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Wenn Grillen schweigen  
  Männliche Grillen zirpen, um Partnerinnen für die Fortpflanzung zu finden. Manchmal locken sie damit auch tödliche Parasiten an: Auf Hawaii führte das dazu, dass die Grillen innerhalb weniger Jahre weitgehend verstummt sind, wie nun US-Forscher herausgefunden haben.  
Durch einen Verhaltenstrick können sich die schweigenden Insekten dennoch fortpflanzen: Sie halten sich einfach in der Nähe zirpender Artgenossen auf - und schnappen ihnen die Partnerinnen weg. Das berichtet ein Team um Marlene Zuk von der University of California in Riverside.
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Die Studie "Silent night: adaptive disappearance of a sexual signal in a parasitized population of field crickets" von Marlene Zuk et al. erschien in den "Biology Letters" (DOI: 10.1098/rsbl.2006.0539).
->   Abstract
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Musizieren für die Fortpflanzung
Männliche Grillen sind gewissermaßen die Paganinis unter den Insekten. Violine und Geigenbogen tragen sie allerdings am Körper - in Form feiner Rillen und Chitinborsten an den Flügeln, die man auch Schrillleiste und -kante nennt. Reibt das Tier diese Strukturen aneinander, entstehen die typischen Zirplaute, die wir von lauen Sommerabenden in südlichen Gefilden kennen.

So stimmungsvoll das Ergebnis mitunter auch ist, die Grillenmännchen verfolgen damit einen relativ profanen Zweck. Sie locken damit Weibchen an, das abendliche Musizieren dient, man vermutet es schon, nur einem: der Anbahnung von Sex.
Parasiten töten Grillen
 
Bild: J. Rotenberry, UCR

Allerdings birgt diese Strategie auch eine gewisse Gefahr. Denn durch die auffälligen Signale können nicht nur potenzielle Geschlechtspartner, sondern auch Fressfeinde und Parasiten angelockt werden. So geschehen etwa auf der Hawaii-Insel Kauai, wo Feldgrillen der Art Teleogryllus oceanicus seit einigen Jahren von einer parasitischen Fliege heimgesucht werden.

Die Fliege (Ormia ochracea) findet ihre Opfer aufgrund der Paarungsrufe und legt ihre Larven auf dem betreffenden Tier ab. Diese graben sich dann in den Körper der Insekten, wachsen heran - und töten auf diese Weise ihren Wirt.

Bild oben: (Tote) Feldgrille und ihre Parasiten.
Reaktion: Tiere verstummen
"Bei jedem Besuch, den wir seit dem Jahr 1991 auf Kauai machten, fanden wir weniger Grillen", berichtet Marlene Zuk, die sich schon seit längerem für das Verhalten der musikalischen Insekten interessiert.

"Im Jahr 2001 fanden wir nur mehr ein zirpendes Männchen, 2003 entdeckten wir wieder eine große Zahl männlicher Grillen, obwohl keines der Tiere mehr Paarungsrufe produzierte."
Mutation schützt
 
Bild: M. Zuk et al., Biology Letters

Was war passiert? Verstummten die Tiere, um sich vor den tödlichen Parasiten zu schützen? Und wenn ja: Wie fanden sie dann ihre Partnerinnen?

Zuk und ihre Mitarbeiter fanden zunächst heraus, dass mehr als 90 Prozent der männlichen Feldgrillen eine Mutation in ihrem Erbgut trugen, die sie ihrer musikalischen Begabung beraubte. Ihre Flügel sahen aus wie jene der Weibchen - ohne Schrillleiste und -kante. Die betroffenen Männchen waren daher notgedrungen stumm.

Das war einerseits ein Vorteil, da sie damit die Gefahr bannten, von Parasiten heimgesucht zu werden. Andererseits hatte die Mutation auch einen klaren Nachteil: Sie wurden damit für ihre Geschlechtspartnerinnen förmlich unsichtbar.

Bild oben: Normale Flügel männlicher Grillen (links) und jene der stummen Mutanten (rechts).
Schwerwiegender Verlust ...
"Der Verlust der Partnerrufe scheint die männlichen Grillen tatsächlich vor der tödlichen Fliege zu schützen", folgert Zuk. "Aber dieser Schutz hat einen hohen Preis: den Verlust des sexuellen Signals. Das ist für eine Grille offensichtlich ein großer Verlust - so ähnlich, als wenn etwa alle Pfauen eines Waldes plötzlich ihre Schwanzfedern verlieren würden. Man darf daher fragen: Wie fanden die Weibchen ihre stummen Artgenossen?"
...durch Verhaltenstrick ausgeglichen
Die Forscher um Zuk vermuteten, dass sich die mutierten Männchen einfach den verbleibenden zehn Prozent musikalischer Grillen als Satelliten anschlossen. Auf diese Weise könnten sie in die Nähe von Weibchen gelangt sein, ohne sich selbst größerer Gefahr auszusetzen.

Feldversuche mit Grillen zeigten, dass die mutierten Männchen tatsächlich auf Paarungsrufe reagieren und sich förmlich im Laufschritt auf ihre zirpenden Artgenossen zubewegen.

"Wir waren sehr überrascht, dass sich die Mutation so schnell ausbreitete", sagt Marlene Zuk. "Noch wichtiger ist aber folgender Punkt: An sich würde man erwarten, dass die veränderte Form der Flügel schnell wieder verschwindet, weil die betroffenen Männchen ja keine Geschlechtspartner finden können. Stattdessen hat sich aber das Verhalten der Mutanten geändert. So konnten sie die Existenz der verbleibenden Rufer nutzen, den Fliegen entkommen und sich fortpflanzen. Damit konnten wir der Evolution förmlich bei der Arbeit zuschauen."

[science.ORF.at, 26.9.06]
->   Website von Marlene Zuk
 
 
 
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01.01.2010