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USA: Zu wenige Jobs für Jungforscher  
  Mehr Forscher braucht das Land, heißt es oft. Schließlich müsse Europa den Abstand zur Wissenschaftsmacht USA verringern. In Übersee scheint hingegen ein gegenteiliger Trend einzusetzen. Anstellungen für Jungforscher werden immer rarer, sodass sich US-amerikanische Fachleute mittlerweile fragen: Bilden wir zu viele Forscher aus?  
Zumindest was die boomenden life sciences betrifft, dürfte sich in den USA eine Schere zwischen Absolventenzahlen und vorhandenen akademischen Positionen öffnen. Fünf Jahre nach der Promotion finden nur mehr 18 Prozent der Jungforscher einen Platz im universitären Laufbahnsystem.
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Diesem Thema geht aktuell der Artikel "Are We Training Too Many Scientists?" von Bijal P. Trivedi nach. Erschienen in "The Scientist" (Bd. 20, S. 42).
->   Zum Artikel (kostenpflichtig)
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US-Laufbahnschema
Master, PhD, Post-Doc sind die drei ersten Etappenziele einer akademischen Karriere. Während in Österreich Jungforscher oft erst während oder nach der postdoktoralen Phase ins Ausland gehen, wird in den USA Mobilität viel früher gefordert und auch gefördert.

Dafür treten die US-amerikanischen Nachwuchsforscher früher in ein Laufbahnstadium ein, das eine langfristige Planung zulässt. Tenure track heißt dieses System, im Rahmen dessen man zunächst einen mehrjährigen befristeten Vertrag bekommt. Bewährt sich der bzw. die Betreffende, stehen die Tore für eine weitere Laufbahn offen.
Flaschenhals bei Graduierten
In Österreich hangeln sich gleichaltrige Wissenschaftler hingegen oft von Projekt zu Projekt - langfristige Karriereperspektiven sind meist die Ausnahme. So wird das Tenure-Modell häufig als Vorbild betrachtet, weil es Sicherheit mit Leistungsbereitschaft verbindet.
Nur: Offenbar gibt es in den USA mittlerweile ein Missverhältnis zwischen der Zahl der Absolventen und jener der akademischen Positionen.

Laut einer jährlich von der National Science Foundation (NSF) veröffentlichten Analyse des Forschungsstandorts USA, den "Science and Engineering Indicators 2006", hat sich die Zahl der Doktorate in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt. Ähnlich entwickelten sich die Zahlen bei Post-Doc-Stellen.

Allerdings nahm der Anteil jener Forscher, die fünf Jahre danach eine Tenure-track-Stelle erhielten, kontinuierlich ab. In den Lebenswissenschaften waren es 2003 nur mehr 18 Prozent, in der Biologie gar nur 15 Prozent. Zum Vergleich: 1993 konnte immerhin ein Viertel der promovierten Biologen in das typische Laufbahnschema eintreten.
->   Science and Engineering Indicators 2006
US-Unis: Management gewinnt an Einfluss
Auch wenn man einen weiteren Zeithorizont wählt, sprechen die Statistiken die gleiche Sprache: 61 Prozent der PhD-Graduierten des Jahrganges 1963/64 fanden zehn Jahre nach ihrem Abschluss Eingang in das Tenure-System, beim Jahrgang 1985/86 betrug der Anteil nur mehr 38 Prozent.

Fragt sich: Warum? Hochschulforscher David Campbell vom IFF in Wien sieht dafür folgende Gründe: Zum einen habe der Einfluss des Managements an den US-Universitäten in den letzten Jahren stark zugenommen, das langfristige Bindungen an Forscher oft als Hemmschuh betrachtet.

