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Das Web: Zukünftiger Ausflugsort der Museumsbesucher?  
  Das Museum als Ort der stillen Betrachtung von Kunst rückt zunehmend in den Hintergrund. Kuratoren und Museumspädagogen stellen sich immer öfter die Frage, wie Museumsbesucher stärker in Ausstellungen einbezogen werden können. Schlagwörter wie gesteigerte Partizipation und Interaktivität machen die Runde. Was im digitalen Zeitalter das Internet dazu beitragen kann, zeigt das "Online-Museum" des Victoria & Albert Museum (V&A) in London, das weltweit größte Museum für Design und Kunst.  
Für Gail Durbin, stellvertretende Direktorin der Abteilung Learning and Interpretation und Leiterin des V&A Online Museum, bietet das Internet bedeutende Möglichkeiten, neue Zugänge zu den Kunstobjekten zu schaffen: eine stärkere Einbeziehung von Besuchern in laufende Ausstellungen, die Emotionalisierung von kulturellen Objekten und die Gewinnung zusätzlicher Ideen und Expertise für die Aussteller.

Was das Online-Museum unter museumspädagogischen Gesichtspunkten bietet, erläutert Durbin gegenüber science.ORF.at anlässlich einer Konferenz in Wien.
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SCOPE II: "Sites & Subjects - Narrating Heritage"
Derzeit diskutieren in Wien internationale Experten Strategien und Szenarien, die neue Maßstäbe und neue Möglichkeiten zum Thema "Kulturelles Erbe" eröffnen. "SCOPE" umfasst eine Reihe von Konferenzen, die in regelmäßigen Abständen von der uma information technology GmbH in Wien veranstaltet werden.
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"Nachdenken, wie verschiedene Menschen lernen"
Seit den 1970er Jahren wird zunehmend über das Wahrnehmungspotential von Museumsbesuchern reflektiert. Dem deutschen Psychologen Uwe Christoph Dech zufolge ist ein Umdenken in der Museumspädagogik seit einigen Jahren erkennbar: weg von den "konservatorischen Stätten der Bildung" und hin zu einer gesteigerten Wahrnehmung veränderter Rezeptionsmöglichkeiten der Besucher: "Dringlicher als früher stellt sich die Frage: 'Wie können Besucher in das Museumsleben einbezogen werden?'" ("Sehen lernen im Museum", transcript Verlag 2003)

Partizipative Konzepte werden für Museen immer wichtiger. "Der Grund dafür ist, das wir mehr darüber nachdenken müssen, wie verschiedene Menschen lernen", erläutert Gail Durbin: "Die traditionellen Museen sprechen sehr gut analytische Personen an, die sehr zufrieden sind, Dinge in neuem Licht zu betrachten und zu absorbieren."

Allerdings würden dabei die Menschen auf der Strecke bleiben, die durch die Vorstellung und durch das Angreifen von Dingen lernen. "Wir müssen Personen ermutigen, in der ein oder anderen Form mitzumachen."
"Macht" an den Besucher abgeben
Was für die Leiterin des V&A Online Museum von zentraler Bedeutung ist: das Eingehen und die Berücksichtigung unterschiedlicher Notwendigkeiten der individuellen Besucher. Wenn Museen die Herausforderung annehmen, auf die Fülle von Notwendigkeiten unterschiedlicher Personengruppen - Kindern, Studenten, Familien, Sammlern und auch Minderheiten - einzugehen, so könne die Erfahrungen für den einzelnen Besucher auch verbessert werden.

"Den Museen steht im 21. Jahrhundert ein Mittel zur Verfügung, das sie zuvor nicht hatten: das Internet", so Durbin. Die in großen Datenbanken gipfelnde Digitalisierung von Exponaten sei zwar zunehmend üblich, doch die meisten Museen würden nach wie vor das Internet nur dazu nutzen, Informationen zu verbreiten - ein Modell einseitiger Kommunikation.

