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ITER soll das Sternenfeuer auf der Erde entfachen  
  Im südfranzösischen Forschungszentrum Cadarache entsteht mit dem Kernfusionsreaktor ITER das weltgrößte Forschungsprojekt. Es ist geplant, dass der Forschungs-Reaktor 2015-16 in Betrieb geht.  
Dort, wo in rund einem Jahrzehnt mit dem geplanten Fusions-Reaktor ITER die Energie der Sterne auf die Erde geholt werden soll, brütet derzeit noch die Hitze des Spätsommers über einem mediterranen Wald. Nur wenig deutet auf dem Gelände in unmittelbarer Nachbarschaft zum französischen Kernforschungszentrum Cadarache, 40 Kilometer nordöstlich von Aix-en-Provence, darauf hin, dass hier eines der weltgrößten Forschungsexperimente entstehen soll.

Nur für den Besuch hochrangiger Gäste, wie vor kurzem der französische Premierminister Dominique de Villepin, führt ein Feldweg zu einer kleinen gerodeten Lichtung mit Fahnenmast auf dem künftigen Bauplatz.
Internationales Vorhaben: Ratifizierung noch 2006?
ITER wird bewusst außerhalb des schwer gesicherten französischen Forschungszentrums Cadarache gebaut, handelt es sich doch um ein internationales Vorhaben. Nur für die ersten Büros wurde ein Containergebäude am Gelände des Forschungszentrums hochgezogen.

Bevor der erste Spatenstich am eigentlichen Bauplatz erfolgen kann, müssen die sieben Partner - EU, USA, Russland, Japan, China, Indien und Südkorea - den Vertrag für das Projekt ratifizieren, was noch in diesem Jahr erwartet wird.
Zehn-Milliarden-Euro-Projekt
 
Bild: APA/CEA AIF

Ein Modell des geplanten Kernfusionsreaktors ITER im südfranzösischen Cadarache, wo ab dem Jahr 2015 die Energiegewinnung aus der Kernfusion erforscht werden soll.

Im Mai hatten die Partner in Brüssel ein Grundsatzabkommen über die Finanzierung des Zehn-Milliarden-Euro-Projekts (fünf Mrd. Euro für den Bau, fünf Mrd. für den Betrieb) unterzeichnet, im vergangenen Jahr hatte man sich nach jahrelangen Diskussionen auf den Standort Cadarache geeinigt.

Sobald der Vertrag ratifiziert ist, kann der Rechtsträger für ITER gegründet, der Bau ausgeschrieben sowie Personal eingestellt werden, erklärte ITER-Generaldirektor Kaname Ikeda bei einem Lokalaugenschein der APA in Cadarache.
Energieerzeugung aus Kernfusion
 
Bild: APA/CEA AIF

Bild aus dem Inneren eines Kernfusionsreaktors, wo in einer Vakuum-Kammer Wasserstoff-Atome bei rund 100 Mio. Grad Celsius zu Helium verschmelzen.

ITER soll die wissenschaftliche und technologische Machbarkeit der Energieerzeugung aus Kernfusion beweisen - nach ITER und einem voraussichtlich anschließenden Demonstrations-Kraftwerk (DEMO) soll klar sein, wie man effektiv, zuverlässig und sicher kommerziell Kernfusionsenergie produzieren kann.

Ziel ist, die in allen Sternen, so auch in unserer Sonne, ständig laufenden Fusions-Prozesse unter kontrollierten Bedingungen ablaufen zu lassen. Dabei werden in einer Vakuumkammer in Form eines Torus, ähnlich einem überdimensionierten Schwimmreifen, leichte Atomkerne (bei ITER die beiden Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium) auf rund 100 Mio. Grad Celsius erhitzt, fast zehn Mal so heiß wie im Inneren der Sonne.

In diesem Plasma (ein ionisierter Materiezustand wie er etwa auch in Blitzen erzeugt wird) verschmelzen (fusionieren) sie zu Helium. Die dabei freiwerdende Energie soll für die Erzeugung von Strom genutzt werden.
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Die vier großen Herausforderungen
Vier große technologische Herausforderungen bestehen nach Meinung von Manfred Lipa vom französischen Atomforschungszentrum Cadarache für eine kommerzielle Nutzung der Kernfusion. Im Gespräch mit der APA nennt der Wissenschaftler, der den dortigen Fusionsreaktor "Tore Supra" mitaufgebaut hat: das magnetische System, mit dem das 100 Mio. Grad Celsius heiße Plasma eingeschlossen wird, die Komponenten für die "Erste Wand", die dem Plasma zugewandt ist, das Equipment zum Erbrüten des Fusionsbrennstoffs Tritium sowie die Strukturmaterialien und schließlich die für Wartungsarbeiten notwendige Robotik im Inneren des verstrahlten Reaktors. Der in Cadarache geplante Kernfusions-Reaktor ITER soll helfen, diese Herausforderungen zu lösen.
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Verspäteter Start wahrscheinlich
Der Forschungs-Reaktor soll 2015-16 in Betrieb gehen, so zumindest die offizielle Version. Hinter vorgehaltener Hand rechnen viele Experten allerdings damit, dass das erste Plasma eher später zünden wird.

Es gibt zwar schon weltweit Erfahrungen und Erfolge mit Fusions-Experimenten, etwa dem 1983 gestarteten europäischen Kernfusionsprojekt JET (Joint European Torus) in Großbritannien, dem deutschen ASCEX-U Tokamak in Garching bei München oder dem französischen "Tore Supra" in Cadarache, doch die technologischen Herausforderungen für den deutlich größeren ITER sind enorm.
Fusionsleistung von 500 Megawatt angestrebt
Bei JET (mit 80 Kubikmeter Volumen gegenüber 800 Kubikmeter bei ITER) wurden 1991 mit Tritium und Deuterium die damalige Rekordfusionsleistung von 1,7 Megawatt (MW) erzeugt. Den derzeitigen Weltrekord hält seit 1997 wieder JET, mit 16 MW für kurzfristige Spitzenleistung und vier MW für so genannte Dauerstrichleistung (fünf Sekunden). Damit wurden für kurze Zeit bis zu 65 Prozent der hineingesteckten Energie zurückgewonnen.

Bei "Tore Supra" (der allerdings nur mit Deuterium und ohne Tritium gefahren wird) gelang es 2003 mit supraleitenden Magnetspulen ein Plasma während mehr als sechs Minuten aufrecht zu erhalten, damals Weltrekord an beherrschter Energie.

ITER soll dagegen während seiner gesamten Betriebszeit etwa 30.000 Mal für jeweils acht Minuten eine Fusionsleistung von 500 Megawatt erzielen und damit zehn Mal mehr Energie produzieren als zur Plasmaheizung notwendig ist.
Neuer Rekord zu erwarten
"Mit der Rekordfusionsleistung von JET könnte man ein Jahr lang jeden Tag eine Tasse Kaffee warm bekommen, mit dem Rekord von 'Tore Supra' vielleicht einen Fingerhut voll Wasser. ITER dagegen könnte mit jedem gelungenen Experiment schon eine kleinere Stadt mit 10.000 Einwohnern ein Jahr lang mit heißem Kaffeewasser versorgen", so der Physiker Roger Reichle, bei "Tore Supra" für Diagnostik zuständig.

Christian Müller, APA, 29.09.06
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01.01.2010