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3,3 Mio. Jahre altes Kinderskelett gefunden  
  Wissenschaftler haben in Äthiopien das 3,3 Millionen Jahre alte Skelett einer Dreijährigen gefunden. Das Kind gehörte jener Hominiden-Spezies an, deren vor 22 Jahren entdeckte Vertreterin als "Lucy" Ruhm erlangte. Das Skelett ist das älteste bekannte eines derart jungen Vorfahren des Menschen. Der Fund könnte die Debatte darüber neu anheizen, ob die aufrecht gehenden Affenmenschen auch auf Bäume kletterten.  
Ein Team um die Wissenschaftler Zeresenay Alemseged vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Fred Spoor vom University College in London präsentierte den Fund im Journal "Nature".

Der Fund ereignete sich im Jahr 2000 im Nordosten Äthiopiens. Seit fünf Jahren versucht das Team nun, das Skelett aus seinem Sandsteinbett freizulegen.
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Zum Skelettfund sind in der Fachzeitschrift "Nature" (Bd. 443, 21. September 2006) zwei Artikel erschienen: "A juvenile early hominin skeleton from Dikika, Ethiopia" (S. 296, doi: 10.1038/nature05047) und "Geological and palaeontological context of a Pliocene juvenile hominin at Dikika, Ethiopia" (S. 332, doi: 10.1038/nature05048).
->   Webfocus zum Thema bei Nature
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Vollständiges Kinderskelett
Bild: National Museum of Ethiopia, Addis Ababa
Schädel des Australopithecus afarensis-Kindes
Laut den Wissenschaftlern gehört das Kind der Hominiden-Spezies Australopithecus afarensis an und ist 3,3 Millionen Jahre alt - und damit 150.000 Jahre älter als "Lucy". Das Skelett stammt vermutlich von einem dreijährigen Mädchen und ist das bisher am besten erhaltene seiner Art.

Die Forscher haben einen Schädel sowie Teile des Oberkörpers und der Gliedmaßen gefunden. Außerdem ist auch noch das Zungenbein erhalten - es ist erst das zweite, das von einem menschlichen Vorfahren geborgen wurde.

Bisher wurden Skelette von Kindern nur von jüngeren Menschenarten, wie etwa von dem Neandertaler, ausgegraben.
Vom Sandstein konserviert
Der Grund dafür, warum ausgerechnet dieses Skelett so gut erhalten blieb, ist laut der Forscher, dass das Mädchen gleich nach seinem Tod durch eine Flut von Sedimenten verschüttet worden ist. Dies hätte die Knochen im Sandstein konserviert.

Die gut erhaltenen Knochen geben neue Aufschlüsse über die Anatomie und das Verhalten unserer Vorfahren.
Gehen wie ein Mensch, klettern wie ein Affe
Bild: National Museum of Ethiopia, Addis Ababa
Skelettteile unterhalb des Schädels
Die Wissenschaftler nehmen an, dass Australopithecus afarensis aufrecht und auf zwei Füßen ging. Ob er sich affenartig in Bäumen bewegte, ist hingegen umstritten.

Solche Fähigkeiten setzen anatomische Gegebenheiten wie lange Arme voraus. Australopithecus afarensis hatte Arme, die bis kurz über die Knie herabhingen. Offen ist, ob dies auf Kletterfähigkeiten hindeutet oder ob es sich lediglich um Überreste der Evolution handelt.

Alemseged und Spoor berichten, dass die Untersuchung des neuen Fossils diese Frage noch nicht klären konnte. Es gebe aber Hinweise, die auf eine Kletterfähigkeit hindeuteten.
Fußknochen soll Rätsel klären
Der Unterleib sei sehr menschenähnlich, während der Oberkörper dem von Affen gleiche: Das Schulterblatt ähnle dem eines Gorillas, und der Hals sei kurz und dick wie der eines großen Affen.

Auch das Gleichgewichtsorgan im Innenohr ähnle mehr dem eines Affen als dem eines Menschen. Ferner seien die Finger gebogen, was ebenfalls auf Kletterfähigkeiten hindeuten könne.

Mit Spannung werde daher die Freilegung der Fußknochen aus ihrem Sandsteinbett erwartet. Sollte ein großer Zeh zum Vorschein kommen, der von der Anlage dem Daumen einer menschlichen Hand gleiche, würde dies für Kletterfähigkeiten sprechen.
Menschenähnliches Gehirn
Neben dem Bewegungsapparat könnte auch der Schädel des Mädchens Rückschlüsse über die Evolution des Menschen zulassen.

So wird das Gehirnvolumen des drei Jahre alten Kindes auf 330 Kubikzentimeter geschätzt und unterscheidet sich damit nicht von einem gleichaltrigen Schimpansen.

Wenn man das Gehirn aber mit einem erwachsenen Vertreter des Australopithecus afarensis vergleicht, so kann festgestellt werden, dass es nur 63 bis 88 Prozent eines erwachsenen Gehirns erreicht. Ein dreijähriger Schimpanse verfügt jedoch bereits über 90 Prozent des Gehirnvolumens eines Erwachsenen seiner Art.

Aufgrund dieser Zahlen schließen die Forscher auf ein relativ langsames Gehirnwachstum bei unseren Vorfahren. Dies ist beim modernen Menschen sehr ähnlich und hat wahrscheinlich bei der Entwicklung höherer geistiger Fähigkeiten eine große Rolle gespielt.
Schimpansenähnliche "Sprache"
Zusätzlich zu Erkenntnissen über das Gehirn könnte das gefundene Zungenbein außerdem Aufschluss über die Sprachfähigkeit von Australopithecus afarensis geben. Den Wissenschaftlern zufolge ähnelt es dem eines Schimpansen.

Daraus könnten zwar nicht direkt Schlüsse über eine Sprachfähigkeit gezogen werden. Aber mit Tönen, die das Lebewesen von sich gab, "hätte eine Schimpansenmutter mehr anfangen können als eine menschliche Mutter", so Wissenschaftler Spoor

[science.ORF.at/APA/dpa/MPG, 21.9.06]
->   Zeresenay Alemseged, Max-Planck-Gesellschaft
->   Fred Spoor, University College London
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01.01.2010