Zusätzlicher Nutzen liege vermutlich eher im Hinzufügen von kontextuellen Informationen durch den Besucher, in der Herstellung von persönlichen Beziehungen und dem Austausch - auch in einer Übergabe eines Teils der "Macht" an den Besucher.
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Das Victoria & Albert Museum - Online
Seit 1995 besitzt das im Jahr 1851 gegründete Victoria & Albert Museum eine Website, die Bezeichnung Online-Museum wurde im Jahr 2000 eingeführt. Neben der Information über Ausstellungen wird verstärkt auf Beiträge durch die Online-Besucher gesetzt: u.a. erfolgen Einladungen, eigene Gegenstände aus dem Alltag in Bild und Text zu präsentieren, eigene Geschichten zu ausgestellten Kunstobjekten zu schreiben, eigene Werke der Kunst oder Mode zu gestalten. Zwei Millionen Besuchern der V&A Ausstellungen im Museum in einem Jahr stehen mitterweile 11,5 Millionen Online-Besuche ("user sessions") gegenüber - Tendenz weiter steigend. Die Website umfasst 90.000 dynamische Sites, 24.000 Objekte (von rund drei Millionen) sind bereits online ausgestellt.
->   V&A Online Museum
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Zusätzliche Informationsquelle für den Aussteller
Ein Beispiel: Anlässlich einer Ausstellung über den britischen Modedesigner Ossie Clark aus den 1960ern bis -70ern Jahren erteilte das Museum im Jahr 2004 den Aufruf, eigene Erinnerungen über den Kauf oder das Tragen der Kleidung aufzuschreiben.

"Das brachte eine neue Ebene des emotionalen Zugangs und der Motivation hinein, die die Darstellung durch den Kurator, eine oft eher 'trockene', ergänzte - und so das Museum und das Verständnis für Objekte in dem Museum unterstützte", sagt Durbin.
Offeneres Kulturverständnis
Das V&A ist derzeit eines von wenigen Museen, das von Online-Besuchern produzierte Inhalte systematisch publiziert. Noch stehe Durbin zufolge bei den Ausstellern zu sehr die Angst im Vordergrund, nicht qualitätsvolle oder gar falsche Dinge zu publizieren.

Doch Erinnerungen seien im Allgemeinen "unkäuflich und nicht diskutierbar". Es ginge um die Gewinnung von ergänzenden emotionalen Sichtweisen - eine Art der Vermittlung von immateriellen Werten, die im Übrigen seit April 2006 im Rahmen eines UNESCO-Beschlusses ebenso wie materielle Werte geschützt werden.

Die Gefahr eines Informationsüberflusses sieht die Leiterin des Online-Museums nicht - im Gegenteil: "Falls es eine Grenze gibt, so sind wir noch lange nicht dort angelangt." Voraussetzung sei allerdings, eine Vielfalt an Informationen zu gewinnen.
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Besucher des V&A Online Museum
Das Alter der Online-Besucher liegt im Allgemeinen zwischen 20 und 40 Jahren. Rund 40 Prozent der Besucher sind keine Briten, wobei ein großer Teil davon aus Nordamerika virtuell anreist. Immerhin 60 Prozent der Online-Besucher haben laut Erhebungen des V&A Museum noch nie das Museum in London besucht. In Großbritannien fließen dabei auch verstärkt staatliche Mittel für Vermittlungsprogramme, die sich gezielt an Minderheiten richten.
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Förderung durch den Staat
Museen sehen sich selbst nach wie vor oft als autoritäre Quelle der Informationen. Häufig liegt es sicherlich auch an mangelnden Möglichkeiten der Finanzierung, neue Vermittlungswege auszuloten und zu nutzen.

Die Aufmerksamkeit für neue Technologien ist in Großbritannien aber von der Seite des Staates vorhanden: "Im Moment stehen uns und neun anderen nationalen Museen 1,7 Millionen britische Pfund (2,5 Mio. Euro) im Rahmen eines Projektes zur Verfügung, die Websiten der Museen zu verbessern", so Durbin.

In Zukunft will Durbin "Blogs" vermehrt nutzen, um kreative Prozesse im Rahmen von bestimmten Kunsthandwerken zu verdeutlichen - sowie eine Art "Wiki"-Projekt über Künstler und Designer in den Familien von Personen initiieren.

"Ich glaube, man muss sich nur auf einige der neuen Technologien einlassen - herausfinden, wie die Menschen darauf reagieren, und dann daraus lernen, wie man sie adaptieren kann, um mehr Personen mit hinein zu ziehen", ist ihr sehr einfacher Ansatz.
"Einfach ausprobieren"
In Großbritannien gehört das V&A neben der Tate Gallery zu einigen wenigen, die den Online-Besucher über eigene Beiträge einbeziehen - in den USA ist das Konzept bereits breiter angenommen worden, so die Leiterin von V&A Online.

Durbins Rat für "Nachzügler": Natürlich steht nach wie vor die eigene Ausstellung im Mittelpunkt. Es gehe darum, ihre Stärke zu erkennen - und dann neue Technologien auszuprobieren: "Die Nase zuhalten und springen" - immer vorausgesetzt, die (finanziellen) Mittel stehen zur Verfügung.

Lena Yadlapalli, science.ORF.at, 29.9.06
->   V&A - Every object tells a story
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->   Gail Durbin bei SCOPE II
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01.01.2010