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Wirtschaftsnobelpreis unter Beschuss  
  Bekanntlich ist der Wirtschaftsnobelpreis gar kein echter Nobelpreis. Die Debatte über seinen Status ging auch 2006 weiter - wobei neuerdings auch die Kompetenz mancher Laureaten bezweifelt wird.  
"Kein Nobelpreis"
Wer glaubt, dass die Stockholmer Wissenschaftsakademie heuer wie jedes Jahr den Wirtschafts-Nobelpreis verlieh, irrt sich auch nach Auffassung der Verantwortlichen gewaltig.

Keinesfalls handle es sich um einen Nobelpreis, erklärt Michael Sohlmann, Chef der schwedischen Nobelstiftung, sondern um den "Wirtschaftswissenschaftlichen Preis der schwedischen Reichsbank zum Gedenken an Alfred Nobel". So die offizielle Bezeichnung mit der Kurzformel "Wirtschaftspreis", aber eben nicht Wirtschafts-Nobelpreis.
"Debatte ist tot" - oder doch nicht?
"Die Debatte um diesen Preis ist doch seit langem tot", meint Sohlmann andererseits als loyaler Verwalter des allseits ungeliebten "Kukuckseis" unter den ansonsten angesehensten Preisen der Welt.

"Eine absurde Behauptung. Die Kritik an der wissenschaftlichen Grundlage und sehr zweifelhaften Vergaben lebt wie eh und je", widerspricht der Wirtschafts-Statistiker Peter Jagers, selbst Nobel-Juror in der Wissenschaftsakademie.
Wirtschaftspreis mit "rechter Schlagseite"
Während die anderen fünf Nobelpreise nach dem Testament des Erfinders Alfred Nobel (1833-1896) seit 1901 vergeben werden, hat Schwedens Reichsbank 1968 den Wirtschaftspreis zusätzlich gestiftet.

Seitdem hagelt regelmäßig Kritik auf die Vergabe nieder: Von bisher 57 durchweg männlichen Preisträgern kamen 43 aus den USA und waren in der großen Mehrzahl wirtschaftspolitisch betont konservativ orientiert.

Milton Friedman, theoretischer Vordenker für die Ära von US-Präsident Ronald Reagan und der britischen Premierministerin Margret Thatcher, wurde mit seinem höchst umstrittenen Preis 1976 zur Symbolfigur für diese "rechte Schlagseite" des Wirtschaftspreises.
Komitee nun bunter besetzt
Kritiker von innen wie Jagers und der schwedische Nationalökonom und linke Ex-Parlamentsabgeordnete Johan Lönnroth gestehen zu, dass sich in den vergangenen Jahren auch durch eine politisch wesentlich gemischtere Zusammensetzung im Nobelkomitee einiges geändert hat.

"Da geht das Pendel halt ein bisschen mit den generellen Trends in verschiedene Richtungen", meint Lönnroth. So könnten auch einmal eher "links" orientierte Ökonomen wie 1998 der Inder Amartya Sen ausgezeichnet werden.
Laureaten fachlich nicht überzeugend?
Zusammen mit Jagers und anderen moniert er aber weiter eine höchst zweifelhafte wissenschaftliche Glaubwürdigkeit bei etlichen Preisträgern.

Wenn wie 2004 der Norweger Finn Kydland und sein US-Kollege Edward Prescott aus "längst bekannten mathematischen und statistischen Modellen gewaltige, weit reichende wirtschaftspolitische Konsequenzen ziehen, muss man doch seine Zweifel haben", meint Jagers.

Lönnroth moniert die "immer sehr bombastischen Preisbegründungen zu Theorien, deren Richtigkeit niemals bewiesen worden ist, anders als in der Chemie oder Physik". Und beide zusammen sehen dadurch die "Glaubwürdigkeit der anderen Nobelpreise gemindert".
Vergabedatum geändert
Auch wenn Sohlmann dies ausdrücklich abstreitet, ist die Nobelstiftung den Kritikern nach einhelliger Meinung erheblich entgegengekommen. So wird der Wirtschaftspreis seit zwei Jahren nicht mehr in derselben Woche wie die Preise für Medizin, Physik und Chemie vergeben. Die Wissenschaftsakademie verbreiterte ihre Statuten diskret so, dass auch Sozialwissenschaftler belohnt werden können.
Initiative für Umwelt- und Musik-Nobelpreis
Vor allem aber hat der schlechte Ruf des Wirtschaftspreises wohl höchst wirkungsvoll dafür gesorgt, dass es in absehbarer Zeit keine zusätzlichen Nobelpreise mehr geben wird. "Für uns ist jetzt nur das Testament von Alfred Nobel maßgeblich", sagt Sohlmann.

Ohne die massive Kritik am "Wirtschaftswissenschaftlichen Preis der schwedischen Reichsbank zum Gedenken an Alfred Nobel" würde Schwedens König Carl XVI. Gustaf vielleicht jedes Jahr am 10. Dezember doch auch einen Umwelt- und einen Musik-Nobelpreis überreichen. Entsprechende Initiativen hat die Stiftung abgewiesen.

Thomas Borchert, dpa, 9.10.06
->   Nobelpreis für Ökonomie - Wikipedia
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->   Ökonomie-Nobelpreis 2006 geht an US-Forscher Phelps
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01.01.2010