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"Ambivalente Wahrnehmung der Genomforschung"  
  "Genomics for Health" lautet der Titel einer Konferenz in Wien, bei der ab 15. Oktober die neuesten Ergebnisse aus Krebsforschung und Systembiologie präsentiert werden. Dieses Mal bleiben Mediziner und Biologen allerdings nicht unter sich: Bei der Konferenz diskutieren auch Experten aus den Bereichen Ethik, Recht und Industrie über die Folgen, die die Genomik für die Gesellschaft bringt. Laut Ulrike Felt, Sozialwissenschaftlerin und eine der Organisatorinnen der Veranstaltung, ist die Reaktion der Öffentlichkeit gegenüber dem Thema ambivalent. Hoffnungen und Ängste liegen dabei nebeneinander, meint sie im science.ORF.at-Interview.  
science.ORF.at: Welche Ziele verfolgt die Konferenz?

Ulrike Felt
Felt: Die Konferenz soll zwei Ziele erreichen: Einerseits wollen wir einen Blick auf ausgewählte Bereiche der Genomforschung werfen, insbesondere Systembiologie und Krebsforschung. Auf der anderen Seite sollen aber auch gesellschaftliche Auswirkungen dieser Forschung diskutiert werden.

Wissenschaftliches Wissen hat ja immer Auswirkungen darauf, wie eine Gesellschaft funktioniert, wie Menschen sich selbst verstehen, und was wir als ein Problem sehen und welche Lösungen es dafür gibt. Ein Beispiel dafür ist die Frage: Was bedeutet es gesund oder krank zu sein? Hier haben sich die Definitionen in den vergangenen Jahrzehnten doch deutlich verschoben.
Wie wird Genomik in der Öffentlichkeit wahrgenommen - was sind die häufigsten Vorurteile?

Ich denke mir, dass die Genetik/Genomik sehr stark mit direktem technischen Eingreifen in das Leben verbunden wird. Demgegenüber existiert nicht so etwas wie Ablehnung, sondern eher so etwas wie Ambivalenz.

Auf der einen Seite erhofft man sich natürlich gerade von der medizinischen Forschung neue Diagnoseverfahren und auch neue Heilmöglichkeiten, auf der anderen Seite existiert Sorge, dass durch dieses Wissen Menschen ausgegrenzt werden können, Leben als nicht mehr lebenswert definiert werden kann; dass die Bedeutung von dem, was normal ist, neu definiert wird.

Und ich glaube, in dieser Ambivalenz steckt der Teufel, dass man sich einerseits viel davon (vielleicht manchmal zu viel) verspricht und anderseits genau diese unglaublichen Möglichkeiten mit Sorge gesehen werden.
Welche Ängste stecken hinter dieser Ambivalenz?

Es ist interessant, wenn man sich populäre Filme und Bücher ansieht, dann erkennt man, wie stark die Fantasien sind über das was passieren kann, wenn man Grenzen überschreitet. Solche Geschichten, haben wie alle Mythen einen wahren Kern, ein Stück einer berechtigten Angst, nämlich die Angst, dass durch dieses neue Wissen immer tiefer in bestehende Sicherheiten und Ordnungen eingegriffen wird.

Es wird vieles in Frage gestellt. Ein Beispiel dafür ist die Medikalisierung: Dabei werden etwa Übergewicht, das früher viel unspezifischer und allgemeiner beschrieben wurde, zu einem von der Medizin definierten, krankhaften Zustand gemacht. Aber: Ab wann ist Übergewicht eine Krankheit und wo geht es vielmehr um Abweichungen vom gängigen Schönheitsideal?

Krankheiten werden schnell einmal als "Volksseuche" - Epidemie - bezeichnet. Aber wer legt das fest und was hat das für Implikationen? Was bedeutet das für Versicherungen und wie muss man sich verhalten um akzeptiert zu werden?
Wie könnte man diese Ambivalenz auflösen?

Ich glaube nicht, dass wir sie auflösen sollten, sondern dass wir eigentlich erst durch die Auseinandersetzung mit ihr so etwas wie gesellschaftlichen Fortschritt erreichen können. Mir scheint es sehr wichtig, dass wissenschaftliche Fortschritte, die gemacht werden, hinterfragt werden, dass wir uns immer wieder diesen Fragen stellen.

Dadurch bleiben wir offen für die Problematik, die neue Forschungsergebnisse immer auch mit sich bringen. Ambivalenz bedeutet ja nicht Ablehnung gegenüber Wissenschaft, sondern bedeutet ein Abwägen und ein bewusstes Entscheiden - das sollte ja an sich kein Problem für Wissenschaft darstellen.
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Details zur Veranstaltung
Der Kongress "Genomics for Health" wird vom Bildungsministerium im Rahmen des Österreichischen Genomforschungsprogramms GEN-AU veranstaltet.
Zeit: 15. bis 18. Oktober 2006
Ort: Hotel Intercontinental in Wien
->   Konferenz-Website
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Forscher im "Elfenbeinturm" ist immer noch ein häufig erwähntes Klischee - wie können Wissenschaftler und - innen dazu beitragen, ihre Erkenntnisse in die Gesellschaft zu bringen?