Tenure-Modelle passen da oftmals nicht mehr in die an ökonomischer Beweglichkeit orientierten Konzepte. Beispielsweise setzt man auch in der Lehre oft auf externe Lektoren, die naturgemäß billiger und leichter kündbar sind.
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Zensuren-Rückkoppelung
Hier gebe es eine recht interessante Entwicklung, berichtet Campbell: "Seit man an den US-Universitäten vermehrt externe Lektoren einsetzt, sind auch die Zensuren der Studenten deutlich besser geworden. Das hat dazu geführt, dass man mittlerweile die beste Note, das 'A', in Unternoten teilt, weil ohnehin kaum schlechtere Zensuren vergeben werden."

Eine wissenschaftliche Begründung für diese Inflation an guten Leistungen gibt es laut Campbell zwar keine. Auffallend ist immerhin, dass Lektoren - im Gegensatz zum übrigen Lehrpersonal - von den Studenten evaluiert werden. Und das Ergebnis der Evaluationen bestimmt wiederum über die Verlängerung von Lehraufträgen - womit sich der Kreis schließt.
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Zu viele Absolventen, unausgeglichene Förderung
Einen globalen Blick auf das Problem vermittelt der Bericht "Trends in the Early Careers of Life Scientists" aus dem Jahr 1998. Darin wird offiziell kritisiert, dass es eine dramatische Flaschenhalssituation im Post-Doc-Bereich gebe. Grund dafür sei u.a. eine Überproduktion von Absolventen, fehlende Aufklärung bezüglich der realen Karrieremöglichkeiten und eine asymmetrische Verteilung der Fördergelder.

Den letzten Faktor bringt der Bildungsforscher Robert H. Tai von der University of Virgina gegenüber der Zeitschrift "The Scientist" auf den Punkt: "Man kann nicht einfach den PhD-Hahn je nach Fördertrend auf- und abdrehen." Seiner Meinung nach förderten etwa die National Institutes of Health primär etablierte Forscher und ließen den Nachwuchs finanziell im Regen stehen.
->   Trends in the Early Careers of Life Scientists
"Hybride Karriereverläufe"
David Campbell zieht aus seinen eigenen Beobachtungen als Universitätslehrer in Amerika den Schluss, dass das hierzulande viel gelobte Tenure-Modell in den USA selbst Gefahr laufe, ein Minderheitenprogramm zu werden. Derzeit hätten es US-Jungforscher extrem schwer, eine der begehrten Anstellungen zu kommen. Der Konkurrenzdruck sei enorm, und wer seinen Abschluss nicht an einer der Ivy-League-Universitäten gemacht habe, sei in den meisten Fällen ohne Chance.

Die Konsequenz daraus ist, "dass es in Zukunft zu hybriden Karrieremustern kommen wird, bei denen die tenure zwar als Ziel einkalkuliert wird - aber als eher unwahrscheinliche Möglichkeit. Die strikte Trennung - hier die Universitäten, dort der außeruniversitäre Bereich -, wird sich wohl aufweichen. Ich glaube, dass das US-Bildungssystem flexibel genug ist, darauf zu reagieren."
Österreich: Karrieren-Studie läuft
Gleichwohl ist nicht zu befürchten, dass in Hinkunft Legionen von US-Akademikern auf der Straße stehen. Denn zur Not kann man immer noch in der Wirtschaft und an Universitäten der unteren Ligen unterkommen. Ob das das Forscherherz restlos erfreut, ist freilich eine andere Frage.

Laut NSF sind von den PhD-Graduierten im Bereich der Biowissenschaften zwei Prozent arbeitslos (Stand 2003). Das ist mehr als im sozialwissenschaftlichen Bereich (1,5 Prozent), aber weniger als bei Physikern und Mathematikern (2,5 Prozent).

Über die Karriereverläufe von österreichischen Jungforschern gibt es übrigens noch keine offiziellen Zahlen. Aber bald: Laut Wissenschaftsministerium nimmt Österreich gerade an einer OECD-Studie teil, bei der dieses Thema untersucht wird.

Robert Czepel, science.ORF.at, 18.9.06
->   National Science Foundation
->   IFF Hochschulforschung
 
 
 
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01.01.2010