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Wurm lagert Ernährung und Verdauung aus  
  Ein mariner Wurm lebt mit Hilfe von vier Bakterien ohne Verdauungs- und Ausscheidungsorgane. Mittels Genanalyse haben Forscher nun herausgefunden, wie diese Symbiose funktioniert.  
Einem Team um die Wissenschaftlerin Nicole Dubilier vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen und vom Joint Genome Institute (USA) ist es gelungen, die Genome von den vier bakteriellen Symbionten aus dem Inneren des marinen Wurms Olavius algarvensis zu entziffern.

Die Studie könnte einen wichtigen Grundstein für die Analyse anderer komplexer Symbiosen, wie zum Beispiel der Endflora des menschlichen Darms, bilden, so die Wissenschaftler in einer Aussendung.
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Der Artikel "Symbiosis insights through metagenomic analysis of a microbial consortium" von Nicole Dubilier et al. ist auf der Internetseite der Zeitschrift "Nature" vorab erschienen (17. September 2006; doi:10.1038/nature05192).
->   Abstract
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Ohne Mund, Magen und Darm
Olavius algarvensis ist ein Wurm, der in den oberen zwanzig Zentimetern im sandigen Meeresboden der flachen Küstengewässer vor der Mittelmeerinsel Elba beheimatet ist.

Die anatomische Besonderheit des Wurms: Er hat nicht nur sein Verdauungssystem komplett reduziert - also keinen Mund, Magen und Darm -, sondern besitzt auch keine nierenähnlichen Organe und damit kein Verdauungs- und Ausscheidungssystem.
"Outsourcing" von Energiegewinnung und Abfallentsorgung
 
Bild: MPI Bremen und Hydra Institut, Elba, C. Lott

Olavius algarvensis unter dem Mikroskop

Das bedeutet für den Wurm, dass alle Prozesse, die mit Nahrungsaufnahme und Abfallentsorgung zu tun haben, von seinen Symbionten erledigt werden müssen.

Die Forscher wollten nun herausfinden, wie diese wesentlichen Wirtsaufgaben an die Symbionten ausgelagert werden konnten. Denn: Es handle sich schließlich um ein gutes Beispiel für "Outsourcing" von Energiegewinn und Abfallentsorgung.
Kein alleiniges Überleben
Die vier Bakterien, an die der Wurm sein Verdauungssystem "ausgelagert" hat, leben im Innern seines Körpers und bilden mit ihm eine Symbiose.

Eine Beobachtung der Bakterien außerhalb ihres Wirts war allerdings nicht möglich, da sie sich nicht isoliert züchten ließen.

Um trotzdem hinter den Mechanismus der Symbiose zu kommen und damit herauszufinden wie der Wirts-Wurm ohne Mund, Magen und Darm überleben kann, mussten die Forscher die Gene der Bakterien gleichzeitig analysieren. Dies geschah mit Hilfe der so genannten Metagenom-Analyse.
"Wie vier Bücher von vier Autoren"
Die Forscher sind dabei so vorgegangen, als wollten sie vier durcheinander gekommene Bücher vier verschiedener Autoren rekonstruieren, deren Texte nur noch in Bruchstücken vorliegen.

Dies sei möglich, da jeder Autor einen anderen Schreibstil bevorzugt, so Dubilier und ihr Team.
Zuordnung typischer Passagen
Im Genom-"Text" der Bakterien gibt es jedoch nur vier verschiedene Buchstaben: A, G, C und T. Diese Buchstaben hängen ohne "Punkt" und "Komma" aneinander.

Mit Hilfe eines neuen mathematischen Algorithmus wurden für die einzelnen Organismen typische "Buchstaben-Kombinationen" und Häufigkeiten analysiert und ihnen zugeordnet.

So konnten die Bruchstücke zusammengesetzt, die Genome rekonstruiert und die Arbeitsweise der Bakterien analysiert werden.
Vollständiges Recycling
Das Ergebnis der Analyse: Zwei Schwefelbakterien und zwei "Sulfatreduzierer" kommen gemeinsam in dem Wurm vor.

Die Sulfatreduzierer produzieren reduzierte Schwefelverbindungen, die die Schwefeloxidierer als Energiequelle verwenden können. So füttern sich die Symbionten in einem Schwefelzyklus gegenseitig.

Überraschenderweise können alle vier Symbionten wie Pflanzen Kohlendioxid fixieren, der Wurm hat sich also ein regelrechtes "endosymbiotisches Kraftwerk" zugelegt.

An der Zersetzung von giftigen Stoffwechsel-Endprodukten wie Harnstoff und Ammonium sind auch alle vier Symbionten beteiligt und tragen damit zum Recycling von wertvollem Stickstoff bei.
Maximaler Nutzen mit minimalem Aufwand
"Der kleine Wurm macht vor, wie begrenzte Ressourcen durch das Zusammenwirken von aufeinander abgestimmten Mikrobengemeinschaften auf kleinstem Raum effizient genutzt werden können", sagt Nicole Dubilier.

So könnte die "Olavius"-Symbiose ein Modell für eine sich nahezu selbst erhaltende Biosphäre sein.

Vergleichbare Systeme im größeren Maßstab werden intensiv erforscht, um zum Beispiel längere interplanetare Raumfahrten wie die geplante Reise zum Mars bewältigen zu können.

[science.ORF.at/MPG, 20.9.06]
->   Nicole Dubilier, Max Planck Gesellschaft (Englische Version)
->   Joint Genome Institute
Mehr zum Thema Symbiose in science.ORF.at:
->   Röhrenwürmer: Symbiose beginnt als Infektion (19.5.06)
->   Wie sich Pflanzen mit Stickstoff versorgen (29.3.06)
->   Rolemodel für pflanzliche Symbiose entdeckt (14.10.05)
 
 
 
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01.01.2010