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Bürgerbeteiligung gegen Datenschutz-Bedenken  
  "Pervasive Computing" und "Ambient Intelligence" sind zwei Schlagworte, die die Zukunft der Informationstechnologien kennzeichnen. Gemeint sind "intelligente" Hardware- und Software-Systeme, die den Alltag durchdringen und erleichtern sollen. Dass sie aber auch neue Probleme schaffen, ist zumindest Datenschützern lange klar. Ein EU-Projekt unter österreichischer Leitung soll nun Datenschutzbedenken zerstreuen - und betroffene Bürger direkt in die Entscheidungen einbinden.  
"Zentrale Elemente der Technologieentwicklungen stehen in direktem Widerspruch zu den Fundamenten des Datenschutzes", meint Johann Cas vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Der Volkswirt und IT-Sicherheitsexperte leitet seit Beginn des Jahres PRISE ("Privacy Security") - ein von der Europäischen Kommission gefördertes Projekt mit dem Ziel, neue Maßnahmen in der Sicherheitstechnologie in Einklang mit dem Schutz der Privatsphäre und der Menschenrechte zu bringen.
"Akzeptable und akzeptierte Technologien"
Bei dem Projekt werden laut Cas erstmals Verfahren der Bürgerbeteiligung im Bereich Sicherheitstechnologien umgesetzt. Zunächst erstellt und entwickelt das internationale Forschungsteam Kriterien und Richtlinien. Diese Ergebnisse sollen dann in Szenarien umgesetzt und schließlich in Form von Interview-Meetings überprüft werden.

Rund 30 Bürgerinnen und Bürger aus jeweils sechs europäischen Ländern sollen in einer qualitativen und quantitativen Bewertung der von Experten dargestellten Szenarien ihre Einschätzung und Präferenzen begründen.

Das zweijährige Projekt wird vom ITA koordiniert und gemeinsam mit Partnern aus Dänemark, Norwegen und Deutschland durchgeführt. Das Hauptergebnis soll ein Kriterienkatalog sowohl für "akzeptable als auch akzeptierte Sicherheitstechnologien" sein.
Auf dem Weg zur panoptischen Gesellschaft
Johann Cas warnte bei den Technologiegesprächen in Alpbach vor kurzem vor der Gefahr des Datenmissbrauchs. Die allgegenwärtige Technologie werde zwar auf der einen Seite unseren Alltag unbestritten in vielen Dingen erleichtern.

So verspricht Ubiquitous Computing (UC) die Unterstützung menschlicher Aktivitäten durch eine Technologie, die unbemerkt im Hintergrund arbeitet und mühelos genutzt werden kann: Tastaturen oder andere technische Eingabegeräte werden durch Interfaces ersetzt, die gesprochene Worte, Gesten oder Mimik beobachten und diese als potenzielle Befehle interpretieren. Biometrische Verfahren werden Passwörter oder PINs als Identitätsnachweis ersetzen.

Die Folge der Schaffung einer solchen intelligenten Umgebung sei jedoch auf der anderen Seite eine "panoptische Gesellschaft", deren Daten jederzeit und überall abgerufen werden könnten, warnt Cas.
Mix an Gegenmaßnahmen nötig
Ein bewusstes Einverständnis zum Datenschutz werde daher in Zukunft nur noch in Einzelfällen möglich sein. Um den Schutz der Privatsphäre und damit Grundrechte dennoch zu wahren und oft auch irrationalen Sicherheitsängsten entgegenzuwirken, würde es mehrere Maßnahmen erfordern, ist Cas überzeugt.

Er schlägt einen Mix von "Privacy Enhancing Technologies" (PETs), Beschränkungen bei der Nutzung von Pervasive Computing und neue Regulierungen vor.

Darüber hinaus sei es unerlässlich, breite öffentliche Debatten zu führen. Nur so könnten Sicherheitsvorkehrungen sinnvoll und akzeptiert angewendet werden.
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"Privacy Enhancing Technologies"
PETs, die bereits zum Schutz persönlicher Daten entwickelt wurden: Mithilfe von Identitätsmanagement-Systemen etwa werden Pseudo-Identitäten erzeugt. So kann indirekt, das heißt anonymisiert ein Bezug zu einer Person hergestellt werden, ohne den Datenschutzprogramme nicht möglich sind. Ubiquitäre Video- oder Audioaufnahmen kommen zur Unterstützung des Gedächtnisses zum Einsatz. Sie werden ohne Interpretation oder Auswertung durchgeführt und von den beteiligten Personen kontrolliert. Die grundlegende Idee des Digital Right Management wiederum ist es, Daten zu verschlüsseln und den Zugang zu diesen Daten nur dann zuzulassen, wenn bestimmte bereits vorab definierte Bedingungen gegeben sind.
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Pessimistische Einschätzung - Sicherheitskonzepte fehlen
Dennoch zeigt sich der Experte pessimistisch. Technische Lösungen, die einen Schutz der Privatsphäre bewirken können, seien zwar grundsätzlich verfügbar, würden aber weit gehende Einschränkungen der Funktionalität dieser modernen Systeme bedeuten.

Das hieße in der Praxis auf Ideen zu verzichten, die den Kern des Paradigmas von allgegenwärtigen Informationstechnologien darstellen.

"Noch fehlt ein überzeugendes Konzept für die Gestaltung von Pervasive Computing Systemen, welches ein akzeptables Niveau an Privatsphäre in der Zukunft garantieren kann", so Cas.

[science.ORF.at, 11.9.06]
->   PRISE
->   Forum Alpbach 2006
->   Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA), ÖAW
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   EU-Sicherheitsforschung: Grundrechte schützen (20.2.06)
->   Zwischen Sicherheitsvorsorge und Sicherheitswahn (5.10.05)
 
 
 
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01.01.2010