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Autismus: Gestörte Synapsen als Ursache?  
  Auf der Suche nach dem Ursprung von Autismus: Hirnforscher haben die molekularen Details eines Gen-Defekts entschlüsselt, der die Signalübertragung im Gehirn stört und die Krankheit auslöst.  
Die Untersuchung der Wissenschaftler um Nils Brose vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin zeigt, dass die so genannten Neuroligine für eine funktionierende Signalübertragung zwischen Nervenzellen sorgen. Fehlten sie im Hirn genetisch veränderter Mäuse, dann war die Reifung der Kontaktstellen für die Kommunikation zwischen den Nervenzellen, der so genannten Synapsen, gestört.

Ähnliche Fehlfunktionen könnten auch bei autistischen Patienten vorliegen, so die Forscher in einer Aussendung.
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Der Artikel "Neuroligins determine synapse maturation and function" ist in der Fachzeitschrift "Neuron" erschienen (Bd. 51, S. 741-754, 21. September 2006).
->   Abstract
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Autismus: Weit verbreitete psychiatrische Erkrankung
Der Autismus gehört zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Etwa 0.5 Prozent aller Kleinkinder leiden an einem Krankheitsbild aus dem so genannten "autistischen Spektrum", schreiben die Wissenschaftler in einer Aussendung.

Hauptsymptome dieser Entwicklungsstörung sind eine verzögerte oder völlig ausbleibende Sprachentwicklung, ein gestörtes Sozialverhalten und sich wiederholende Verhaltensmuster.

Bei vielen Patienten ist die Krankheit zusätzlich von einer geistigen Behinderung begleitet.
->   Autismus - Wikipedia
Verworfen: Theorie der "Kühlschrank-Mutter" & Co.
Noch bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts wurde eine besondere emotionale Kälte der Mutter als Ursache für Autismus angegeben. Inzwischen ist diese Theorie der "Kühlschrank-Mutter" jedoch widerlegt.

Auch die in den 1990er Jahren weit verbreitete Annahme, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung bei Kleinkindern Autismus hervorrufen könnte, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Vielmehr ist heute klar: vor allem genetische Faktoren führen zum Ausbruch der Krankheit. Besonders überzeugend wurde das in Studien an eineiigen Zwillingen nachgewiesen - die Wahrscheinlichkeit, dass der eineiige Zwilling eines Autisten ebenfalls an Autismus erkrankt, liegt bei etwa 80 bis 95 Prozent.
Nachgewiesen: Genetischer Ursprung
 
Bild: T. Dresbach, Univ. Heidelberg/N. Brose, MPI für Experimentelle Medizin

Neuroligin-Nervenzellen in Kultur (rot angefärbt). Eine der Nervenzellen wurde genetisch so manipuliert, dass sie eine grün fluoreszierende Variante bildete.

Im Jahr 2003 konnte der französische Genetiker Thomas Bourgeron bei einer Untersuchung von Familien mit jeweils mehreren autistischen Kindern zeigen, dass Mutationen in den zwei Genen NLGN3 und NLGN4X zu einem kompletten Funktionsverlust der Gene führen und bei den betroffenen Patienten Autismus auslösen.

Die NLGN-Gene waren bereits damals keine Unbekannten: Sie sind für die Erzeugung zweier Proteine verantwortlich, die Neuroligin-3 und Neuroligin-4 heißen und denen eine wichtige Rolle beim Aufbau von Nervenzellkontakten zugeschrieben wird.
Zusammenhang mit Neuroligine
Nervenzellen kommunizieren miteinander an spezialisierten Kontaktstellen, den Synapsen, über die Ausschüttung von Botenstoffen, den Neurotransmittern.

Diese Signalmoleküle gelangen zur jeweiligen Empfängerzelle und beeinflussen deren Aktivitätszustand - vorausgesetzt die Empfängerzelle besitzt "Empfangsantennen" an ihren Synapsen, so genannte Rezeptoren, die die chemischen Signalstoffe binden.

Dieser Prozess könnte - so die Spekulation der Wissenschaftler - gestört sein, wenn Nervenzellen keine Neuroligine besitzen.
Mäuse-Mutanten als Modell
Hirnforscher Brose und seine Kollegen arbeiten bereits seit einem Jahrzehnt an Neuroliginen - allerdings nicht bei Menschen, sondern bei Mäusen.

"Wir hatten sogar schon Mausmutanten hergestellt, die funktionell betrachtet dieselben Mutationen tragen, die bei den autistischen Patienten auftreten. Auch unseren Mäusen fehlte entweder Neuroligin-3 oder Neuroligin-4", sagt Brose.
Gestörte Signalübertragung nachgewiesen
Damit hielten die Forscher das erste genetische Tiermodell für Autismus in Händen. Und dieses zeigte tatsächlich eine gestörte Signalübertragung zwischen den Nervenzellen, wie Brose und sein Team nun zeigen konnten.

"Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Neuroligine die Reifung der Synapsen regulieren. Sie sorgen dafür, dass genügend Rezeptorproteine an die synaptische Membran der Empfängerzelle gelangen", so Brose in einer Aussendung. "Was wir in unseren Neuroligin-Mutanten sehen, ist eine potenzierte Form der Fehlfunktion, die im Gehirn von Autisten auftritt."

Brose: "Ich glaube, dass es sich beim Autismus um eine Erkrankung der Synapsen handelt, um eine Synaptopathie."

[science.ORF.at/MPG, 22.9.06]
->   Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin
->   Zentrum für Autismus und spezielle Entwicklungsstörungen in Wien
->   Alle Beiträge zum Stichwort Autismus im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010