Wer möchte, dass die Gesellschaft wissenschaftliche Entwicklungen mitträgt, muss seine Erkenntnisse verständlich kommunizieren. Das ist aber durchaus keine Garantie für ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit an wissenschaftlicher Forschung. Wir wissen aus sehr vielen Untersuchungen, dass ein Mehr an Kommunikation nicht unbedingt ein Mehr an Unterstützung bedeutet.

Trotzdem glaube, ich dass es sehr wichtig ist, dass sich Wissenschaftlerinnen und Kommunikatorinnen mit der Bedeutung, die die Wissenschaft für die Gesellschaft hat, auseinandersetzen. Da geht es nicht darum, dass man schnell große Versprechungen macht, wo und wie neue Erkenntnisse angewendet werden können.

Es geht vielmehr darum, eine vorsichtigere und offenere Einschätzung, was Wissenschaft ist und kann, zu geben. Wir müssen vermitteln, wie Wissen entsteht, was der Alltag wissenschaftlichen Arbeitens bedeutet. Da ist in Österreich sicherlich noch vieles aufzuholen. Wenn man eine stabile Beziehung zur Gesellschaft aufbauen möchte, dann sollte man ein realistisches Bild von Wissenschaft vermitteln, eines dass in der Folge die Erwartungen zumindest annähernd erfüllen kann.
Warum ist ein besseres Verständnis der Gesellschaft für die Problemstellungen der Genomik überhaupt wichtig?

Aus einer demokratiepolitischen Perspektive heraus ist es wichtig, dass Wissenschaft einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht zugänglich gemacht wird.

Genomik spielt hier eine besonders große Rolle, weil mit dieser Technologie ein Eingriff in die Wahrnehmung des eigenen Körpers stattfindet, weil damit völlig neue Möglichkeiten entstehen und weil damit einhergehend auch relativ komplexe Entscheidungen getroffen werden müssen, z. B. lasse ich mich genetisch testen oder nicht? Ein gewisses Basiswissen ist hier wesentlich.
Wo sehen Sie Berührungspunkte der Genomik mit den täglichen Problemen in der Gesellschaft?

Durch die Genomik hat sich ein Teil unseres Weltbildes verändert. Bestimmte Erklärungen, vor allem im Bereich des menschlichen Körpers, aber auch der Natur haben sich verschoben. Das kommt in ganz unterschiedlichen mehr oder weniger täglichen Problemen zum Tragen. So könnte man als Beispiel die Gesundheitsvorsorge erwähnen, genauso wie auch die grüne Gentechnik.
Welche Lösungsmöglichkeiten kann die Genomik heute anbieten - und welche Zukunftsvisionen bestehen?

Die Genomik versucht, breit angelegt und systematisch nach Zusammenhängen zwischen Strukturen, Funktionen und Entwicklung der Erbinformation zu suchen. Ich denke mir, dass im Bereich von Testverfahren für verschiedene Erkrankungen sicherlich in den nächsten Jahren ein Spektrum an Möglichkeiten entstehen wird.

Für mich ist allerdings sehr wichtig, dass hier die Entscheidungsmöglichkeit der einzelnen Personen ob sie dieses Wissen auch haben wollen, immer die letzte Instanz darstellt. Es geht darum, Wissen anzubieten, aber auch die Möglichkeit offen zu lassen, andere Lebensformen zu wählen. Natürlich hoffen wir auf Diagnose und Heilung bestimmter Krebserkrankungen, aber ehrlich gesagt denke ich mir, dass das noch sehr sehr weit in der Zukunft liegt.
Eine multidisziplinäre Konferenz zu diesem Thema ist ungewöhnlich - was waren die Motive?

Es ist ungewöhnlich, weil üblicherweise wissenschaftliche Felder sich gegeneinander abgrenzen. Nun taucht aber immer wieder die Frage auf, ob nicht für komplexe Zusammenhänge und Fragestellungen auch vielschichtiger zusammengesetzte Teams notwendig sind.

Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, neben den naturwissenschaftlichen, auch ethische, soziale und rechtliche Fragen zu stellen. Es ist vielversprechend, so etwas zu probieren, vielen Disziplinen einen gemeinsamen Raum zu geben und den Dialog zu pflegen. Wie das dann aufgeht - das wird spannend zu sehen sein.

Das Gespräch führte Sabine Fisch.

[science.ORF.at, 10.10.06]
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Zur Person
Ulrike Felt ist Professorin für Wissenschaftsforschung an der Universität Wien, wo sie das Institut für Wissenschaftsforschung leitet. Zahlreiche Publikationen insbesondere zu den Themenschwerpunkten Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie zu wissenschaftspolitischen Fragen. Sie ist Herausgeberin der internationalen Zeitschrift Science, Technology and Human Values.
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01.01.2010