Die Forscher um Pos haben jetzt die Struktur der so genannten Membranpumpe AcrB - einen der wichtigsten Mechanismen in der Abwehr gegen Antibiotika - aufgedeckt.

Es scheint, dass für den Transport von schädlichen Substanzen wie etwa Gallensalzen und Antibiotika eine peristaltische Pumpe, also eine Art "Quetschpumpe" genutzt wird.

"Dem Bauplan nach beinhaltet die Pumpe ein Tunnelsystem, durch das die Antibiotika gleiten können", erklärt Pos in der Aussendung. Dieser Tunnel sei zuerst nur an einer zum Zellinnern gerichteten Seite geöffnet, um das Antibiotikum aus der Zelle zu holen.

Ist das Antibiotikum einmal im Tunnel gefangen, wird die innere Tunnelöffnung geschlossen, und gleichzeitig wird der Tunnel an der Außenseite der Zelle geöffnet. Die Peristaltik bewirke, dass das Antibiotikum aus dem nach außen geöffneten Tunnel geleitet würde.

Ist das Antibiotikum einmal aus dem Tunnel heraus und somit für das Bakterium ungefährlich, schließt sich der Tunnel von außen. Er öffnet sich wieder an der Innenseite, um sich das nächste Antibiotikum-Molekül zu angeln.
Der Prozess
 
Bild: K. M. Pos et al./Uni Zürich und Konstanz

Links: Ein Antibiotikum-Molekül (Stern) dringt von außen in die Membran eines Bakteriums (grau) ein und versucht ins Zellinnere zu gelangen. Mitte: Die AcrB Pumpe (farbig) fängt jedoch das Antibiotikum ab und leitet es in den Tunnel (grüner Schlauch). Rechts: Durch das Schließen des Tunnel-Eingangs und gleichzeitiges Öffnen des Tunnels an der anderen Seite (oben) wird das Antibiotikum nach außen transportiert
Kontinuierliches Pumpen
Dieser Prozess wird laut der Wissenschaftler ständig wiederholt und resultiert in einem kontinuierlichen Ausstrom von Antibiotika. Die Folge: Das Bakterium ist resistent und überlebt.

"Mit den neuen Kenntnissen des 'Antibiotika-Pumpmechanismus' ist es denkbar, einen Hemmstoff für diese Resistenz-Pumpe zu entwickeln" sagt Pos.

Ein Molekül, das sich an den engen Stellen des Tunnels verankert und diesen somit verstopft, würde die Pumpe blockieren und die Antibiotika-Resistenz wäre aufgehoben.

[science.ORF.at, 4.9.06]
->   Zürcher Zentrum für Integrative Humanphysiologie
->   Antibiotika-Resistenz bei der WHO
->   Multidrug Resistance - Wikipedia
Aktuelle Beiträge zum Thema in science.ORF.at:
->   Symposium: Bakterien Großmeister der Artenvielfalt (24.8.06)
->   Neues Antibiotikum gegen Superkeime (17.5.06)
->   Neue Wege zur Bekämpfung von Bakterien (6.3.06)
 
 
 
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01.01.2010