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Religionskonflikte: Gefährliche "Geschichtsbilder"  
  Jüngst hat Papst Benedikt XVI. mit seinem kritischen Zitat zum Isalm Muslime weltweit in Aufruhr versetzt. Die Frage, wie Geschichtsbilder den Umgang von Christen und Muslimen prägen und sich auch in aktuellen Auseinandersetzungen widerspiegeln, ist u.a Thema des derzeitigen 46. Deutschen Historikertages.  
Der Papst, George Bush und Mohammed
Das Programm des 46. Deutschen Historikertages war schon lange festgezurrt, bevor Papst Benedikt XVI. mit seiner Regensburger Vorlesung über Glauben und Vernunft für wütende Proteste in der islamischen Welt sorgte.

Und doch macht das Leitthema "Geschichtsbilder" des größten geisteswissenschaftlichen Kongresses in Konstanz deutlich, worum es im aktuellen Streit auch geht: Um historisch gewachsene Vorurteile und Stereotypen von Christen über Muslime und umgekehrt.

Eine Sektion befasst sich am Freitag mit dem "Bild des Moslems im westlichen und östlichen Europa in der Frühen Neuzeit". Nach Meinung von Historikern gibt es Parallelen zur Gegenwart.
Einseitigkeit wie in Frühen Neuzeit
"Seit fünf Jahren, also seit den Terroranschlägen vom 11. September, herrscht im Westen ein sehr einseitig negatives Bild vom Islam wie auch schon in der Frühen Neuzeit", sagt Gabriele Haug-Moritz (Graz).

Dabei hatte in der Epoche um 1500 bis 1700 das osmanische Reich in den besetzten eroberten Gebieten ein Mindestmaß an Toleranz gegenüber anderen Religionen geübt. "Mit Tributzahlungen kamen Christen oder Juden davon, es gab keinen extremen islamischen Missionseifer."

Das negative Bild der Muslime in den Augen der Christen fand seinen Ausdruck in Türkenliedern oder der gefürchteten "türkischen Kriegsführung", einer Chiffre für besonders brutale Gewalt. Im 18. Jahrhundert, als das osmanische Reich zurückgedrängt wurde, änderten sich die Stereotypen eher ins Exotische vom Kaffee trinkenden Muselmanen oder der orientalischen Mode.
Papst-Zitat: Alter "Kunstgriff"
Hochschuldozent Ludolf Pelizaeus (Mainz), Spiritus Rector der Sektion in Konstanz, findet in der Papstvorlesung eine schon in der Frühen Neuzeit übliche Methode wieder, einen anderen zu kritisieren: Den Kunstgriff, einen sehr alten Text zu zitieren, um die eigene Position zu untermauern und die Zuspitzung auf eine Person, in diesem Fall auf den Propheten Mohammed.

Papst Benedikt hatte den byzantinischen Kaiser Manuel II. in seinem Vortrag damit zu Wort kommen lassen, dass bei Mohammed nur Schlechtes und Inhumanes zu finden sei wie das gewaltsame Verbreiten des Glaubens.
"Nicht überwundener Kolonialismus"
Die Aufregungen um die Papst-Äußerungen in der islamischen Welt sieht er aber nicht als Rückfall in mittelalterliches Denken oder in die Frühe Neuzeit, sondern als Folge des bis heute nicht verwundenen Kolonialismus im 19. Jahrhundert in nordafrikanischen und anderen arabischen Ländern.

Und er nennt die ausgefallene Säkularisierung, wenn in einem kurzen Zeitraum von zehn oder 20 Jahren in der Türkei unter Atatürk oder in Ägypten unter Nasser versucht wurde, Staat und Religion zu trennen.

"Vor allem daraus folgt die scharfe Abkehr vom Westen", sagt Pelizaeus. Hinzu komme die hohe Arbeitslosigkeit und das Gefühl als Modernisierungsverlierer der Globalisierung dazustehen.
Kontinuitäten der Geschichte
Die Baseler Historikerin und Islamforscherin Almut Höfert, zuletzt in Kairo und jetzt am Wissenschaftskolleg Berlin tätig, sieht hinter der verhärteten Beziehung zwischen dem Westen und islamischer Welt strukturelle Kontinuitäten aus der Geschichte.

Die mittelalterliche christliche Heilslehre ging von vier Weltreichen aus: Babylon, Persien, Griechenland und Rom. Nach dem Fall der vier Weltreiche wurde das Jüngste Gericht erwartet.

Mit der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Türken habe man diese für Vorboten des Antichristen gehalten und entsprechend verteufelt. Gutenberg habe zum Beispiel nicht zuerst die Bibel gedruckt, sondern eine Schmähschrift gegen die Türken. Mit dem Buchdruck sei eine ganz neue Qualität der Propaganda möglich geworden.
Historischer Automatismus
Der Begriff Europa wurde laut Höfert erst, nachdem die Unitas Christiana auf den Kontinent zurückgeworfen war, politisch aufgeladen.

Und Papstreden gegen den Islam als gewalttätige Religion habe es schon im 15. Jahrhundert gegeben. "Wenn Benedikt XVI. den katholischen Glauben als gewaltfrei hervorheben will, muss er ihn abgrenzen - und da ist der Papst eben wieder auf den Islam gekommen."

Höfert sieht einen historischen Automatismus: Immer wenn Europa positiv genannt wird, dient der Islam als negative Abgrenzung: Demokratie versus Despotie, der westlichen Prüderie im 19. Jahrhundert stellte man Harems-Fantasien entgegen und dem wissenschaftlichen Fortschritt Rückständigkeit.
Religiöse Aufladung der Politik
Eine nicht ungefährliche religiöse Aufladung der Politik diagnostiziert Haug-Moritz. Als Beispiel nennt sie nicht nur den iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinejad, sondern auch den amerikanischen Präsidenten George W. Bush.

Notwendig sind nach Auffassung der Historikerin Differenzierungen im Islam-Bild des Westens. Höfert hofft auf Aufklärer auf beiden Seiten: im arabischen Bereich, aber auch hier im Westen.

Matthias Hoenig, dpa, 22.09.06
->   46. Deutscher Historikertag - Uni Konstanz
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01.01.2010