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Online-Rollenspiele spiegeln das wahre Leben  
  Die Kommunikation von Menschen in den virtuellen Welten des Internet unterscheidet sich radikal von jener im wirklichen Leben. Sollte man meinen. US-Forscher haben nun gezeigt, dass die Differenzen gar nicht so groß sind: Einfache Regeln aus der Sozialforschung lassen sich offenbar auch bei elektronischen Rollenspielen nachweisen.  
So unterschieden sich etwa Frauen und Männer in beiden Welten hinsichtlich ihrer Intimdistanz. Ähnliche Zusammenhänge gibt es auch bei der Häufigkeit des Augenkontakts.

Daraus schließen die Forscher von der Stanford University, dass gewisse Muster des Sozialverhaltens künftig auch im Internet studiert werden können.
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Die Studie "The Unbearable Likeness of Being Digital: The Persistence of Nonverbal Social Norms in Online Virtual Environments" von Nick Yee et al. erscheint in der Zeitschrift "CyberPsychology and Behavior".
->   Preprint der Studie (pdf-Datei)
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Revolution des Sozialverhaltens?
Was wurde nicht alles vom Internet erwartet, als es in den 1990er-Jahren Einzug in die Lebenswelt der Normalverbraucher hielt: Eine Revolution der sozialen Beziehungen sollte es sein, ein Gegenentwurf zur von Normen und Regeln durchdrungenen physischen Welt, im Rahmen dessen man neue Identitäten annehmen und spielerisch umsetzen kann. Kurzum: eine Neudefinition des menschlichen Verhaltens in einer virtuellen Welt.
Im Kern wenig Neues
Andererseits muss die völlige Freiheit nicht unbedingt Abkehr vom Gewohnten bedeuten, wie etwa die Science-Fiction-Serie "Star Trek" lehrt. Auch Klingonen und Vulkanier haben zwei Arme, Beine und Augen, einen Mund und eine Nase. Sie sprechen in einer Lautsprache, deren grammatikalische Struktur der unseren ähnelt und sind auch sonst dem menschlichen Geschlecht verblüffend ähnlich.

Komisch eigentlich. Wenn alles möglich ist, dann sollten sich der Fantasie entsprungene Lebensformen doch durch mehr von uns unterscheiden als durch spitze Ohren oder eine gerillte Stirn.

Vielleicht ist es gar nicht so einfach, die gewohnten Muster abzuschütteln? Vielleicht sind unsere Wahrnehmungs- und Verhaltensformen konservativer, als man glaubt?
"Second Life" im WWW
 
Bild: Second Life

Ein Team um Nick Yee von der Stanford University hat diese Frage nun systematisch anhand der Online-Plattform "Second Life" untersucht, in der gegenwärtig 289.256 Menschen (Stand: 12.9.06) ihren virtuellen Lebensalltag verbringen.

Die Welt, die Second Life bietet, wurde vollständig von ihren Usern aufgebaut und beinhaltet vieles, was wir auch aus dem richtigen Leben kennen - Gebäude, Autos, Bäume, Museen, Universitäten, Sex-Clubs und nicht zuletzt: harte US-Dollars, ohne die auch in dieser Alternativgesellschaft offenbar nichts geht.

Der einzig große Unterschied zum richtigen Leben ist die Identität der Teilnehmer. Die User können ihre körperliche Gestalt frei wählen, als Mann, Frau oder Tier auftreten und als solche mit den anderen Bewohnern von Second Life in Kontakt treten.

Bild oben: Szene aus Second Life
Untersuchte Größen: Intimdistanz ...
Die Forscher um Nick Yee konzentrierten sich bei ihrer Untersuchung auf zwei Aspekte der nonverbalen Kommunikation. Zum einen die Tatsache, dass Menschen (im wirklichen Leben) eine gewisse räumliche Distanz zwischen sich und ihrem sozialen Gegenüber wahren.

Wie der US-amerikanische Anthropologe Edward T. Hall herausfand, ist dieser Abstand jedoch kulturabhängig. Später wurde nachgewiesen, dass sich auch die Geschlechter diesbezüglich unterscheiden: Frauen pflegen in der Regel eine geringere Distanz zu ihren Gesprächspartnerinnen als es zwischen Männern der Fall ist.
... und Augenkontakt
Wird diese von jemandem unterschritten, empfinden wir das meist als unangenehm. Gemäß der so genannten Gleichgewichtstheorie versuchen wir diesen Eingriff durch andere Verhaltensweisen zu kompensieren. Etwa dadurch, indem wir den Blickkontakt von der betreffenden Person abwenden.

Das war die zweite von den US-Forschern untersuchte Größe - und auch hier gibt es offenbar Geschlechterunterschiede: Augenkontakt tritt nämlich zwischen Frauen häufiger auf als zwischen Männern.
Gender-Regel wiederholt sich
Yee und Kollegen wollten nun wissen, ob diese Muster in der virtuellen Welt erneut auftreten. Zu diesem Zweck entwickelten die US-Forscher ein Computerprogramm, mit dem sie die Kommunikation von 1.600 Bewohnern beobachteten.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Auch in der Welt von Second Life wahrten Paare von Männern eine größere räumliche Distanz und pflegten weniger Augenkontakte als es bei Frauen der Fall ist.

Interessanterweise gilt diese Regel für das soziale Geschlecht auf virtueller Ebene ("gender"), nicht aber für das biologische Geschlecht der User ("sex").
Neue Spielwiese für Sozialforscher
Yee zieht aus der Entsprechung von virtueller und realer Welt den Schluss, dass Online-Communities ein geeignetes Feld für weitere Sozialstudien darstellen, weil sie offenbar auch etwas über das wirkliche Leben aussagen.

Dmitri Williams, Kommunikationsforscher von der University of Illinois, betont gegenüber dem Online-Dienst von "Nature", dass es selbstverständlich auch substanzielle Differenzen zwischen den beiden Welten gebe: "Die Bereitschaft von Menschen, Risiken einzugehen, ist in der Onlinewelt ungleich höher. Der Tod ist online keineswegs permanent, offline hingegen sehr wohl", so Williams:

"Allerdings gab es bisher noch keine Forschungen, die zeigen, welche Regeln in beiden Welten gelten - und welche nicht. Das ist der Grund, warum diese Studie wichtig ist."

[science.ORF.at, 13.9.06]
->   Website von Nick Yee
->   Website von Dmitri Williams
->   Second Life
 
 
 
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01.01.2010